Mike & The Melvins – Three Men and a Baby
Nicht erst seit dem Ausstieg der Big Business-Jungs verlangt praktisch jede Veröffentlichung der Melvins eine lange Zusatzergänzung bei den Credits. Vor dem prolongierten Bass-Overkill ‚Basses Loaded‚ macht auch ‚Three Men and A Baby‚ diesbezüglich keine Ausnahme: King Buzzo und Dale Crover entstauben kurzerhand ein knapp eineinhalb Dekaden altes Kooperationsalbum aus dem Archiv.
1998: Die Noiserocker von godheadSilo geben (mehr oder minder) ihre Trennung bekannt, weswegen sich deren Bassist und Sänger Mike Kunka die Zeit vertreibt, indem er mit seinen Kumpels King Buzzo, Dale Crover und Kevin Rutmanis auf Tour geht. Schnell sind die Pläne für eine gemeinsame Platte vorhanden, das Debütalbum von Mike & The Melvins soll über Sub Pop veröffentlicht werden. Aufgenommen wird ‚Three Men and a Baby‘ tatsächlich im darauffolgenden Jahr von Tim Green – bevor allerdings lange Zeit nichts mehr geschieht. Warum, das will heute keiner mehr so genau wissen. Fest steht allerdings, dass ‚Three Men and a Baby‚ in den Archiven verschwindet und ein anderer Mike in das Leben der Melvins tritt: die Ära bei Ipecac beginnt kurz darauf für die Band.
2015: godheadSilo sind wieder aktiv und auch ‚Three Men and a Baby‚ taucht ebenfalls aus der Versenkung auf. Gemeinsam mit ihrem Engineer/Mixer/Langzeitpartner Toshi Kasai nehmen die Melvins im Februar einige wenige Modifizierungen der Aufnahmen vor, bevor die Platte passenderweise am 1.April des Folgejahres in die Läden kommt.
Und nun? Fügt sich ‚Three Men and a Baby‚ erstaunlicherweise auch ohne Zeitverschiebung nahtlos in die restliche Discography der Melvins ein, wird Anhänger der Band mit gewohnt fett-sludgigen Killerriffs, versponnen träge ausgebreiteter Heavyness und seinem umwerfend schmutzigen Fuzz-Groove unmittelbar begeistern. Inmitten eines zuverlässigen Abfackelns aus Trademark-Stärken aber gleichzeitig auch mehr Fan-Entgegenkommen verlangen, als die letzten regulären Studioalben der Band: Vor zerschossenen Irrsinstaten und herrlich seltsamen Freak-Einfällen schreckt das Quartett vor allem in den Ausläufern der Platte nicht zurück und zündet hier ein Sperrfeuer an wirren Ideen.
Das vertrackt stackensten ‚Dead Canaries‚ erinnert etwa an das grollende Rhythmusgefühl von Primus, hat zudem aber eine gehaktes Gitarren-Loop an Bord, dem permanent der Strom abgewürgt zu werden scheint, während der Song selbst irgendwann nur noch in Zeitlupe abläuft. ‚A Friend in Need Is a Friend You Don’t Need‚ hat einen der Songtitel des Jahres auf Lager, ist dahinter aber eine obskure Mischkulanz aus Drumsolo, Ansprache, Publikumsjubel und einer Feedbackattacke, die im Königreich von King Buzzo wohl als Solo durchgeht, bevor ‚Art School Fight Song‚ dann als Rausschmeißer ohnedies gleich den ratternden Grindcore-Derwisch an der Grenze zum LoFi-Powerviolence markiert.
Der Rest zelebriert in nicht atemberaubender, aber überdurchschnittlicher Klasse, was die Melvins bereits vor 16 Jahren besser konnten als alle anderen, und unterstreicht, warum ihnen auch heute kaum jemand adäquat das Wasser reichen kann – addiert aber eben die zusätzlichen stilistischen Freiheiten, die mit Kunka Einzug in das Bandgefüge gefunden haben; awechselnder Leadgesang von allen Beteiligten inklusive.
Da reihen sich dann die Noiserock-Brecher erster Güte anstandslos an das eröffnenden ‚Chicken ’n‘ Dump‚: „I stole the title from a friend (sorry Quitty), my nine-year-old daughter wrote the lyrics, it took 16 years to finish, and it sounds like this“ erklärt Kunka den Breitseitenriffer, der die Vocals im Refrain trotz aller Breitseite mal eben in bester Creep-Manier flüstern lässt. Es gibt also in weiterer Folge geile Rocker mit hirnwütigen Tempowechseln (‚Pound the Giants‚) oder soviel rohem Gefühl unter der Haube, dass sich das Gaspedal von selbst bis zum kurzen Metallica-Augenblick durchdrückt (‚Limited Teeth‚), potentielle Black Sabbbath-Tribute aus der Jesus Lizard–Perspektive (‚Lifestyle Hammer‚), sexy Riffs mit Grunge-Spirit (‚Bummer Conversation‚) oder dramatisch geheulte, punkig-gepeinigt entlanggepeitschte Public Image Ltd-Coversongs (‚Annalisa‚). Das fast schon Mike Patton-artige Gruselikabinett in seiner verstörenden Melodieseligkeit ‚A Dead Pile of Worthless Junk‚ muss man da freilich nicht kommen sehen.
So unberechenbar die Melvins also immer wieder agieren, so sehr bleibt mit ‚Three Men and a Baby‚ paradoxerweise doch auch alles beim Alten für die Institution aus Washington. Wie alle Alben der letzten Jahre ist auch dieses erfreuliche Intermezzo wohl keine Platte, die King Buzzo und Dale Crover neue Horden an Hörern herankarren wird, aber eine, die die bestehende Kundschaft restlos abfeiern darf: ‚Three Men and a Baby‚ ist ein rücksichtsloser Fanpleaser, voller kruder Eigenwilligkeit; ein Austoben in der eigenen Komfortzone, ohne es irgendjemandem gemütlich machen zu wollen; und ein bisschen auch ein verdientes Spotlight für godheadSilo. Kurzum: Eine fabelhafte Ergänzung für den Melvins-Kanon.
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