Mark Lanegan – Blues Funeral
Gut acht Jahre nach ‚Bubblegum‚ öffnet die Reibeisenstimme endlich wieder die Gruft zu seinen Soloalbum. Da stehen mittlerweile Drumcomputer und Keyboard, vegetiert düstere Westernmusik aus der Steckdose.
Der Bass im Opener grummelt tief und monströs, droht einem förmlich den Magen auszuheben. Lanegan schraubt seine Stimme dazu noch tiefer und vibriert mit Urgewalt. Keine halbe Minute braucht ‚Funeral Blues‘, um daran zu erinnern, wie gut Soloalben des ewig grantig dreinblickenden sein können. Natürlich war es schön, den Mann mit dem so markanten Organ gemeinsam mit Isobell Campbell Country Songs singen zu hören. Von dem abgründigen Schwermut erfasst zu werden, mit dem Lanegan die Alben der Soulsavers veredelte. Auch die Hilfestellung, die er immer wieder dem Aufbegehren von James Lavelle gegen dessen UNKLE Debüt entgegenbrachte, konnte man wertschätzen. Von den Gutter Twins ganz zu schweigen. Doch das hier ist eben Lanegan pur. Wieder mit dem alten Bekannten im Schlepptau – unter anderem mit Jack Irons, Greg Dulli und Josh Homme sowie dem ewigen Sidekick Alain Johannes an zahlreichen Instrumenten und am Produzentenstuhl. Betrachtet man Lanegans Beitragsliste in den Jahren seit ‚Bubblegum‚, verwundert es dann auch kaum, dass all die Ausritte in mitunter stark elektronisch geprägte Gefilde deutlich ihre Spuren auf dem erst siebten Soloalbum Lanegans hinterlassen haben.
Bis zu ‚Riot in my House‚ dauert es, bis der erste von Riffs dirigierte Song über ‚Blues Funeral‚ hereinbricht. Ein Stück, welches sich auch auf dem Vorgängeralbum prächtig gemacht hätte. Von jenem hat Lanegan nur seine Stimme und die Lust mitgenommen, ein weiteres Album anhand ambivalenter Songs zu einem homogenen Trip zu formen. Sinistre Melodiebögen spannen sich über die dunkle Grundstimmung, stoische Rhytmen aus der Büchse haben die strenge Kontrolle über ‚Blues Funeral‚, dirigieren das Songwriting und machen eine organische Platte im elektronischem Sinn skelletierter, als sie es Tatsächlich ist. Da gurgeln die Bässe als futuristische Ausgabe des bluesaffinen Country vergangener Jahre, Lanegan hat seine Musik in eine aschfahle, mystische Verwandschaft des Trip Hop mutieren lasse, lässt Synthesizer und Midi Streicher zu. Er singt dazu immer noch Texte wie „If tears were liquor, I’d have drunk myself sick„. Dieser Stimme glaubt man alles.
Ein ums andere Mal führt Lanegan vor, wie gut das „neue“ Soundgewand ihm steht. Das sich hypnotisch ausbreitende ‚Bleeding Muddy Water‚ dehnt sich über sechs Minuten zu einer schmerzhaften Elegie der Niedergeschlagenheit, die Gitaren wehen wie Wüstensand durch den Abspann. ‚Gray Goes Black‚ reißt im nächsten Moment das Steuer herum, ist mit knisternden Hi-Hat Beats beinahe flotter Pop und bekommt sogar ein Gitarrensolo spendiert. In ‚Phantasmagoria Blues‚ klicken die Rhytmen zur einlullenden Melodie, ‚Harborview Hospital‚ öffnet als einziger Song mit beinahe Coldplay-tauglichen Gitarrenfiguren den Soundkosmos, deutet nicht nur dank astreiner 80er Synthies sowas wie Sonnenschein an. Und sofern jemals die Frage im Raum stand, wie die Queens of the Stone Age mit Super Furry Animals Refrains klingen würden: bitte in ‚Quiver Syndrome‚ nachhören, diesem Zugeständnis an vergangene Tage.
Nicht immer geht die Neuorientierung gut: Mittendrin platziert Lanegan mit ‚Ode to Sad Disco‚ prominent den einzigen Ausfall der Platte, mit pumpenden Billigbeat und Dosenstreichern. Ein gruseliger Discostampfer im schlimmsten Sinne, der ein Loch in ‚Blues Funeral‚ zu reißen droht, von dem sich das Album beinahe nicht mehr erholen kann.
Auch der überlänge Schlusspunkt ‚Tiny Grain Of Truth‚ kommt als mit Streichern übergossener The Notwist Song nicht wirklich vom Fleck, da wäre ‚Deep Black Vanishing Train‚ die bessere Wahl als Schlußpunkt gewesen. 45 Minuten dauert es, bis man den ganz alten Lanegan zu hören bekommt. Eine einsame Akkustische im Rampenlicht genügt für wahrhaftige Erhabenheit.
Ein Attribut, welches ‚Blues Funeral‚ beinahe über seine gesamte Spielzeit ausstrahlt. Ob eklatanter Selbstzweifel musste Lanegan erst wieder den Mut zu disem Soloalbum finden. Und hat dem ihm angestammten Blues schlußendlich ein Beerdigungsständchen gebracht. ‚Funeral Blues‚ ist ein Durchlüften für Lanegans Solokarriere geworden, vielleicht sogar das Aufschlagen eines neuen Kapitels. Um das herauszufinden müssen jedoch hoffentlich keine weiteren acht Jahre ins Land ziehen.
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