Manchester Orchestra – Hope
Hatte ‚Cope‚ mit ein wenig Abstand womöglich selbst für seine Schöpfer zu viel Schlagseite? Die Vermutung könnte zumindest naheliegen, nehmen sich Andy Hull und seine Jungs die Songs ihres vierten Albums doch keine 6 Monate nach dessen Veröffentlichung noch einmal zur Brust: und kippen prompt ins nächste Extrem.
Malt man sich im Gedanken den idealen Aufführungsort für das von Manchester Orchestra im Jahr 2014 zeitversetzt geborene Zwillingsalbumgespann aus, landet man an relativ verschiedenen Plätzen: schreit ‚Cope‚ in all seiner Dringlichkeit vor allem nach dem vergossenen Schweiß auf der Clubbühne, sieht man ‚Hope‚ in all seiner entschleunigten Andächtigkeit dagegen viel eher schon im klerikalen Rahmen, mit Lagerfeuer – der auf der kommenden Tour tatsächlich angesteuerte Volcano Room of Cumberland Cavern passt allerdings auch perfekt.
Oder anders: Aus dem selben Material, dass den bisher eindeutig straightest nach vorne gehenden Output der Band bisher hervorgebracht hat, wächst nun kurzerhand das zurückgezogeneste Album der Amerikaner – ein tongewordenes Trostpflaster, ein Klangkörper voll wohliger Streicheleinheit, ein melancholischer Hoffnungsspender. Die fett bratzenden Gitarrenwände von ‚Cope‚ sind verschwunden, der getriebenen Rock eliminiert, die Rhythmussektion mutmaßlich nicht einmal mehr anwesend. Stattdessen dominieren abgedämpfte Akustikgitarren, tröpfelnde Klavierakkorde und anschmiegsame Backinggesänge: ‚The Ocean‚ erscheint als Klavierballade mit unterstützendem Chor, ‚See it Again‚ verzichtet gar komplett auf jedwede instrumentale Grundlage und rekonstruiert die Arrangements des Stücks mit rein vokaler Anschmiegsamkeit.
Nein, ‚Hope‚ ist keine „Acoustic-Version“ von ‚Cope‚, sondern eine bis ins Detail gehende Neuaufarbeitung. Für das erhabene ‚The Mansion‚ (mit der Lupe finden sich hier im Appendix tatsächlich doch Drumschläge, an einer Hand abzählbar und gespenstisch verhallend, als würde ein Herzschlag leise ein Ende finden) etwa legen sich Andy Hull und Co. in vorsichtig streichelnde Orchesterlandschaften zurück. Aus ‚Cope‚ wird dagegen ein dunkles Americana-Stück, wie das auch Duke Garwood oder Josh T. Pearson aus der geknechteten Seele sprechen würde. ‚All I Really Wanted‚ sehnt sich nach unerfüllter Lagerfeuerromantik und ist nahe bei Right Away, Great Captain. Die tieftraurige Anklage-Meditation ‚Trees‚ fährt direkt ins Herz, das gezupfte ‚Girl Harbor‚ gerät schlicht majestätisch. Wo früher die Muskeln der Riffs spielten, regiert nun zerbrechliche Gänsehaut; glimmert die Elektrische doch einmal, tut sie es verhalten oder fächert sich wie in ‚Top Notch‚ ohnedies zum postrockigen Schleier auf.
‚Every Stone‚ ist da wie dort ein Highlight, wenngleich wie alles auf ‚Cope‚ in vollkommen anderem Licht erstrahlend: E-Piano-Akkorde perlen nur langsam aus der Box, alle Impulsivität wird entschleunigt bis eine trübselige Trompete in das Geschehen kriecht, die sanfte Ahnung eines Duets und vorsichtige Synphonieschwaden ein sphärisches Glanzstück beschwören.
In gewisser Weise wirkt das intime Atmosphärezelt ‚Hope‚ dabei (obwohl ebenfalls nach klar definierten Mustern gestrickt) in seinen Auflösungen einerseits weniger genormt als ‚Cope‚, andererseits auf emotionaler Ebene durchaus nach packender – als wäre die ergreifende Quintessenz der Songs erst hier in all ihrer Strahlkraft offenbart worden. Nicht dass das eingängige Hitlaufband ‚Cope‚ jemals ein Geheimnis daraus gemacht hätte was für absolut wunderbare Melodien Hull in den drei Jahren seit ‚Simple Math‚ geschrieben hat, aber selbst in den gar zu elegisch plätschernden Augenblicken lenkt ‚Hope‚ gefühltermaßen noch einmal einen zusätzlichen Fokus auf die Schönheit und die wärmende Ausstrahlung der Kompositionen, schält die zugrunde liegende Gefühlsseligkeit zusätzlich hervor und lässt die 11 Songs mit teils dezent veränderten Texten („The lyrics hold a lot more weight on this version, even the same lyrics. They’re presented differently so the lyrics hit a little harder“ sagt Hull und hat damit absolut Recht) bisweilen zu Tränen rührender Eindringlichkeit auf dem Podest scheinen.
Dennoch: ein gesundes Mittelmaß zwischen den beiden aufbereiteten Extremen hätte letztendlich wohl dennoch das Ideal dargestellt, und vielleicht stimmt es einfach: irgendwo zwischen den Polen ‚Cope‚ und ‚Hope‚ wäre eventuell das perfekte Manchester Orchestra Album zu finden gewesen.
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