Merchandise – A Corpse Wired for Sound
Die sehnsüchtigen Melancholiker von Merchandise justieren ihre Ausrichtung auf der Wurzelsuche A Corpse Wired for Sound neuerlich nach: Der Pop steht nun wieder hinter dem Postpunk, das (je nach Zählweise) fünfte Studioalbum leuchtet die Band kühler, verschrobener und eigenwillig aus als zuletzt.
Eine alte Klischee-Faustregel besagt ja: Der Wechsel vom gutgehüteten Szenegeheimnis zum großen Major muss zwangsläufig mit einem bekömmlicheren Auftreten einher gehen. After the End war 2014 insofern ein beinahe exemplarisch derartige Vorurteile bedienender Wachstumsprozess für die Band aus Tampa. Schließlich wurden spätestens hier bereits zuvor anvisierte Anhänger von Echo & the Bunnymen bis Morrisey mit noch zugänglicheren, runderen und konsumfreundlicheren Songs in griffigem Format überzeugt – was man angesichts solcher Veröffentlichungen wie Totale Nite oder dem überragenden Children of Desire eben auch gar zu zahm und souverän empfinden konnte. Einigen kann man sich eventuell darauf: Mit 10 tollen, aber auch schnell sättigenden Songs gelang es Merchandise mit After the End zumindest nicht, die selbe Faszination zu entwickeln, wie mit den Vorgängern.
Ein Grundproblem, das nun auch A Corpse Wired for Sound teilt – sich aber dennoch wieder in die richtige Richtung bewegt, indem es vom demonstrativ hungrigen, mit stoischer Eleganz stampfenden Flower Of Sex hinweg seine morbiden Pheromone mit mehr Nachdruck und räudiger Exaltiertheit unter dem Killing Moon schraubt.
A Corpse Wired for Sound ist nämlich zweierlei geworden: Ein weiterer Schritt nach vorne (für die halbe Produktion der Platte haben sich Merchandise nach Rosà in Italien begeben, um ihre Songs mit ICIO erstmals in einem Studio einzuspielen, die andere Hälfte wurde in New York und Berlin besorgt), aber noch wichtiger, zumindest zwei zurück: Carson Cox hat sich in den letzten Jahren vor allem auf seine Punk-Vergangenheit besonnen (und ist mit [amazon_link id=“B01A9SNZTU“ target=“_blank“ ]Death Index[/amazon_link] sogar auf Deathwish gelandet), während Merchandise selbst vom Quintett wieder auf das Kerntrio um den charismatischen Frontcrooner Cox, Co-Bandkopf Dave Vassalotti und Bassist Pat Brady abgemagert sind – die Position des Schlagzeugers also nunmehr wie in den Anfangsjahren von einer Drummachine erledigt wird- , und sich die Band von Herangehensweise und Ausstrahlung deutlicher an ihre Wurzeln der Prä-After the End-Zeit erinnert.
Die programmierten Schlagzeugspuren stemmen den Rhythmus massiv und stoisch, die Gitarren arbeiten ätherisch gleißend, dann wieder mit einer finsteren, phasenweise beinahe metallischen Grundnote über den zeitlosen Synthieschichten, schwelgen immer wieder in langen Exkursionen, während Cox seinen ätherischen Pathos mit theatralischer Geste malt. Dadurch entsteht eine zerbrechliche Melancholie, die durch ein regelrecht hartes Industrial-Momentum konterkariert wird, sich nicht zwischen Schönheit und Suspence entscheiden muss.
Wie auch das verdächtig groovende Right Back To The Start, das vor Sehnsucht schmelzende Silence oder das sinister pulsierende Shadow of the Truth arbeitet sich Crystal Cage so mit seiner kalten Rhythmik und einem träumend-ausfälligen Solo aus dem Windschatten von Jesus and the Mary Chain hin zu Depeche Mode. End Of The Week lässt über seinen unverrückbaren Beat die Gitarren mit viel Reverb shoagazend hallen, stülpt Noise und Feedback über seine sich vor Joy Division verneigende Stimmung – und setzt damit eben dennoch nahtlos in das flotte Lonesome Sound über, das eine leichtgängige The Smiths-Zielstrebigkeit an den Tag legt, die Gitarren aber böser, metallischer braten lässt, und beinahe in die Nähe von potentiellem Hardrock für die Disco käme, wären Merchandise nicht zu romantische Nihilisten für derartige Szenarien.
Die dichte Stimmung und (be)drückende Aura der Platte lehnt sich insofern vom ersten Moment in ein Back to the Roots-Feeling, das merklich von den über die vergangenen Jahre erwirtschafteten Annehmlichkeiten profitiert. Merchandise inszenieren ihre Songs auf A Corpse Wired for Sound nur auf den ersten Blick weniger zugänglich und poppig, wirken vorderhand düsterer und massiver, entfalten die elegische Eingängigkeit ihrer Melodien allerdings hintergründiger. Das Songwriting von A Corpse Wired for Sound hypnotisiert durch seinen makellos ausgeleuchteten, aber nicht aufhübschenden Sound kantiger und eigenwilliger, schlichtweg wieder ein wenig intensiver und fordernder als zuletzt.
Dass I Will Not Sleep Here dann trotzdem näher als jeder bisherige Song der Band an der hymnischen Stadion-Geste vorbeischrammt und große Gefühle mit nachhallenden Sätzen („Blood is thicker than water, but both can go down the same drain„) in den akustischen Sternenhimmel evoziert, passt dann letztendlich ebenso in das fesselnde Gesamtbild, wie die Entscheidung A Corpse Wired for Sound nach diesem bezaubernden Monolithen nicht zu verabschieden, sondern My Dream Is Yours erst lange Zeit durch ein spannungsgeladen dräuendes Momentum waten zu lassen, nur um – irgendwann endlich die Bremsen lösend – enthusiastisch ins Nichts zu rocken.
Die restlos überwältigende, kakophonische Euphorie der besten Merchandise-Momente will sich hier zwar nicht gänzlich einstellen. Fragen offen zu lassen, sich nicht noch einmal auf dem Silbertablett zu präsentieren, steht dem Trio allerdings dennoch einfach eine Spur besser, kompromissloser und nachhaltiger, als die direkte Gangart von After the End. Und dass Merchandise damit trotzdem auch mehr als nur einmal wie eine wahrgewordene Radioband des 80er-Tributs [amazon_link id=“B01LTHKZ4S“ target=“_blank“ ]Stranger Things[/amazon_link] daherkommen, ist freilich ohnedies eine andere Zeitgeist-Geschichte, die nicht nur bei den Labelmenschen bei 4AD Begeisterung hervorrufen sollte.
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