Manchester Orchestra – The Million Masks of God
The Million Masks of God klingt ein wenig so, als hätte Andy Hull als logische Fortsetzung von A Black Mile to the Surface ein Soloalbum aufgenommen, erweitert um den wunderbaren Kitsch von Simple Math und der gefälligen Zugänglichkeit von Cope: schön, aber auch verdammt reibungslos.
Dass für keine andere Platte von Manchester Orchestra ein derart gefälliger Weichzeichner verwendet wurde, wie ihn das Co-Produzentenduo Catherine Marks und (passenderweise übrigens der Enkel von Score-Legende John Williams) den elf Songs verpasst hat, ist eine Achillesferse der versammelten 46 Minuten, die ihren Glauben zelebrieren und thematisch vom Leben bis zum Tod reichen, verschiedene Zeitpunkte eines Daseins aufgreifen – was abseits des übergeordneten Konzepts und Narrativs vor allem einen Tribut an den verstorbenen Vater von Gitarrist Robert McDowell darstellen.
Ja, The Million Masks of God fehlt es wegen seines inszenatorischen Auftretens stellenweise arg am Biss, die Platte ist zu glatt und die Grandezza des Panoramas steht nicht selten über jeder ergreifenden Eindringlichkeit, wenn elf Songs wenig Reibungsfläche, aber viel Anmut erzeugen. Was gerade dann problematisch werden kann, wenn der Existenzzyklus vom aufgeweckter ausgerichteten Beginn in der zweiten Hälfte ohnedies immer ruhiger auslegt.
Die folkig-friedliche Romanze Telepath klimpert gezupft, geht unter die Haut, aber nicht bis dorthin, wo sich die Härchen aufstellen. Manchester Orchestra bekommen Zugriff, schmeicheln aber primär dem melancholischen Wohlklang so wunderbar verträumt, das nicht wenige Altfans das wohl gar cheesy finden dürften – es fehlt jedoch eigentlich nur die letzte Konsequenz. Let it Storm bleibt ähnlich behutsam, und der Chorus könnte Eruption sein, belässt es aber bei der schaumgebremsten Hingabe und Leidenschaft. Angenehm, risikoscheu – beides im positiven wie negativen Sinne.
Dinosaur ist auf einem minimalistischen Beat gebaut, wirkt fast wie eine Perspektive auf die R&B-Nuancen von O‘Brother, steht aber vor allem exemplarisch für die Tatsache, dass weite Strecken von The Million Masks of God den rockigen Bandsound gegen eine mit Streichern und elektronischen Sperenzchen aufgewertete Leisetreter-Gangart getauscht haben, die futuristisch gemeint ist, der Platte aber im Grunde aber einen mitunter unorganischen Anstrich verleiht. Eine schlicht tolle Melodie (die im Kern den gesamten Plattenverlauf über übrigens wieder einprägsamer und nachhaltiger geraten sind, als auf A Black Mile to the Surface) wirkt so latent unbefriedigend umgesetzt, weil nicht nur der Ausbruch zu konsequenzlos und unverbindlich bleibt. Die entwaffnende Eleganz von Obstacle bleibt deswegen auch eine Ahnung und das aufgeräumt Seine verletzliche Zärtlichkeit pflegende Way Back eine tröstende Grandezza ohne Erschütterung. The Internet schließt den Rahmen mit aufgreifenden Motiven unspektakulär, die Katharsis des beschwören Finales bleibt ein Lippenbekenntnis.
The Million Masks of God zeigt so über weite Strecken eine paradoxe Wirkung: Nebenbei gehört lockt der Reigen gar grandios an, scheint jedwede enttäuschte Geringschätzung das Werk unter Wert zu verkaufen- aktiv konsumiert schöpft das Quartett das vorhandene – mitunter fantastische – Potential jedoch niemals wirklich ab, erzeugt man nie jene emotionale Intensität, auf die Manchester Orchestra in ihren besten Phasen eigentlich abonniert sind.
Nützt der melancholische Indierock das Momentum mit etwas strafferen Zügeln, wie in der mit catchy Hooks ausgelegten ersten Album-Hälfte, gelingt der Zug zu veritablen Ohrwürmern, deren Komfortzone rund um die Trademark-Stimme von Hull liegt, mit einer verinnerlichten Zuverlässigkeit. Der versöhnlich schwelgende, hymnisch schunkelnde Opener Inaudible geht elegisch und bedeutungsschwer auf, hat eine feierliche Fernsehgarten-Wohligkeit in den Arrangements und bereitet eine versandende Dramatik vor. Angel of Death trägt in seinem Refrain mit seinen „Ohohooo“s dick auf – aber verdammt, ist das ein schmissiger Pathos! Fein auch, dass der lange Abgang sich einen nochmaligen verkneifen kann und stattdessen auf 808er-Hip Hop-Anleihen mit herabfallenden Nüssen setzt. Keel Timing poltert mit schmissigen Saitenlinien und elektronisch akkuraten Pads treibend nach vorne, zeigt eine extrem griffige Eingängigkeit und Bed Head übernimmt direkt als klarer Hit (mit Ausrufezeichen!), scheint in seinem himmelstürmenden Wesen kein Halten zu kennen, bevor Annie herrlich assoziativ wandernde Melodiebögen ohne Ziel erspäht.
Allen diesen ausfallfreien, aber eben nicht makellosen Songs und dem großen, stimmigen Ganzen gemein ist, dass es dem Material gefühlt gut getan hätte, seine Konturen live zu schärfen, um in dieser Studio-Produktionsform mehr Energie und kantige Profil zeigen zu können. Nichtsdestotrotz ist The Million Masks of God ein Album geworden, zu dem man nicht erst dann immer wieder gerne zurückkehren wird, wenn man sich auf kommenden Tourgastspielen wohl neu und definitiv in die Kompositionen verliebt haben wird.
1 Trackback