Melvins – Tarantula Heart

von am 28. April 2024 in Album

Melvins – Tarantula Heart

Die Welt der Melvins ist aktuell ein wenig im Umbruch begriffen: Dale Crover kämpft seit einiger Zeit mit Wirbelsäulenproblemen und muß sich live von Coady Willes ersetzen lassen, doch Tarantula Heart begann schon davor neue Wege in seinem Entstehungsprozess für die Band auszuloten.

Daher die beiden Sessions für das 27. Studioalbum der Melvins bereits im Mai 2022 (mit Schlagzeuger / Synthie-Mann Roy Mayorga als Gast) und Januar 2023 (mit Gitarrist Gary Chester) stattfanden, wurzelt ein proklamiert unnkonventioneller Ansatz der Aufnahmen also nicht in Crovers gesundheitlichen Problemen, sondern der generellen Abenteuerlust der (tatsächlich auch bereits seit bald 10 Jahren von Bassist Steven Shane McDonald komplettierten) Band.
King Buzzo gibt jedenfalls zu Protokoll, dass der Ansatz für Tatantula Heart ein gänzlich anderer gewesen sei, als für jedes vorherige Melvins-Album, der Beipackzettel verspricht gar „quite possibly the band’s most unconventional, catchiest and imaginative work yet“, während der 60 jährige Exzentriker selbst weiter erklärt: „I had Dale and Roy come in and play along with Steven and I to some riffs, then I took those sessions and figured out what parts would work and wrote new music to fit. This isn’t a studio approach we’ve ever taken. Usually we have the songs written before we start recording!

Das Ergebnis dieses Paradigmenwechsels im Entstehungsprozess mündet dann zwar allerdings einerseits relativ überrschungsarm in einem vergleichsweise typischen Melvins-Werk mit leicht experimentell verschobener Signatur in der Kerbe zwischen Sludge Metal und Noise Rock. Andererseits klingt die Band dann doch tatsächlich um die kleine Nuance vitaler, hungriger und auch ambitionierter, als sie es auf einigen Alben seit (A) Senile Animal phasenweise tat.
Working the Ditch baut sich beispielsweise zum vagen Feedback aus der doppelten Rhythmus-Sektion auf, hofiert mehr als nur solide einen zurückgelehnten Chant-Wulst und nimmt zäh in die Mangel. Osborne fletscht die Zähne dämonisch in verbissen kontrollierter Contenance, eine versierte Baukastennummer stolziert herrlich selbstverständlich wie ein versiffter Pfau, um sich psychedelischen Schleiern aufzulösen und trotz einer gewissen Formelhaftigkeit in den Zutaten eine wenn schon nicht per se aufregende, dann aber sicher verschmitzt packende Hebelwirkung in die Rezeptur zu streuen, die neugierig macht, was die Truppe als Nächstes ausgeheckt hat.

Die externen personellen Impulse und die Wiederkehr des Dual-Drummings wirken jedenfalls wie eine kleine Frischzellenkur, das Songwriting zündet provokant den Standard in der Komfortzone provozierend, den Vibe alter hauseigener Klassiker mit Weirdo-Twist anrauchend.
Als Statement ist insofern alleine schon die Länge des 19 minütigen Openers Pain Equals Funny zu verstehen, in dem sich die Melvins sich erst in heroisch jubilierender Geste aufbäumen, „yeaaaaaah!“. Nach 5 Minuten lockern sie die Handbremse, kippen stoisch in einen Math-Post Hardcore-Groove und deklinieren ihren patentierten Trademarksound, um bei der 9-Minutenmarke in einen halluzinogenen Trance-Nebel abzudriften. Dann kleppert ein abstrakter Surrealismus im spacegazenden Delirium einer schwüle Prärie, löst Form und Struktur sich in einem mäandernden instrumentalen Jam auf, der seine Physis als knackiger Headbanger über ein cool abgehangenes Riff wiederfindet. In dieser Suite vereinen King Buzzo, Dale und Co. eine majestätische Gefährlichkeit, eine unberechenbare Zielstrebigkeit und routinierte Dreckigkeit zur kaskadenhaften Launigkeit mit instinktiver Impulsivität, die entgegen der zugrunde liegenden Bastelei nichts Konstruiertes an sich hat, sondern natürlich fließend seine Haptik verändert.

Danach reißt sich ein Ringen aus Griffigkeit und Wahnwitz vom Riemen. Indem She’s Got Weird Arms als diffuses Wave-Delirium eine catchy abgehakte Hook fischen lässt, deren Gesangslinie in einem anderen Kontext Pop Punk bedeuten könnte, wo die Melvins abseits der flotten Direktheit den (dis)harmonisch schunkelnden Fiebertraum daraus machen, und Allergic to Food durch seine straighter und zügiger die Schnissigkeit forcierenden kompakten Beat samt repetierter Abwärtsspirale des heulenden Riffs knackig auftritt, aber eigentlich ein wild am besessenen Hansterrad drehende Irrsinn ist, der am Ende wahnsinnig grinsend ausbricht.
Dagegen funktioniert Smiler als breitbeiniger Rocker (der sich mit gehöriger Ellbogentechnik immer noch genug Raum zur Ungemütlichkeit schafft) als Closer in seiner verhältnismäßigen Schnörkellosigkeit beinahe zu entgegenkommend angelegt und den unausgegorenen Rahmen der Platte unterwältigend offen lassend. Aber damit einer bewusst unrunden Platte wohl einfach nur so unkonventionell den Stinkefinger zeigen lassend, wie Tarantula Heart es eben verlangt.


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