Marissa Nadler – For My Crimes
Ohne Randall Dunn am Produzentenstuhl entschlackt Marissa Nadler ihren gespenstischen Folk und legt mit For My Crimes ein klassischeres, weil wieder archaischeres Werk, als es die beiden Vorgänger July (2014) und Strangers (2016) waren, vor.
Vielleicht scheint es rückblickend auch schlüssig, dass Nadler Ihrem achten Studioalbum das minimalistisch gehaltene Doppel aus Covers 1 und Covers 2 vorwegschicken wollte. Denn mit For My Crimes sollte wieder ein weniger (freilich relativ zu verstehen!) opulent ausgeschmückter Rahmen um ihr Songwriting klammern, ein das asketische Songwriting in den Vordergrund rückender Fokus erkennbar sein – wofür Nadler letztendlich auch bereits bestehendes Material verwarf, um eine andere Intensität als zuletzt nachzulegen.
Gemeinsam mit den beiden Co-Produzenten Justin Raisen und Lawrence Rothman ist so ein zutiefst typisch die Trademarks von Nadler bedienendes, im Grunde eben absolut klassisches Werk entstanden -schnörkelloser, als die beiden Alben mit Randall Dunn. Ein vor Schuld, Sühne und Sehnsucht strotzende Stück Musik voll unaufgeregtem Chamber Folk, zeitloser Goth-Stimmung und mitternächtlichen Dreampop-Flair in bittersüße Melancholie, das sein Drama explizit in der schüchternen Entschleunigung und Reduktion findet, sich aber selbst dann ansatzlos in den Nadler‘schen Kanon einfügt, wenn die 37 Jährige den introspektiven Blickwinkel wie im (stilistisch den Ton vorgebenden) in stiller Verzweiflung flehenden Wehmut-Opener (respektive der Titelnummer) ausnahmsweise aus der Sicht eines Todeszellen-Kandidaten erzählt.
Denn: „The songs stare down the dark realization that love may not be enough to keep two people together through distance and differing needs.“
Im Kern besteht For My Crimes dafür aus zurückgenommener Ablenkung und an der Oberfläche spartanischer inszeniert alleine aus Nadlers gespenstisch im Reverb schwebender Stimme, ihrem sorgsamen Fingerpicking auf der akustischen Gitarre und verdammt viel Raum für Atmosphäre. Mit einer dezenten Subtilität kleiden Nadler und ihre Produzenten die unheimliche Schönheit von For My Crimes jedoch immer noch mit kleinen Details in den Arrangements aus, diesmal quasi klammheimlich: Hier und da schwelgen leise Streicher durch den Hall, dort trösten die vagen Ahnungen schüchterner Bläser und sphärischer Synthie-Anstriche oder elegische Backingstimmen – die („With the exception of a single saxophonist“ ausnahmslos weibliche, namentlich genannte Gästeliste) ist mit Angel Olsen, Sharon van Etten, Harfespielerin Mary Lattimore und Multiinstrumentalistin Janel Leppin nicht nur prominent, sondern auch reichhaltig die Texturen andeutend bestückt.
Durch die derart drastisch auf Zurückhaltung und Entschleunigung setzende Inszenierung von Nadler genügen so schon minimale bewegte Impulse und Nuancen äußerer Einflüsse, um gravierende Auswirkungen auf die Dynamik und die zart fließende Spannung zu haben. Am markantesten wird dies im überragenden Blue Vapor, dem lynchesken Herzstück der Platte, wenn fast schon hymnisch wirkende Streicher und Bläser für deutlichere Konturen sorgen, das Schlagzeug von Hole-Schlagzeugerin Patty Schemel hinten raus sogar für eine gewisse Physis samt greifbaren Tempo.
Selbst in dieser vermessenen Distanz pflegt For My Crimes jedoch eine relativ geringe Spannweite und Variation der „slow songs„, die schon auf den Erstkontakt ein beinahe heimeliges Gefühl der Vertrautheit erzeugen, dann aber doch auch eine zu ausführliche Gleichförmigkeit in der Gangart und Explizität an den wolkenscheren Tag legen. Nadler erfindet sich mit dieser Rückkehr zur Prä-Bella Union/Sacred Bones-Phase eben keinesfalls neu, im Gegenteil – dass ihre Kompositionen alle aus dem selben Pool abgeschöpft werden, war wohl sogar noch nie deutlicher als hier.
Vielleicht erreichen die Highlights der Platte auch wegen dieser typisierten Vorhersehbarkeit trotz ihrer Tiefe nicht gänzlich die Höhen vergangener Großtaten, wo einige gelungene Standards auch eher als zuverlässig einlullende Füller im Dienste der Ästhetik funktionieren.
Allerdings wächst For My Crimes aus gerade dieser Geborgenheit heraus doch mit jedem Mal deutlicher ans schwere Herz, pflegt seine ätherische Eleganz und setzt seinen subtilen Auftreten eine enorme Deutlichkeit in der Agenda hintennach, die gerade auch durch kompakte Kürze der Platte von gerade einmal annähernd 30 Minuten erstaunlich direkt auf den Punkt findet. So bestechen nicht nur detaillierte Szenen wie die kleine Gitarrenhook-Verzierung in Interlocking, einer sonst unscheinbaren Nummer eine zeitlos-nostalgische Klasse verleiht, sondern reihen sich liebestrunkene Ohrwürmer wie I Can’t Listen to Gene Clark Anymore, Lover Release Me, You’re Only Harmless When You Sleep oder Said Goodbye to That Car auch in die Liste unverwüstlicher Kandidaten für Playlisten ein, die die sonnige Laszivität der Lana Del Rey gegen eine unglückliche Romantik tauschen – düster, aber nicht finster und kalt. Sondern so seelenstreicheln traurig, wie nur Nadler das kann.
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