Max Richter – The Leftovers: Music From The HBO Series Season 2
Dafür, dass (das leider indirekt bereits abgesetzte, jedoch noch für einen abschließenden dritten Jahrgang verlängerte) The Leftovers eine Ausnahmeserie der Extraklasse ist, sorgt nicht zuletzt auch der fantastische Score von Max Richter. Wie die zweite Staffel generell beschreitet auch der deutsch-englische Komponist dabei durchaus neue Wege in der musikalischen Untermalung.
Dass das dramatische Titelthema der ersten Staffel nun gegen die leichtgängige, vor allem auf Metaebene so herrlich selbstironisch wie bedrückend fröhliche Countrynummer ‚Let the Mystery Be‚ von Iris DeMent ausgetauscht wurde, kam bei einem überwiegenden Anteil der Fans der Serie von Tom Perotta und Damon Lindelof nicht allzu gut an, durfte aufgrund seiner entrückten Stimmung aber durchaus als Sinnbild der zweiten Season von The Leftovers herhalten: Während sich die Kritiker immer mehr für die ihr Setting und die allgemeine Ausrichtung neu gewichtende HBO-Produktion erwärmen konnten, gingen die Quoten in den Keller und die Handlung noch weiter ins Übernatürliche.
Ungeachtet solcher Faktoren wie dem fehlenden starken Lead-In am Originalsendeplatz kam die unkonventionelle Gangart der Serie eben nicht überall an, mehr noch – die polarisierende Tiefenwirkung von The Leftovers verschärfte sich im zweiten Jahrgang abermals. Ob man das nun wahlweise als religiöse Mystery-Esoterik oder (richtiger!) als das mitunter atmosphärisch dichteste, emotional packendste, storytechnisch gefinkelste, schauspielerisch und inszenatorisch hochklassigste Drama, das derzeit in der TV-Landschaft existiert, wahrnimmt, ist es wohl kein schmaler Grat.
Doch egal auf welcher Seite der Zuneigungs-Front man sich nun hinsichtlich der Gunst für The Leftovers positioniert: Der Score von Neo-Klassik-Meister Max Richter sollte weiterhin der konsenstaugliche Part der Serie sein, den man mit seiner ergreifenden, schlichten, verzaubernd andersartigen Schönheit ohnedies goutieren kann.
Das grandiose ‚Let the Mystery Be‚ ist nun übrigens nicht auf ‚The Leftovers: Music From The HBO Series Season 2‚ zu finden – wie auch die mehrmals verwendete ‚Where is My Mind‚-Interpretation von Maxence Cyrin oder Giuseppe Verdi’s ‚Gefangenenchor‚. Zumindest letztere beiden hätten sich nahtlos in das restliche Gesamtwerk des 18 Stücke umfassenden Scores eingefügt und fehlen nun sogar aufgrund ihrer markanten Präsenz in der Serie durchaus.
Neben der bisher ausschließlich digitalen Veröffentlichung der Arbeit ([amazon_link id=“B00ZFOUR04″ target=“_blank“ ]Vinyl wie bei ‚The Leftovers: Music From The HBO Series Season 1′[/amazon_link] scheint aber nicht unwahrscheinlich) allerdings das einzige gravierende Manko, dass man ‚The Leftovers: Music From The HBO Series Season 2‚ vorwerfen kann. Denn dass der Score zur zweiten Staffel nicht ganz den umwerfenden, übermannenden Effekt wie sein Vorgänger ausübt, ist nämlich vorrangig der Tatsache geschuldet, dass Max Richter diesmal ohne Überraschungseffekt daherkommt, sich dafür aber mit einer immensen Erwartungshaltung angesichts der im besten Fall regelrecht magischen Aura von ‚The Leftovers: Music From The HBO Series Season 1‚ konfrontiert sieht.
