Moral Collapse – Divine Prosthetics

von am 31. Juli 2023 in Album

Moral Collapse – Divine Prosthetics

2021 konnten nur wenige Dissonant Death Metal-Platten im Schatten von Imperative Imperceptible Impulse bestehen. Das selbstbetitelte Moral CollapseDebütalbum gehörte als veritabler Geheimtipp nach allgemeiner Auffassung dazu. Für Divine Prosthetics setzt das multinationale Gespann nun aber auf einen polarisierenden Ansatz.

Das aus dem Nichts gekommene Debütalbum der Band hatte ja letztendlich vor allem das Problem, dass es keine restlos runde Angelegenheit war, weil ihm gegen Ende (wegen einer unmittelbar geschaffenen immensen Fallhöhe mit grandiosem Potential) ein klein wenig die Luft ausging.
Der dezidiert ganzheitlicher umfassende, paradoxerweise gleichzeitig aber dualistisch angelegte Auftreten von Divine Prosthetics ist insofern ein willkommener Ansatz für das personell vage definierte Gefüge um  Subcontinental Records-Boss N Arun und Session Drummer Hannes Grossmann (Ex-Necrophagist, Obscura, Blotted science), das hier neben Sudarshan Mankad („Lead Guitar on Precise Incision“), die neben Moiz Mustafa („Lead Guitar on Calamitous“) diesmal von einer ganzen Stafette an Gastmusikern unterstützt werden: Bobby Koelble („Lead Guitar (Death) on Divine Prosthetics“) und Sandesh Nagaraj („Samples & Ambiance (Till The Teeth) on Disintegration„) stehen neben den „Special Musicians from the other side“ – namentlich Julius Gabriel („Saxophone on Divine Prosthetics II„) und Mia Zabelka („Violin on NORDescandant & Divine Prosthetics II„).

Der konzeptionelle Überbau fließt auf diesen Schultern jedenfalls nicht nur ins Spirituelle, wenn das Zweitwerk „mythical empires being overthrown by extraordinary men in battle – NORdescendants. Are they mortals? Only time will tell….“ erforscht, seine Strukturen und Ästhetiken auch explizit stilistischen Gegengewichten öffnet, die polarisieren.
Wenn Moral Collapse nämlich nicht ihre angestammte Death-Spielwiese bedienen, wie sie es im exemplarischen Precise Incision tun (dessen mächtig bretternde Schlagzeug-Grundierung die Gitarren episch garstig greinen lässt, griffig und vertrackt, bis der toll im Mix ausgeleuchtete Bass zur orientalisch-psychedelischen Prägung knubbelt), dem seine Riffs noch dringlicher bis zum manischen Call-And Response schlenzenden Calamitous, sowie dem Gorguts‘esk fauchenden, aggressiv intonierenden Divine Prosthetics I in all seiner progressiven Kraft an der Speerspitze des Genres, ja dann balanciert Divine Prosthetics die Agenda der Band über weite Strecken der sehr kurzen Platte auf der Odyssee durch ambiente Noise-Klangwelten, die kaum Interesse am Komfortzonen-Dienst haben.

Disintegration ist eine pluckernde Collage aus plätschernden, digitalen Wasser-Effekten im Drone-Umfeld maschineller Field Recordings und NORDescendant pulsierend mit subkutanen wummernden Gitarren-Schwaden abgedämpft, düster und dystopisch, in ein darkjazziges Timbre als beklemmender Stetson-Suspense-Score, bevor Divine Prosthetics II vollends in die improvisierte Avantgarde ausfasert und alle erwartbaren Tugenden von Moral Collapse gegen Ambitionen endgültig eintauscht, deren Ertrag ambivalent ist, kein Ziel anvisiert und letztendlich mit einer latenten Wahllosigkeit mäandert.
Zwar steht diese Dynamik der Band einerseits kompetent, sie stellt auch die Death-Passagen umso deutlicher auf ein Podest, wo der neu geschaffene Raum Platz zu atmen lässt. Allerdings sind die Passagen genau genommen wenig originär und für sich genommen nicht derart eindrucksvoll, wie die Metal-Aspekte, sie haben für sich stehend nur bedingten Mehrwert.

Gerade in Summe lässt Divine Prosthetics so mit dem latent undefinierbaren Gefühl zurück, dass dem Album als Ganzem (ungeachtet seiner Form als runder, kompletter angestrebten Gesamtwerk) einfach etwas fehlt – nämlich zumindest noch ein weiterer überragender „traditioneller“ Tech-Death-Song, nach NORDescendant oder dem Closer, der für die nachhaltig positionierte Intensität sorgen würde und den Fokus der Platte klarer gewichtet hätte – um die geöffnete Büchse der Pandora am wirklich befriedigenden Klimax des Potentials auszuloten und nicht nur knapp 14 von 32 Minuten damit zu verbringen, was Moral Collapse schon jetzt Weltklasse beherrschen.
Ist Album Nummer 2 der in Indien beheimateten Gruppierung also ein unter Wachstumsschmerzen unausgegorenes Übergangswerk?

Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen