Machine Head – Catharsis

von am 26. Januar 2018 in Album

Machine Head – Catharsis

Diese Catharsis mag durchaus mutig veranlagt sein, stellt leider aber einen geradezu irritierenden Offenbarungseid dar: Robb Flynn und seine Technik-Virtuosen parken Machine Head hinter einer blutleeren Blockbusterproduktion im beliebigen Metal-Niemandsland, zelebrieren postpubertäre Humorlosigkeit und verlieren sich in einem wirren Sammelsurium aus generisch-altbackenen Klischees.

Wo anfangen bei einer Platte, die sich als unausgegorene Baustelle präsentiert, als bisweilen groteskes Frankenstein-Ungetüm mit Michael Bay-Ambitionen und wirres Geflecht aus vielversprechenden Ansätzen und stumpfen Auflösungen?
Bei dem blamablen, zutiefst bieder deherkommenden stereotypen Artwork, oder Rob Flynns patzigen Trotzreaktionen rund um die Veröffentlichung des neunten Machine Head-Albums? Bei der Produktion von Zack Ohren, die als High End-Arbeit phasenweise wie auf Steroiden drückt, steril und muskulös, dabei überpoliert und seelenlos wirkt, während der Mix frustrierend flach und komprimiert daherkommt? (Alleine schon der berstende Opener Volatile öffnet sich etwa als Slipknot‚eskes Brett für einen superhymnisch gemeinten Refrain, der jedoch die vollkommen selbe Dichte wie die Strophen hat, wodurch keine Intensität entstehen kann. Spätestens bei der gefühlt zehnten Wiederholung des dünnen Chorus hängt einem eine grundsätzlich ordentliche Nummer, die direkt vom Vorgängeralbum übernimmt, aber ohnedies bei den Ohren hinaus – und jedweder theoretisch anvisierte Druck verpufft).
Oder bei der Gesamtspielzeit, die sich am Versuch die eierlegende Wollmilchsau zu gebären an größenwahnsinnigen 75 Minuten verschluckt, und wie ein unfokussiertes Sammelsurium aus Thrash-, Nu-, Groove- und -Core Versatzstücken im Metal zum Kniefall vor einer pathetisch am Kitsch entlangschrammenden Zugänglichkeit ansetzt, die das (mittlerweile wohl weitestgehend Vergessenheit geratene, aber durchaus) solide Bloodstones and Diamonds sowie das gute Unto the Locust besser dosiert an den Tag legten?

