Madrugada – Chimes at Midnight

von am 25. Februar 2022 in Album

Madrugada – Chimes at Midnight

Unterwältigend, befriedigend, einfach schön: Nach dem überragenden Erfolg der Reunion-Tour machen es sich die wiedervereinigten Madrugada auf Chimes at Midnight zwischen wunderbarer Nostalgie, abgeklärter Altersgediegenheit und Leonard Cohen’scher Zeitlosigkeit  bequem.

Das erste Studioalbum von Madrugada seit 14 Jahren ist leider nicht der Triumphzug geworden, den man der Rückkehr dieser Herzensband von vornherein gegönnt hätte; den man sich angesichts der rundum starken jüngsten Veröffentlichungen von Sivert Høyem (die Chimes at Midnight genau genommen letztlich auch ein wenig in den Schatten stellen) erträumt hätte; oder der angesichts der absoluten Klasse des eröffnenden Herolds Nobody Loves You Like I Do – der seine jazzige Noir-Atmosphäre mit Besenschlagzeug, rauchiger Romantik und weiblichen Soul-Backgroundsängerinnnen a la Leonard Cohen zu einem anbetungswürdigen Breitwand-Finale führt – auch tatsächlich möglich schien.
Dafür sind die 59 Minuten in Summe nämlich stets ein wenig zu harmlos und gefällig ausgelegt, ist der Pathos und der Schönklang in der komfortablen Komfortzone immer zu offen für kitschige Tandenzen.
Annähernd problematisch wird dies aber nur im finalen Drittel der Platte, wenn Call My Name mit weitem Panorama elegisch croonend nicht ganz zum Punkt findet; Empire Blues als eigentlich solide Nummer durch ein flaches Schlager-Gewand zum qualitativen Tiefpunkt wird, weil alleine die monotonen Rhythmus-Sektion so kantenlos langweilt; das nur latent bessere You Promised To Wait For Me lieber mit biederen Formatradio-Ausschmückung den Schmalz hofiert, anstatt seine tolle Grundsubstanz herauszukitzeln; oder The World Could Be Falling Down nach dieser flacheren Passage des Albums glanzloser wirkt, als der zärtliche Balsam mit Cinemascope-Abgang tatsächlich ist.

Und selbst hier steht es Madrugada eben doch, dass sich Ur-Drummer Lauvland Pettersen, Stamm-Bassist Frode Jacobsen und Høyem (neben einigen Freunden an den Gitarren) mit Chimes at Midnight vordergründig auf ihre ruhige, kontemplative und balladeske Seite – die ja eh immer schon die eigentlich Stärke der Band war – konzentrieren, selbst wenn das nicht die atmosphärische Tiefe und kompositorische Brillant der ersten zwei Über-Studioalben erzeugt.
Vorwerfen lassen müssen sich die gesetzter agierenden Norweger in ihrer angenehm kultivierten Grandezza so nämlich nur wenig – zumal die Nostalgie (wie sehr hat man diese Band doch vermisst!) und die Zauberstimme von Høyem  (dessen Organ wirklich jeden Augenblick hier vor einer tatsächlichen Redundanz bewahrt!) kleine Wunder wirken können.

Denn die Substanz stimmt, auch wenn mit mehr Abgründigkeit oder kreativer Reibung noch mehr drinnen gewesen wäre. Running From The Love Of Your Life ist etwa ein wirklich betörender, kräftiger Midtempo-Rocker und Help Yourself To Me eine verführerisch zurückgelehnte Ballade im verruchten Reverb, eine anmutig träumende Mitternachts-Schwärmerei.
Stabat Mater schwoft mit Nancha„lalala“nce in den choralen Fernsehgarten (ein Ambiente, das Cohen geliebt hätte!), da kann die Gitarre noch so dunkel bratzen – und dass der verstorbene Robert Burås nicht zu ersetzen ist, muß an dieser Stelle wohl nicht mehr explizit erwähnt werden, oder?
Slowly Turns The Wheel ist dafür symptomatisch eine groß gedachte Ballade, die jedoch eher von der Geste her imposant ist, als dass der Genieblitze zur Hymne zündet. Imagination nimmt sich mit seinem mystischen Beginn Zeit, mäandert dann somnambul mit viel Gravitas, während Dreams At Midnight der erhebenden Majestät zumindest nahe kommt.
Und Ecstasy ist dann als Klavier-Abspann, der sich körperlos-wundervoll in den Nachthimmel erhebt, eine Andacht, die den Gesamteindruck zwischen den Punkten liegend ohne Verklärung aber doch Fanbrillen-bauchpinselnd nach oben korrigiert: Ja, Madrugada agieren am Beginn ihres zweiten Lebens behaglich, wohltuend und entgegenkommend -und auch reizärmer als bisher. Chimes at Midnight ist so objektiv betrachtet kein Triumphzug, aber subjektiv gesehen womöglich genau das vertraute Trostpflaster, nach dem es allersmilde Herzen derzeit in aller Gemütlichkeit verlangt.

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