Merchandise – After the End
Daneben greifen kann die um Carson Cox und David Vassalotti zur vollwertigen Band ausgewachsenen Truppe scheinbar einfach nicht – weniger unmittelbare Euphorie als bisher entfachen dann aber doch: Merchandise fliegen auf ihrem Major-Einstand auf der ersten Blick gar zu reibungslos mit Autopilot durch die 1980er.
Mit ‚Children of Desire‚ (Platz 16 bei den Heavypop-Jahrescharts 2012) und ‚Totale Nite‚ (Platz 1 bei den Kurzfomaten 2013) haben Merchandise nicht nur ihren schwelgenden Postpunk qualitativ in andere Sphären geschossen, sondern sich selbst auch gleich auf die Liste von 4AD katapultiert. Wo früher Kassetten in kleinster Auflage in Eigenregie vertrieben und alle Alben über einen schrottigen Blog digital verschenkt wurden besitzt die Band – die Tourgehilfen Chris Horn (Gitarre, Keyboard, Saxophon) und Elsner Niño (Schlagzeug) erweitern die Kombo neben Patrick Brady mittlerweile zum Quintett – aus Tampa nun eine stylishe Label-Homepage und sogar eine eigene Facebookpräsenz. „Wie leben nun von der Sache“ sagt Cox und lässt Professionalität walten, zumindest in Maßen: den Mix der Platte erledigte zwar der nicht nur durch Depeche Mode und Interpol geeichte Gareth Jones, aufgenommen wurde ‚After the End‚ dennoch abermals im hauseigenen Schlafzimmer. Wenn Cox also neue Horizonte anvisiert („Totale Nite was the end of the book. This is a whole new book. It’s like we can start a new band with basically the same name„) und den proklammierten Neubeginn danach zum lupenreinen Popalbum erklärt liegen die realen Verhältnisse letztendlich auch irgendwo dazwischen.
‚After the End‚ ist das bisher rundeste Merchadise-Album geworden. Eine weich fließende und bekömmliche Dreiviertelstunde Musik, die beinahe vollends auf spitz schneidenden Lo-Fi-Postpunk-Gitarren und DIY-Noise-Ausbrüche verzichtet und stattdessen glatte 12-String-Gitarren Robert Fripp-Flächen und R.E.M.-Arrangements malt, sich abseits der liebgewonnenen Spitzen regelrecht verträumt über den Horizont treiben lässt – gleichzeitig aber immer noch aus der selben unstillbaren Sehnsucht, Romantik und Nostalgie der vorangegangenen Werke speist: alleine die an The Smiths und Echo & the Bunnymen geschulte, gallige Delay-Intonation von Cox ist so unverkennbar Merchandise, dass es natürlich Unsinn wäre faktisch von einem klaren Schnitt (geschweige denn einem neuen Bandgefühl) zu sprechen.
Dennoch ist ‚After the End‚ derart gehalten über eine lange Eingewöhnungszeit eine irritierend bisslose, plätschernde Reise geworden. Der Platte fehlen augenscheinlich die giftig zupackenden, herausragenden Ausnahme-Momente wie etwa ‚Become What You Are‚ oder ‚Anxiety’s Door‚, die aus dem Gesamtgefüge hervorstechen. Cox und Vassalotti spielen ihre Melodien nicht mehr derart bedingungslos und hartnäckig, sondern umweben die typische Merchandise-Atmosphäre weitaus freier atmend: wo früher gekratzt wurde, wird nun behände gestreichelt.
Tatsächlich klingen beschwingte Uptempo-Songs wie das mit variablen ‚(I Can Get No) Satisfaction‚-Rhythmus daherkommende ‚Enemy‚, das Alternative-affine ‚True Moment‚ oder der zu keinem befriedigenden Punkt findende Hardrock-Flirt ‚Little Killer‚ ärgerlich unverbindlich, das Drumherum in seinen schwächeren Momenten regelrecht spannungsbefreit und nett. Über den Erstkontakt hinaus entlässt die (nicht nur angesichts der biestigen Frühphase der Band) schmeichelweiche, ungefährliche und gezähmte Stimmung deswegen durchaus ratlos.
Dabei wissen Cox und Vassoletti scheinbar genau was sie tun, beweisen einen langen Atem und untertauchen jedwede Ausverkaufsvorwürfe indem sie diese genüsslich umarmen und ihr Songwriting verfeinern. Vor allem wenn Merchandise die gleitenden Synthies, wattierten Baywatch-Drums und shoegazenden Gitarren in einen luftigen Kontext stellen funktioniert ‚After the End‚ als sich unaufdringlich entwickelnder Grower, der es sich ohne das frontal abhängig machende Suchtpotential der Vorgänger quasi über die Hintertür häuslich einrichtet.
Dann sind da Songs wie die mächtig-glitzernde Simple Minds-Verneigung ‚Green Lady‚, die sich über ein schwülstiges Gitarrensolo in einem stampfenden Schlußpart selbst beruhigt; die unnahbar tröstende, unwirkliche und sphärische Orgel-Mediation ‚Life Outside the Mirror‚, in deren weiten Klang man mit jedem Durchgang umso wohliger versinkt; das mit unsinigen Effekten verkleidete ‚Telephone‚, das unnatürlich beschwingt geradewegs in die Arme des vielleicht eingängigsten Merchandise-Refrains überhaupt läuft; auch ‚Looking Glass Waltz‚, ein vor Weltschmerz schunkler Walzer, der sich zur wunderbar triumphalen Seemannshymne auswächst; der schwer Richtung Niedergeschlagenheit marschierende Titelsong mit seinem kristallinen Piano; oder vor allem auch der in Schönheit glimmernde Freigeist ‚Exile and Ego‚, die ‚I’ll Be Gone‚ als erhabenste Ballade der Band demnächst ablösen konnte.
Unter dem Strich ist ‚After the End‚ wie versprochen ein elegantes und erhaben produziertes Wave-Pop Album geworden. Mehr noch aber eine paradoxer wirkende Neujustierung, die sich selbst einnehmend auf den Silbertablett serviert und dennoch abseits des packenden Momentums selten zwingend agierend geradewegs verweigert. Eine anschmiegsame Enttäuschung einerseits also, eine betörende Weiterentwicklung in Sachen Kohäsion und Fokus unter etablierten Trademark-Stilmitteln andererseits. Merchandise wirken, als wären sie endlich dort angekommen wo sie seit zwei Jahren hinwollten – hätten es sich am Ziel aber gleich gar zu gemütlich gemacht. Mit einer Platte, die das gewisse Etwas (das Getriebene? das Unberechenbare? das Aggressive?) der Vorgängeralben vermissen lässt, dabei aber nach und nach über ihren dynamisch-abwechslungsreichen Verlauf hin die selbe zeitlose Grandezza entfaltet, die Merchandise seit ‚Children of Desire‚ für sich gepachtet haben.
Ob der langsam erwärmende Major-Einstand im Rückspiegel tatsächlich ähnlich nachhaltig funkeln wird wie die zwei bisher besten Merchandise-Werke wird freilich erst die Zeit zeigen können. In einem Punkt irrt Cox allerdings bereits jetzt: ‚After the End‚ fühlt sich auch nach der gedehnten Kennenlernphase nicht wie „a whole new book“ an, sondern vielmehr wie ein neues Kapitel in der Bandgeschichte, ein vorbereitendes, weitschweifendes, aufgeräumtes und zugängliches Luftholen vor dem nächsten großen Wurf.
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[Merchandise gastieren am 5. November in der Wiener Arena. Karten via Öticket.]
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