Letztendlich wohl egal, denn Fakt ist: Catharsis hat unheimlich viele Probleme. Weswegen der Fokus an dieser Stelle auf die zwei gravierendsten gelegt werden soll.
Zum Ersten sind da die grottenschlechten Lyrics, die der Endwertung mindestens einen Punkt kosten: „Fuck the world!“ brüllt Flynn gleich zu Beginn und setzt damit den Standard für einen katastrophal banalen Schwall aus triefenden Plattitüden und pathetischen Klischees – es gibt gar Momente von solch fremdschämender Baukastensimplizät, die selbstmitleidige Früh-2000er Trendsetter als regelrecht ambitioniert-vielschichtig reflektierende Poeten scheinen lässt.
Dann singt Flynn gepresst leidend Zeilen wie „I feel so empty and alone, I wonder/ If this is ever going to go away„, verliert sich in poserhaftem Drogen-Storytelling ohne Authentizität („Drug dealers die young at the end of a gun/ Powders on the triple beam/ Girls around my neck/ No money?/ Well… she could always pay with sex/ Bikers tried to front me 30 grand worth of shit/ Knew that if I took it, I’d never get out of this/ What the fuck am I doing with amphetamines?„), tourt angepisst durch Kalifornien („Don’t give a fuck if I’m banned/ The fucking rodents down at Disneyland/ Highway 5 down to 99/ I’m getting head near the Fresno sign/ Berryessa, stumbling and stammered/ East Bay Tramps out drinking and hammered/ And Hollywood’s giving me the bends/ ‚Cause in LA you ain’t got no friends/ Fremont meth-head getting me wired/ Start a riot, light a fire„), attackiert – nun ja – kritisch den sozialpolitischen Status Quo der USA („I got a razor blade smile and a cocaine tongue/ I got a boner for miles, I’m slinging loads for fun/…/ I’m eatin‘ pussy by a dumpster/ Beard stinking like snatch„) oder feuert hechelnd brachiale Festival-Crowd-Stimmungsanheizer in den Nachthimmel („Because we rise/ We fall/ And then we come together and despise/ Them all/ So get your middle fingers in the air/ And bleed/ They can’t ignore us anymore cause/ I don’t give a fuck!„). Catharsis ist ein mit unzähligen fucks gespickter Adoleszenz-Zündstoff, der jede theoretisch vorhandene inhaltliche Substanz untergräbt.
Als wären Machine Head mittlerweile das Ventil eines pubertierenden Teenagers mit großspuriger Kampfansagen und einfachen Weltbildern, wirkt Flynn damit zu oft wie ein hängen gebliebener Show-Zampano, der seine trivialen Innenansichten auf der großen Arenabühnen ausleuchten möchte, sich dabei aber selbst demaskiert. Es liegt insofern auch eine gewisse Tragik darin, dass Flynn die lyrisch flache Bedeutungslosigkeit seiner Texte offenbar auch selbst nicht reflektierend erkennt, die ein ohnedies Ärgernis endgültig zur bemitleidenswert cheesy Geistlosigkeit macht.

Zum zweiten – wahlweise weniger fassungslos machend als die Texte, aber vielleicht noch gravierender enttäuschend – ist da jedoch auch das grundlegende Songwriting von Catharsis. „Wenn The Blackening unser thrashigstes und aggresivstes Album war, dann ist das hier vermutlich das melodischste und groovigste bislang“ sagt Flynn. Außerdem: „Dieses Album hätte nach The Burning Red erscheinen können. Aber die Produktion ist moderner.“ Stimmt alles so.
Doch entpuppt sich der Ansatz, mit dem Schritt zurück den Weg nach vorne zu finden, sich mit simpler und eindimensionaler zu durchblickenden Strukturen zwischen modernen Konsorten wie Trivium, Five Finger Death Punch oder Bullet for My Valentine zu positionieren und gleichzeitig die Mottenkiste zu Trends zu öffnen, die sich gefühltermaßen seit Jahrzehnten totgelaufen haben, als kreative Sackgasse und Rohrkrepierer. Praktisch jeder der 15 Tracks verreckt an seinen vielseitigen Ambitionen, verwurstet einzelnen Passagen gefühltermaßen ohne Kohärenz als ambivalentes Patchwork, lässt die Nahtstellen aber auch geradezu arrogant als forcierte Brüche stehen und mutiert zu einem kaum stringenten Geflecht aus unnatürlichen Zwängen. Ein bisschen so, als würde Flynn die nach dem jeweiligen Trend-Wind wehenden Stil-Positionierungen seiner Band in der Vergangenheit rückwirkend als Überzeugungstaten aufarbeiten wollen.
Am deutlichsten wird dies vielleicht (ironischerweise) ausgerechnet bei Heavy Lies the Crown, dem einzigen Song auf Catharsis mit überdimensionierter Länge – letztendlich eine progressiv gemeinte, aber vollkommen willkürlich verschraubte Collage aus Ideen, technischer Virtuosität und enorm treffsicheren Gitarrenattacken, die sinnbildlich dafür stehen, dass Machine Head 2018 schlichtweg keine restlos schlüssigen, runden Songs aus den vorhandenen Motiven zu basteln verstehen.
Was alleine hier über neun Minuten an nackenbrechendem Potential verschenkt wird, ist erschreckend, wenn so viele leere Meter zurückgelegt werden und Umwege die Substanz niemals bereichern, weil zuviel Ballast den Blick auf das Wesentliche verstellt und inszenatorische Megalomanie die Ausführung trüben. Wie Heavy Lies the Crown im Speziellen hätte Catharsis im Allgemeinen durchaus einen Pool aus knackigen Riffs, treibende Abfahrten und brutalen Headbangerkurbeln im Repertoire – verwässert diese aber mit einem unglaublich selbstgefälligen  Größenwahn und anbiedernder Beliebigkeit.

