Mazzy Star – Still
Bis auf die für sich alleine stehende Record Store Day-Single I‘m Less Here / Things ist es auch schon wieder 5 Jahre her, dass das Comebackwerk Seasons of Your Day so formidabel in Erinnerung gerufen hat, dass der Trademarksound von Mazzy Star kein Ablaufdatum kennt. Daran ändert nun auch Still nichts.
Und das, obwohl Hope Sandoval und David Roback auf der offiziell ersten Mazzy Star-EP überhaupt durchaus andeuten, das angestammte Soundkostüm ihrer Band von innen heraus ganz vorsichtig auflösen oder erweitern zu können, ohne dafür ein unbedingtes Gefühl der Vertrautheit aufzugeben.
„This particular song really came out of the piano. We’ve had other songs like that in the past, but we’ve always adapted them for elecrtric organ„ erzählt Roback über den Opener der Platte und bringt damit schon ein Beispiel für die sehr subtile Aufbruchstimmung, die Still durchzieht. Besagtes Quiet, the Winter Harbor existiert bereits seit mindestens dem Jahr 2000 als Livesong und findet hier nun also als kontemplativ getragene Pianoballade seine Studioaufarbeitung, in der sich Sandovals zeitlos ätherische Stimme in schwebende Melancholie legt. Die Gitarren wehen erst kaum wahrnehmbar ins Geschehen, der zarte Beat auf der Hi-Hat scheint so filigran, als könnte alles in sich zusammenstürzen, bevor die Ausschmückungen von Roback mit reverbverwaschener Nostalgie gen Twin Peaks aufblühen. Der schwerelos plätschernde Sog, der daraufhin entsteht, könnte so traurig aus dem Fenster blickend gut und gerne ewig dahinlaufen – weswegen das Ende nach etwas über 4 Minuten auch beinahe zu abrupt stattfindet.
Dennoch übernimmt That Way Again – eventuell sogar bereits Baujahr 1994 – stimmig: Mazzy Star spielen nun ein bisschen griffiger und mit klarer gezogenen Konturen, näher am entschleunigten Countryrock: Die Akustikgitarre, der unaufdringliche Rhythmus, die sehnsüchtig in die fuzzigen 90er heulende Leadgitarre, die elegische Stimme. Alles schweift unangestrengt um Nuancen hippiesker und jamlastiger gniedelnd dahin; umspült weniger, als dass es nunmehr doch an der Hand nimmt.
Soweit funktioniert die typische Formel der Band dann anhand zweier – mal mehr, mal weniger klassischer – Fanpleaser auch auf Still ohne Überraschungen relativ wertkonservativ und holt den schmachtenden Anhänger unmittelbar ab. Atmosphärisch enorm einnehmend, wenn auch rein kompositionell risikoscheu: Routinearbeiten, wenn man so will, jedoch im besten Sinne. Trotzdem – oder gerade deswegen – sind die beiden Nummern schließlich von der Qualität, die man auch auf einem regulären Nachfolger von Seasons of Your Day rundum gutheißen würde.
Per se interessanter (allerdings keineswegs notwendigerweise essentieller) wird Still jedoch erst auf der zweiten Seite. Der Titelsong lehnt sich über eine kratzig-brodelnde Viola an The Velvet Underground, die Gitarre schrammelt ungemütlich und Sandoval lamentiert traumwandelnd vor sich hin. Nicht immer wollen sich Mazzy Star derart den natürlichen Harmonien und Melodien entgegenstemmen, gegen den warmen Strich arbeiten. Das Songwriting bleibt deswegen skizzenhaft und der kürzeste Track der EP – wohl sowas wie angenehmer Nighmarepop als Umkehrschluss zum angestammten Dreampop – grundsätzlich eher ein Interlude zur (.ascension version) von So Tonight That I Might See.
Die Neubearbeitung des Titelsongs des 1993-Studioalbums bremst Still in seinen finalen 8 Minuten zu einer psychedelisch fiebrigen, droneschwer wabernden Orgelnebelwand aus, der Gesang verschwimmt elegisch im Doors-Trancezustand, nichts bricht aus. Die Gitarren fiepen und jaulen wie im Pink Floyd-Universum. Mazzy Star haben hier abseits der hypnotisierenden, orientalisch-mystischen Monotonie-Rhythmik des Originals eine sphärisch-halluzinierende Odyssee in ambientere Welten geschaffen. Irgendwann beginnt die Gitarre sich gar giftig auf die Hinterbeine zu stellen, der Spannungsbogen bäumt sich auf, ohne die losen Fäden zusammenzufügen oder letztendlich in seinem ziellos-stoischen Brüten irgendwo anzukommen.
Ob diese bewusst (ebenfalls) mäandernde Interpretation nun einen tatsächlichen Mehrwert in direkter Relation zum Original hat, bleibt ebenso schwer zu sagen, wie Still im Werk von Mazzy Star ganz allgemein zu verorten. Wohin genau ein durchaus kohärenter Zusammenschluss einer schöngeistig-gefälligen Hälfte sowie einer latent unausgegorenen, aber theoretisch spannend veranlagten zweiten Seite führen wird, lässt sich kaum orakeln.
Eventuell sollte man es wie Sandoval und Roback selbst machen, nicht zuviel nachdenken, sondern sich einfach intuitiv in das zusammengetragene Material fallen lassen und im mit geschlossenen Augen folgen. Soll die Zeit zeigen, ob Still als EP mit erkennbaren Nahtstellen bereits das zarte Andeuten einer Übergangsplatte, eine die Mottenkiste aufräumende Zäsur oder das Durchatmen vor mehr Komfortzonenerbverwaltung darstellen wird. Im Grunde egal, denn alles davon wäre willkommen, kann man bei Mazzy Star doch auf eine grundlegende qualitative Zuverlässigkeit bauen.
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