Messer – Im Schwindel
Die aktuell zwingendste Postpunk-Platte Deutschlands ist eigentlich die authentischste Punk-Platte seit langem, dabei meistens ziemlich anti, dunkel und tief verwurzelt in der Tradition großer Vorreiter von Ton Steine Scherben bis zu den jungen Fehlfarben.
„Ich will nur einen Raum mit einem Plattenspieler/ Eine Matratze und ein Buch und ihr seht mich nie wieder“ skandiert Sänger Henrik Otremba in ‚Fieberträume‚ und bringt damit das Lebensgefühl eines geradezu nihilistisch-poetischen Debütalbums vielleicht am prägnantesten auf den Punkt. „Diese Welt macht mich nicht glücklich und auch du bringst keinen Trost/ Oder halt mich einfach fest und lass mich nie wieder los“ heißt es dann weiter und tatsächlich strahlt das verzweifelt dringliche ‚Im Schwindel‚ auch hinter all dem Welthass eine aufrichtige Hoffnung aus, wenn Messer ihren aufwühlenden Soundtrack zu inneren Revolutionen inbrünstig von sich schmettern. Eigentlich darf man die 32 Minuten abseits der Musik ohnedies als schlaues Manifest betrachten, nicht nur ‚Augen in der Dunkelheit‚ schwankt dazu passend zwischen Sprechgesang, Monolog und dem ungeschönten Auskotzen von Texten, Otremba rezitiert vor kompakten Riffing, für ‚Weißer Rauch‚ mutiert das gar in letzter Konsequenz zum Gedichtvortrag, während im Hintergrund ambienter Drone Unbehagen verbreitet.
‚Im Schwindel‚ ist jedoch alles andere als eine vergeistigte Platte geworden, viel ehe ist es eine, die zupackt, ohne Rücksicht auf Verluste, unheimlich zackig voranmarschiert. Während Otremba da also nahe am jungen Rio Reiser explodiert, schmettert seine Band unnachgiebig drückend nach vorne. Im Fokus dabei: knochentrocken treibende Rhythmen in Verbindung mit schneidenden Basslinien, die erbarmungslos dynamisch auch auf der Tanzfläche stattfinden könnten, in ihrer Sturheit längst von Krautrock gehört haben, aber die 80er atmen – sowas würden Die Türen wohl gerne fabrizieren, Blumfeld hatten nie soviel Feuer im Hintern. Im preschenden Geschehen als subtiler, zweckdienlich in der Summe der Teile aufgehender Kleister fungiert dabei stets eine Gitarre, die von scharfkantigen Attacken (‚Romy‚) bis hin zu postrockigen Flächen (‚Was man sich selbst verspricht‚) manövriert. Und damit auch die nächste Stärke der jungen Band aus Münster vorwegnimmt.
Die unheimliche Vielschichtigkeit lässt während der zehn Songs kaum zeit Luft zu holen: ‚Mutmaßungen über Hendrik‚ ist mit seiner Slide-Gitarre wehmütig geflüsterte Element of Crime-Erinnerung auf der Überholspur, ‚Sulai‘ klärt nicht nur den Albumtitel („Im Schwindel/Ist am Ende einer tot„), sondern ist gleich sehniger Hardcore ohne proletuide Muskelschau. Das ist für Messer kein Widerspruch, da sich die permanente Aggression hier niemals in plumper Brachialität äußert. „Die Wut, die mich zerfrisst/ Weil das Leben eine Lüge ist/Die Wut, die mich zerfrisst/ Weil das Leben meine Liebe ist“ steigert sich ‚Fieberträume‚ so zur dualistischen Hymne in der Kakophonie und ist damit nur einer der zahlreichen Höhepunkte auf einem nahezu formvollendeten Albumeinstand, der Messer praktisch aus dem nichts auf eine Stufe mit mehr oder minder alteingesessenen, zeitgenössischen Verteranen wie Adolar und Konsorten katapultiert – und Vergleiche mit Legenden trotzdem nicht lächerlich erscheinen lässt. Messer sind tief in der musikalischen Vergangenheit verhaftet, betreiben ihre archaischen Beat-Songs aber derart unverbraucht, dass da eine verheißungsvolle Zukunft abzeichnet. Und so gut das jetzt schon ist, traut man sich zu orakeln: die stehen erst am Anfang!
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