Der reizvolle Titelsong etwa baut sich erst orchestral auf, gibt sich martialisch und mystisch, kippt dann groovend in den Nu Metal und bolzt plötzlich wieder, nur um kurz einen ruhigen Ambientpart zu skizzieren und irgendwann bei mächtigen Breakdowns zu landen – eine Sprunghaftigkeit, die stupide wirkt, wenn Machine Head plötzlich an der Grenze zum Symphonic Metal durch eine kaum organisch gewachsene Reißbrett-Aneinanderreihung von Passagen eilen, eventuell ihr St. Anger gefunden haben, aber vor allem den Wunsch nach Stringenz und Fokus formen.
Dabei versuchen Flynn und Co. die Kurskorrektur grundsätzlich so einfach wie möglich zu machen. Selbst die härtesten Nummern prostituieren sich in ihren enorm schnell übersättigenden Refrains entlang enervierend plumper Strukturen für saubere Pop-Hooks in ihrer einfälltigsten melodischen Form, bedienen oberflächlich den Mainstream, obwohl Wendehals Flynn gerne so zu tun pflegt, als würde er diesen subversiv und herausfordernd unterwandern. Paradoxerweise bleibt trotz des Hanges einem breitgefächerten Klientel möglichst einladend nach dem Mund zu reden so einfach wenig nachhaltiges – im positiven wie negativen – hängen.
Beyond The Pale etwa deutet an eine stampfende Walze beschwören zu können, ermüdet aber schnell, weil Flynn die Kompositionen auf Catharsis meist nach den immer selben Mustern feilbietet. Brecher wie Screaming At The Sun oder Hope Begets Hope machen im Grunde mehr richtig als falsch, auch California Bleeding brettert und bollert ordentlich, ist aber im Grunde nicht mehr, als ein billig gestrickter Vorschlaghammer-Stimmungsmacher – ähnliches gilt für das unnötigerweise mit Effekten und Streichern zugekleisterte Kaleidoscope. Die angestaubte Geschmacklosigkeit Triple Beam rennt blindlings und unangenehm in den prolligen Crossover-Hip Hop mit hochnotpeinlichem Storytelling. Behind A Mask versucht sich durchaus stimmungsvoll als akustisch gehaltene Düster-Ballade mit versöhnlichen Harmonien – deutlicher war abseits des flehenden Grind You Down vielleicht nie, wie gerne Robb Flynn aktuell Corey Taylor wäre. Und bevor der atmosphärische Closer Eulogy dessen Melodie noch einmal industrialartig gedämpft aufgreifen wird, wächst Bastards von der pathetisch rezitierten Folkminiatur zu einer punkigen Dropkick Murphys-Abfahrt – kurioserweise wohl der markanteste Punkt von Catharsis, das zutiefst ambivalent entlässt und Erwartungshaltungen brachial unsubtil malträtiert.
Man muss Flynn nach diesem Kraftakt durchaus Tribut dafür zollen, ein unheimlich anachronistisch klingendes Album aufgenommen zu haben, dass ohne Rücksicht auf die eigene Credibility den Versuch wagt, einen Bogen von den 90ern ins Heute zu ziehen, das Machine Head stilistisch wieder einmal neu erfinden will. Funktionieren will eine im Kern interessante, aber darüber hinaus am Fiasko vorbeischrammende Enttäuschung aber inhaltlich nur selten überzeugend, über weite Strecken tut sie dies sogar gar nicht. Tatsächlich wäre weniger (in jeder Hinsicht) hier schlichtweg absolut mehr gewesen.

 

 

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