Meredith Bates – Tesseract

von am 27. November 2023 in Album

Meredith Bates – Tesseract

Dieser Tesseract verbindet 6 Flächen über insgesamt 127 Minuten zu einer reichhaltigen Klangwelt: Auch auf ihrem zweiten Album nach If Not Now von 2020 braucht die neoklassizistische Experimental-Künstlerin Meredith Bates nach Superlativen im Volumen um ihre eklektischen Visionen zu artikulieren.

Man meint immer wieder eine gewisse Nähe von der in Vancouver beheimateten Bates („Processed Violin, Voice, and Found Objects“) zur Ästhetik von Godspeed You! Black Emperor ausmachen zu können.
Gleich wenn Disturbance als Noise-Fließband einen wundersam schimmernden Ambient sucht, der sinister und malerisch funkelt und schimmert. Mehr noch aber, nachdem der kratzend schabende Krach von Constellation eine dekonstruierte orchestrale Abstraktionen über verbrannte Erde ist, seine Violine in trauriger, einsamer Majestät über die trostlose Welt erhebt – ohne dabei wirklich in Postrock-Gefilde abzudriften, während das Streicher-Setting in emotionaler Verletzlichkeit und Schönheit über die mystische, abrasive Klangskulptur hinauswächst, rostige Schrauben im hypnotischen Schwelgen eines seltsam märchenhaften Deliriums schraubt, der als farbenfroh sprießender Naturalismus eigentlich jenseits der dunklen Optik von Tesseract zu existieren scheint.

Dass der Silberstreifen am Horizont manchmal einfach grau sein kann, zeigt auch das finale Continuum, in dem Schaltkreise brutzeln, aber cinematographisch aus dem abgründigen Fiebertraum-Score in die Erlösung wandern. Debris manipuliert die Elektronik-Felder als Kontrast erst aktiver, doch bald bläst der Wind durch plingende, springende Röhren, beobachtet ein Geplänkel unter Wasser. Der Ansatz eines rhythmischen Grooves wird nur augenscheinlich im Unmut des Industrial aufgelöst, da dieser letztendlich schnell ebenfalls das besagte Licht am Ende des Tunnels findet und sich in einem sinfonisch badenden, schwebenden Space-Glanz suhlt, um in der melancholischen Landschaft eines aus der Zeit gefallenen Scores zu landen.
Was alles nicht nur eine Abfolge von Variablen darstellt, sondern tatsächlich auf unkonventionelle Weise nach kompositorischen Schemen interessant agiert, in seiner eigenen Form schlüssig ist, ja, sogar kurzweilig.

Als zweites Herzstück lässt das Titelwerk die Eleganz eines grazilen Horrors bald zum schrabenden Ungemach eines ziselierten Suspense mutieren, zum mystischen Treiben mit orientalischem Hauch. Als verschrobenes Funkeln, beim tauchenden Blick über die Wasseroberfläche hinaus in Stratosphäre, manchmal klar, manchmal trüb, nie unbekümmert, stellt sich der Sendersuchlauf beim Aufwärmen im Orchestergraben auf eine beruhigende Meditation ein, die Frequenz ist verschoben pastoral.
Doch noch bevor Tendrils als Terrarium, in dem alles kreucht und fleucht, später werkt, um nach dem Kraftakt durchatmen zu lassen, entwickeln sich die letzten Meter des knapp 47 minütigen Titeltracks aus der nervösen Stresssituation heraus zum Anstieg auf ein Plateau des inneren Friedens, so angenehm und erfüllend. Die zeitliche Wahrnehmung ist da ebenso ausgehebelt wie die analytische Wahrnehmung, der Anspruch nach originärer Einzigartigkeit geht in einem universellen Reiz auf: Der von Bates erschaffene tonale Habitat ist als tiefgehender Nährboden für das Unterbewusstsein ebenso abstraktes Spiegelbild wie eine so reichhaltige Alternative zur Wirklichkeit.


Print article

Kommentieren

Bitte Pflichtfelder ausfüllen