Manic Street Preachers – Futurology
Was man den Manic Street Preachers zu Gute halten muss: auch nach über zwei Jahrzehnten im Geschäft zeigen die Waliser mehr Mut sich aus dem Fenster zu lehnen als so mancher Jungspund. Dass sich dabei nicht jedes Risiko auszahlt verzeiht man ihnen alleine deswegen anstandslos.
Es ist nun also nicht so dass das simultan zum stillen, akustisch ausgelegten ‚Rewind the Film‚ entstandene ‚Futurology‚ ein schwaches Album wäre – es ist nur (vor allem auch in Anbetracht des beeindruckenden Laufs dass das Trio mit der brillanten Richey Edwards-Revue ‚Journal for Plague Lovers‚ und dem guten Stadionzug ‚Postcards from a Young Man‚ zuvor hatte) eines, das man zuerst vor allem wegen seiner weniger gelungenen Momente und Sackgassen-Entscheidungen wahrnehmen wird.
An erster Front steht da natürlich das kontrovers diskutierte ‚Europa geht durch mich‚, dieser maschinell schleppende Stomper mit dezentem Industrial-Beigeschmack und dem zum Fremdschämen verleitenden, gestelzten Song Contest-Gastspiel von Nina Hoss. Nicht der einzige waghalsige Grenzgang: das instrumentale ‚Dreaming A City (Hugheskova)‚ klingt, als hätte die Band versucht den Titelsong für ein Miami Vice-Reboot mit einem Speedboot in der Hauptrolle zu schreiben, ‚Sex, Power, Love And Money‚ wagt erst den Spagat zwischen Disco und Faith No More-Crossover bevor die Manics den Song Richtung Hitbrecher lenken. Zu überambitionierter Letzt die doch sinnlose Gitarrenaufwärmübung und Songbaustelle ‚Mayakovsky‚ als deplatzierter Closer. Das launige ‚Let’s Go to War‚ ist ein Geisterwaldszenario, hat aber kein Ziel als im Einklang den Titel zu proklamieren. ‚Futurology‚ ist eine der politisch motivierten Platten der Manics, die den Zeitgeist im Auge hat und über deutsche Autobahnen schwadroniert und darüber Moskau mit dem Flieger zu verlassen, eine, die sich für Kunst interessiert: „I am the Sturm and Drang/ I am the Schadenfreud(e)/ I was the boy who sang/I can still fill your void“ – und dabei die Gefühlsebene doch auch öfter ausklammert als einem das lieb ist.
Ein Album das in Berlin aufgenommen wurde muss einfach seine Krautrockambitionen durchschimmern lassen, ‚Futurology‚ klingt nach Wave, nach 70ern, nach frühen Simple Minds: „Post, Punk, Disco, Rock“. Dass ein ‚Walk Me to the Bridge‚ in seinem Refrain gleich glasklar in die 80er abhebt gehört zum Konzept der Platte: „Futurology“ meint bisweilen flächige Synthies und Keyboardverzierungen, die durch beinahe jeden (wenn auch gelegentlich nur im Detail arragiert) Song geistern, den Kompositionen – zumeist klassisch gestrickte Manics-Rocksongs – zwar nicht in jedem Fall einen erkennbaren Mehrwert verschaffen, manchmal gar einen regelrecht altbackenen Anstrich verleihen. Im internen Kontext funktioniert der Ansatz allerdings durchaus – und dafür wird man das zwölfte Album der Band eigentlich in Erinnerung behalten: auf ‚Futurology‚ klingen die Manics vital und neugierig, neu. Es ist auch diese Spielfreude, die den Reiz einer Platte ausmacht, die klingt wie kein anderer Vertreter der Banddiscographie.
Darüber hinaus gelingen der Band auch wieder großartige Nummern wie ‚The Next Jet To Leave Moscow‚ als flotter, regelrecht euphorisch geöffneter Pop, der shakende Scritti Politti-Beinahe-Elektrosong ‚Between The Clock And The Bed‚ mit seinen herrlich übers Ziel hinausschießenden Chor-Finale, das erhaben ausgebreitet balancierende ‚Misguided Missile‚ oder das diffus aus der Steckdose gezogene ‚The View From Stow Hill‚ mit seiner sorgsamen Melodie.
Der letzte Funke zur Manics-Genialität will aber eben nicht immer überspringen: das Songwriting ist klassisch und routiniert, findet jedoch hinter dem prägenden Sound der Platte statt. Einem ‚Divine Youth‚ fehlt so das gewisse Etwas, dennoch sind das einnehmend perlende, auf märchenhafte Weise schwelgende dreieinhalb Minuten mit Georgia Ruth als Zugpferd; das wunderbar friedlich groovende ‚Black Square‚ kann seine erhabene Melodielinie leider zu keinem ultimativen Gipfelsturm führen.
Dass die Manics auch hier nach neuen Ansätzen und Ideen suchen macht ‚Futurology‚ augenscheinlich nur auf den ersten Blick zu einem Album, dass die Waliser weniger für ihre Fans, als für sich selbst aufgenommen haben, als blutauffrischenden Ausblick auf die eigene Umtriebigkeit: zwischen den bisweilen negativen Kritiken im deutschen und den euphorischen im englischen Sprachraum ist den Manic Street Preachers ein überraschender und auch mutiger Grower gelungen, der hinter seinen Möglichkeiten nicht restlos befriedigt entlässt – gleichzeitig aber mit dem guten Gewissen, dass bei dieser Band noch lange nicht die Luft draußen ist. Und ein weiteres Meisterwerk potentiell permanent in der Luft liegt.
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