Allerdings auch damit, dass Richter genau diese nun immer wieder umgeht, neue Wege beschreitet, den Grad an offenkundiger Dramatik allgemein zurückschraubt und eine introvertiertere, weniger klassisch orchestrale Gangart als bisher forciert, die immer wieder andere, unterschwelligere Ausdrucksformen für die bedrückende, hoffnungsschwangere Soundwelt des Leftovers-Universums findet.
Schon das eröffnende ‚Entropy for Meg‚ wirkt da als kristalliner Sonnenaufgang wie ein klarer Neuanfang, der in seiner meditativen Klarheit den Weg für Neujustierungen ebenet, die gar mit relativen Postrock-Tendenzen liebäugeln. ‚Crossings‚ werkt demnfolgend dunkel und ungemütlich bratzend, als noisig abgedämpftes, unheilvoll schrammend aufgehendes Beinahe-Gitarrenstück, während ‚A Bird in a Box‚ als Klangcollage mit blechernem Rhythmus und unwirklich fiepender Elektronik so melancholisch und ätherisch wie sorgenvoll die diesmalige Grundstimmung und Herangehensweise determiniert: Space Is The Place, eine ertrinkende Vertonung der Wiederkehr. Das angriffslustige ‚A Crowd of People Turned Away‚ baut dagegen auf martialisch intensive Stimmung, die Streicher fauchen wie lauerende Attacken.
Mehr noch als anhand des Sigur Ròs-artigen Glimmerns in ‚Bright Cloud for Jill‚ oder relativ konventioneller Szenen-Untermalungen wie ‚That Solitary Moment Together‚ kann man die Phasenverschiebung von Staffel 1 zu Staffel 2 jedoch anhand der Aufbereitung der zwei großen Themes der Show nachvollziehen: ‚The Departure (Phone Call)‚ lässt Bekanntes mit Slide-Gitarre als weinende Westernmusik neu erstrahlen, bevor das märchenhaft getriebene ‚Dona Nobis Pacem 3 (Evie)‚ justament wenn das Panorama erwartungsgemäß dramatisch, groß und überwältigend zu werden droht die 180 Grad-Wendung nimmt: Richter unterbricht und schickt den Song in die Unterwelt, bastelt plötzlich ein beängstigend dunkeles Gebilde aus wummernder Elektronik und schneidenden Effekten und entlässt ungemütlich verstört, anstelle die reservierte Gänsehaut einzufordern.
Für das damit einhergehende Gefühl der Geborgenheit sorgen eher die Stücke, die sich näher an Staffel 1 bzw. dem für The Leftovers so gerne aufgearbeiteten Backkatalog Richters orientieren. ‚The Departure (Diary)‚ beruhigt als reduziertes Pianostück, ‚Storybook‚ streichelt lieblich wie eine Jon Brion-Komposition. Das traurige ‚Tenebrae‚ inszeniert das Tasteninstrument mit einem endlos tiefen Klanggefühl ala ‚[amazon_link id=“B00KZJEN7M“ target=“_blank“ ]Still[/amazon_link]‘ von den Nine Inch Nails, die Streicherarrangements in ‚Tom’s Lullaby‚ sind reinster Seelenbalsam und ‚Dark Cloud for Kevin‚ trägt den Himmel entgegen seines Titels voller Geigen.
Eine derart versöhnliche Geste wie die ‚Small Ensemble Version‚ des ‚The Leftovers Main Titles Season 1‚ als abschließenden Bonustrack hätte es damit gar nicht notwendigerweise gebraucht, unterstreicht aber noch einmal die Wandelbarkeit und Vielseitigkeit von Richters Kompositionen, auch ihre neu gefestigte Unberechenbarkeit. Wohin die Reise mit der finalen Staffel von The Leftovers gehen wird bleibt insofern nicht nur aus musikalischer Perspektive spannend (zumal es schön ist, dass der Sender aus der zu frühen Absetzung von etwa Carnivàle gelernt zu haben scheint und The Leftovers die Chance auf einen noch runderen Abschluss spendiert). Die Chancen stehen aber gut, dass es die Serie als Gesamtkunstwerk in die HBO-Geschichte eingehen wird.
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