Marianne Faithfull with Warren Ellis – She Walks in Beauty
She Walks in Beauty, wahrhaftig: Die unverwüstbare Marianne Faithfull rezitiert Gedichte des frühen 19. Jahrhunderts und streift dabei durch die ambienten Klangwelten von Warren Ellis.
Faithfull hat im vergangenen Jahr eine schwere Covid-Erkrankung überlebt, musste sich erst wieder zurückkämpfen – was aber so ja ohnedies in ihrer Natur liegt – um sich den Traum einer Spoken Word-Platte zu erfüllen, auf der sie Werke verehrter Poeten interpretiert. Vielleicht wirkt ihr sprechender, nicht singender Vortrag als Zentrum in aller Gravitas auch deswegen ein wenig, nicht unbedingt bieder, aber doch zurückhaltend. Faithfull rezitiert (drei Gedichte von Keats, zwei von Shelley, Wordsworth und Byron sowie jeweils eines von Thomas Hood und Alfred Lord Tennyson) jedenfalls mit ihrem patentierten rauchigen Timbre und der überlegt akzentuierten Stimme einer 74 jährigen, die keine theatralische Aufregung benötigt, um zu fesseln und Spannungsbögen zu erzeugen, deren nüchterne, schnörkellose Ernsthaftigkeit auch für eine akkurate Präzision sorgt.
Ein Eindruck, der durch die abstrakte musikalische Begleitung noch verstärkt wird.
Auftritt Warren Ellis. Dass der Multiinstrumentalist und Produzent ganz famos mit der Grande Dame harmoniert, das weiß man spätestens seit Negative Capability. Der Ansatz hier ist jedoch ein anderer, wie (der, nachdem PJ Harvey-Intimus Head die Performance von Faithfull aufgenommen hatte, an Bord gekommene) Ellis erklärt: I didn’t think of them as songs. I wasn’t locked into melodies or chords. I could take incredible liberties. It wasn’t about creating something that had to follow the text or outline it – it was free in that respect. The important thing was that it didn’t get in the way.”
Genau so funktionieren seine Soundgrundierungen dann auch: Ätherische Ambient-Welten und esoterische Keyboard-Klanglandschaften, die strukturoffen und entschleunigt aus anderen Sphären herübertreiben und wehen – melancholisch und nachdenklich optimistisch und warm. Ein bisschen wie eine betörender musikalischer Nachsatz zu Ghosteen, jedoch den Kitsch nicht derart hofierend, ohne Chöre und Opulenz deutlich subversiver und unaufdringlicher arrangiert als bei Nick Cave. Der sitzt hier übrigens am Klavier und streut kleine Facetten in das Spektrum, das auch von Cellist Vincent Ségal ausgeschmückt wird, während Brian Eno (übrigens mit Synthie-Verbot von Faithfull belegt) in La belle dame sans merci und dem knapp zwölfminütigen The Lady of Shallot für spacige Texturen sorgt.
Wenn die Ahnungen von Melodien also wie zufällig passieren, nonchalant begleiten und wieder verschwinden, sich wie romantische Beete hinter die Haltung zeigenden Erzählungen von Faithfull legen, ist das dann primär zwar ein Liebhaberprodukt, aber eben keine reine Spoken Word-Gebrauchsmusik oder willkürlich arrangierte New Age-Tapete. Für The Prelude: Book One Introduction schimmern etwa ausnahmsweise etwas bedrückendere Basinski’eske-Nuancen in die stille Begleitung, die nur für wenige Sekunden durch die letzten Meter streichende Violine wirkt umso tragischer. In To the Moon holt das sanfte Klavier sofort ab und taucht imaginativ texturiert in den Sternenhimmel hinauf. Dass Faithfulls Stimme später wie über kosmischen Funk kommt, ist ein unnötiger Effekt einer ansonsten so organisch fliesenden, gefühlvollen und authentischen Platte, der man vielleicht vorwerfen kann, dass Ellis keine wirklich eigene Bildsprache für die Engländerin gefunden, sondern seine eigene (und damit eindeutige Assoziationen zu den jüngsten Bad Seeds-Werken) adaptiert hat.
Man fühlt die unendliche, zeitlose – aber durch den Fokus auf Faithfull niemals ziellos wirkende – Weite von She Walks in Beauty jedenfalls zu jedem Zeitpunkt, da Musik und Stimme sich gegenseitig stets soviel Raum geben, nichts aufdringlich wirkt, alles in Symbiose funktioniert, einen respektvollen Traum reflektiert, der womöglich in jeder Hinsicht auf gegenseitigem Respekt beruht.
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