MJ Guider – Sour Cherry Bell
Melissa Guion alias MJ Guider hat nach vier Jahren Pause mit Sour Cherry Ball ihr drittes Studioalbum fertiggebastelt, das zweite für das so ideal zu ihr passende Label Kranky.
Dunkel und wohlig, auf eine unruhige Weise beruhigend, breitet sich Sour Cherry Ball aus, entwickelt über seine meditative Atmosphäre eine einnehmend schimmernde Wärme, wo viele der Sounds eigentlich eine Kälte evozieren müssten. Doch auch wenn MJ Guider zwischen naheliegenden Referenzen wie Cocteau Twins oder Grouper den minimalistischen Nummern oft keine bedingungslos herausfordernde Entwicklung abringen möchte, zu wenig Material tatsächlich originär erblühen lässt, und das um den Funken zu sehr an der Oberfläche bleibende Album zudem eher wie eine kaleidoskopartige Songsammlung zusammenfügt, trägt diese intime Wohligkeit gravierend zur Anziehungskraft von Sour Cherry Ball bei.
Es entwickelt sich ein ruhiger, subtiler Sog aus ambientem Ethereal Wave, Drone-Versatzstücken und der permanenten Ahnung des ätherisch aufgelösten Dream Pop jenseits der Avantgarde, wie es bereits der Opener Lowlight am strukturoffenen Ende des Spektrums vorwegnimmt und der mystische Basinski‚eske Loop-Kosmos Petrechoria abschließt.
In diesem Rahmen bilden vollends körperlose Stücke wie die wunderbar entschleunigte Melancholie Perfect Interference den subtilen Kern des ästhetischen Wesens, doch verleiht MJ Guider den Stücken vor allem durch rhythmische Muster individuelle Schattierungen.
The Steelyard liebäugelt mit kargem Postpunk, wie alles auf der Platte so flüchtig und gehaucht inszeniert, doch schimmert das Stück hinten raus griffiger mit kreisenden Vocals aus dem Reverb-Schleier – wie ein halluzinogen rezitierender Industrial-Traum der frühen Have a Nice Life. Der kleine Hit FM Secure besucht den Club unter dem Einfluss gravierender Sedativa: niemals greifbar, aber verführerisch ist das ein Echo aus dem Äther von Laurel Halo. Der Titelsong bedient ausnahmsweise konkretere Konturen und gönnt sich eine 80er Patina, Body Optics pulsiert bittersüß-abgedämpft als Maschinen-Trance mit undefinierbarem Distanzgefühl. Quiet Time taucht vor dem beinahe euphorischen Finale ab und Simulus ist die körperbewusste Melange aus MJ Guiders Frühphase und einem der Elektro-Interludes der Deftones-Platten aus den 00er-Jahren, bevor Sourbell seine Dramatik und Schmissigkeit ausbleichen lässt.
Am Stück konsumiert vermisst man bei all diesen Mosaiksteinen also vielleicht die erschöpfende Katharsis – jede Szene hier wäre gerne ausführlicher erforscht worden. Selektiv und aus einer relativen Pop-Perspektive betrachtet liefert Sour Cherry Ball jedoch gelungene eklektische Kleinode, die mit einer latenten Faszination nicht nur (zwischen den Punkten liegend für eine Aufwertung sorgen, sondern auch kurzweilig) durch die einsamen Stunden einer Pandemie tragen können.
1 Trackback