Melt-Banana, Baguette [10.10.2017: Forum Stadtpark, Graz]
Melt-Banana spielen dank Numavi und Werk 02 praktisch vor der eigenen Haustür, dazu gibt’s mit Baguette einen mehr als würdigen Support. Insofern: Noiserock-Pflichttermin im Forum Stadtpark.
Zwar waren Melt-Banana erst vor knapp zehn Monaten das bisher letzte Mal in Österreich. Doch die Gastspiele der Japaner sind ja bekanntlich immer einen Besuch wert. Gerade auch in Verbindung mit der Möglichkeit, die japanische Noiserock-Institution einmal nicht in Wien, sondern endlich auch in Graz – im (soundtechnisch wie immer überzeugenden) Forumskeller – erleben zu können. Zumal es der einzige Österreich-Stop der diesjährigen, abseits davon abermals erstaunlich ausführlichen Europatour ist.
Während die Band auf einem Sightseeing-Trip durch die Innenstadt von Graz ist, darf man schon vorab ein bisschen sinnieren: Unglaubliche 25 Jahre ist es bereits her, dass die damals 19 Jährigen Yasuko Onuki und Ichirou Agata Melt-Banana gründeten. Eine Zeitspanne, die man Gitarrenmaniac Agata (hinter der obligatorischen Atemschutzmaske) im Gegensatz zur alterslosen (und mit heftigem Schuhwerk antretenden) Yako übrigens durchaus ansieht, aber auf der Bühne kaum anmerkt: Auch wenn die Performance mittlerweile ein wenig statischer geworden ist, erzeugen die weiterhin so frisch und motiviert abliefernden Melt-Banana immer noch mit ureigener Handschrift einen zwingenden Druck, dem man sich praktisch nicht entziehen kann.
Auf die richtige Betriebstemperatur für Melt-Banana bringen zuvor aber Baguette. Manuel Finster und Philip Prugger, zwei Derwische an (mit Grohl’eskem Style gespielten) Drums und Gitarre, die ihren Noiserock (live durch Visual Arts-Bastler Leszek) herrlich vertrackt und um die Ecke gedacht zirkeln können, aber schlau genug sind, immer wieder genug Ansatzpunkte für breitbeinig rockende Szenen und nackenbrechende Abfahrten zu setzen.
Perfekt aufeinander eingespielt treiben Baguette insofern irrsinnig kurzweilig in die impulsive Bresche, die zwischen Lightning Bolt und Death from Above existiert, bauen Spannungen auf und kicken ordentlich. Dass man derartige Attacken bereits anderswo ganz ähnlich konzipiert gehört hat, spielt deswegen auch kaum eine Rolle. Zu zwingend legt sich das nominelle Trio schließlich in die Darbietung, zu schlüssig ist das grundlegende Songwriting. Einzig die Ausflüge in experimentelle Feedbackgefilde und Doom-Landschaften lockern weniger die generelle Gangart auf, als dass sie im Nirgendwo verlaufen und der Kombo weniger gut stehen.
Warum nach einer Zugabe verlangt wird, steht dennoch nicht zur Diskussion: Baguette sind ein kraftvoller Schleudersitz, der auf der Bühne noch mehr Spaß macht, als auf Tonträger. Nichtsdestotrotz unbedingt vormerken: Im April 2018 kommt der Nachfolger zu oh!deu!vre!.
Derart flott wird es bei Melt-Banana mit Studioalbum acht sicher nicht gehen. Immerhin sind seit dem 2013er-Glanzstück Fetch (zu dem die immer noch superfreundliche Band ja seinerzeit ein paar Plattentipps abgab) gerade erst 4 Jahre vergangen. Eine Nichtigkeit im mittlerweile keineswegs rapiden Veröffentlichungsrhythmus der Band (deren Discografie seit damals gerade einmal um einige wenige Compilationbeiträge sowie Split-Kooperationen mit Napalm Death oder Senyawa gewachsen ist).
Ein Vertreter von Fetch entlässt dann passenderweise übrigens auch in die Wartezeit auf das nächste Melt-Banana-Konzert: Gemeinsam mit dem Louis Armstrong-Cover What a Wonderful World toben Yasuko und Agata durch das furiose Candy Gun als finale Zugabe, bevor die Band in Windeseile ihr (sehr fair ausgepreistes) Merch direkt im Anschluss an die letzten verklingenden Töne auf der Bühne zu verticken beginnt. Was in der Unmittelbarkeit des Übergangs vom musikalischen Antrieb zum finanziellen Business vielleicht skurril wirken kann, jedoch auch zum nahbaren DIY-Charme der Japaner beiträgt. Ganz abgesehen davon: Durch die knappe Dreiviertelstunde Spielzeit zuvor frisst man dem Duo ohnedies längst aus der Hand.
Immerhin fegen Melt-Banana von Chain-Shot to Have Some Fun weg durch eine atemlose Setlist, die hinter einem ersten Block rund um The Hive oder Vertigo Game eine Stafette aus sieben kurzen Sekundensprintern hinterherjagt, und danach hastig zu hauseigenen Hits wie Shield for Your Eyes, a Beast in the Well on Your Hand oder Lie Lied Lies findet.
Das ist von der ersten Sekunde an verdammt unterhaltsam, wird aber trotzdem mit Fortdauer nach und nach immer besser. Das (zwar verhalten bleibende, aber nicht reserviert zu bespielende) Publikum taut langsam auf, der Funke springt immer bedingungsloser über. Die Band hat sichtlich Spaß am Trubel, die perfekt einstudierte Dringlichkeit hat sich ihr impulsives Fieber bewahrt. Die Präsenz der beiden Szene-Virtuosen ist fesselnd, hämmert und hyperventiliert und zerhackt Konventionen, keine Sekunde klingt nach abgespulten Standards.
Dabei ist es durchaus beachtlich, wie grandios Melt-Banana live auch als Duo funktionieren. Agata kitzelt aus seiner Gitarre und den Effektpedalen superschnelle Delays und Orgelimitationen gleichermaßen, ist immer noch eine versierte Bank, während Yako neben der patentierten Hochdruckleistung ihrer piepsenden Stimme mit Midipad auch die Beiträge von Bass und Schlagzeug dirigiert. Ein bisschen Eingewöhnungszeit braucht dieses Erscheinungsbild immer noch, bevor die antrainierte Formvollendung mit überraschend natürlichem Sound aus den Boxen bügelt und einen unwillkürlich an der Angel hat.
Sicher hat das verglichen mit jener Zeit, als Melt-Banana noch als vollwertig-organische, vierköpfige Band unterwegs waren eine andere Dynamik – mitunter mutet das Spektakel des durch konservierte Aufnahmen verstärkten Duos in dieser Konstellation phasenweise gar wie eine avantgardistische Kunstperformance an. Es fällt allerdings im Grunde keinen Deut schwächer oder weniger furios rockend aus, wirkt weniger packend oder mitreißend. Viel mehr haben Agata und Yasuko es auch auf der Bühne längst geschafft, die Essenz von Melt-Banana auf die beiden existentiellen Grundpfeiler fokussiert zusammengefasst zu haben, ohne die restlichen Trademarks zu skelettieren oder zu verwässern.
Aber eben: Auch ohne exzessiven Pit und demonstrative Ausgelassenheit des Publikums vor sich, oder hemmungslose Rhythmussektion im Rücken sind Melt-Banana als Nischensensation des Noiserock mit Exotenbonus nach wie vor ein pures Erlebnis, das man sich nicht entgehen lassen sollte. Nur zu gerne so bald als möglich wieder.
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