M83 – Junk
Das Verhältnis von Quantität zu Qualität war bereits auf dem zu langen Vorgänger ‚Hurry Up, We’re Dreaming‚ gehörig aus den Fugen geraten, allerdings schießen M83 erst jetzt richtig mutwillig über das Ziel hinaus: Anthony Gonzalez zelebriert auf ‚Junk‚ retrofoturistischen französischen Disco-Pop erst dermaßen cheesy, dass der schlechte Geschmack zum Stilmittel erhoben ist – und vertändelt sich dann doch noch in der betörenden Langeweile.
Vom viel zu langen, aber mit wahrlich berauschenden Einzelmomenten aufhorchen lassenden ‚Hurry Up, We’re Dreaming‚ sind vor allem zwei Dinge geblieben: Das ‚Outro‚ als beliebte Untermalung für Filmtrailer der epischsten Sorte – und natürlich die Synthie-Übersingle ‚Midnight City‚.
Dass der immense Erfolg dieses Konsens-Hits Spuren in den Absichten von M83 hinterlassen werden würde konnte man irgendwo annehmen, auch wenn sich nun, knapp vier Jahre später zeigt, dass Bandchef Gonzalez zwar mehr Lust denn je auf Pop zu haben scheint, dies auf dem siebenten Studioalbum seiner Band aber auf eine derart überraschende, verspielte, ungebremste und polarisierende Art auslebt, wie man sich dies anhand des bisherigen Werdegangs seiner Formation über Ambient, Dreampop und elektronischer Shoegaze-Melancholie hin zum massentauglichen Electropop nur bedingt ausrechnen hätte können – oder hat die Arbeit am epochalen Score von ‚Oblivion‚ womöglich einfach das Interesse an überdimensioniertem Breitwand-Drama getillgt? Fest steht: Mit einer derart rapiden Abkehr vom bisherigen M83-Trademarksound musste man nicht rechen.
Ja, noch nicht einmal der billigen Wortwitzen die Luft aus den Segeln nehmende Albumtitel, das grotesk hässliche Artwork, eine abstrus abhärtende Vorabsingle (‚Do It, Try It‚ hat als Baukasten inmitten von House-tauglichem Elektropiano, Funk-Porno-Slap-Bass, prolligen Synthiewänden, willkürlich bis dilletantisch gepischten Vocals inklusive plakativer Lyrics erst die geschmacklose Faszination eines katastrophalen Autounfalls – nur um sich irgendwann doch noch zu einer genüsslich in alle Fettnäpfchen tretenden Ohrwurm mit abholenden Melodieverständnis auszuwachsen) oder die absurd miserablen Videos dürften da restlos auf die Erfahrung vorbereitet haben, die das eigenwillige ‚Junk‚ der gewachsenen Fanbase nun – zumindest in einer turbulenten, den Tatendrang kaum bremsenden Eingangsphase – abverlangt.
Denn um der neuerlichen stilistischen Transformation von M83 alleine über die ersten 5 Songs folgen zu wollen und können, bedarf es zumindest einer vagen Vorliebe für zutiefst in die Klischeeschublade greifenden, kitschigen Schmonz der käsigsten Sorte; für die fantastischen Untiefen der neongrellen 70er und 80er inklusive Harold Faltermeyer, Spandau Ballet, Jean-Michel Jarre, 10cc und Konsorten bis hin zu den schamlosesten Tanzflächenfüller zeitgenössischer M83-Landsmänner wie Daft Punk oder Sébastien Tellier – denn dies sind die Gebiete, in denen sich die Band um Gonzalez auf ‚Junk‚ austobt.
Doch selbst unter den entgegenkommenden Vorlieben muss man Übungen wie das betont unbeschwert schlendernde ‚Moon Crystal‚ erst einmal verdauen. Wenn Gonzalez da mitten im Album ein Instrumental parkt, das kurzerhand wie der zutiefst anachronistische Sitcom-Soundtrack für schlecht gealterte Relikte wie Wer ist hier der Boss? anmutet. Oder Bausteine wie das schwülstige Saxofon von ‚Go!‚, das seinen zwischen unausgegorenen Songbausteinen feuchtfröhlich feiernden Refrain unangenehm demonstrativ einzählt und dann auch noch Steve Vai von der gniddelnden Gitarren-Leine lässt; Oder der Vocoder-Kleister in der George Michael-Verehrung ‚Walkway Blues‚ sowie natürlich die Entscheidung, den fahlen Softrock von ‚Bibi The Dog‚ nicht für ein neues La Boum ausgehfertig zu machen, sondern mit wattierten E-Drums ins Dorf der Schlümpfe zu schicken. Allesamt Dinge, die den Trash-Faktor nach oben kurbeln.
Bereits nach diesen ersten 20 Minuten Spielzeit hat sich Gonzalez derart exzessiv ausgetobt, dass es geradezu parodistisch anmutet und ein hemmungslos überladenes Stückwerk an unordentlich zelebrierter Uncoolness aufgefahren, das einem dezenten Karriereselbstmord gleichkommend seinesgleichen sucht: ‚Junk‚ wird die Geister scheiden, Fronten ziehen und extreme Reaktionen provozieren.
Was jedoch bestenfalls (und selbst nach anfänglicher Fassungslosigkeit) nach einer langen Eingwöhnungszeit passieren kann, damit muß man nicht zwangsläufig rechen: Irgendwann ist all dieses absolute too much doch irgendwie vor allem geil, ist die infektiöse Hittauglichkeit hinter all den Hooks und Melodien höher als der Fremdschämfaktor, und der Unterhaltungswert am wortwörtlichen Junk doch größer als die Verwunderung darüber, welcher Teufel Gonzalez geritten haben muss, diesen lüsternen Irrsinn von einem Album zu veröffentlichen. All dieses bewusst unernst auftretend von seiner geistigen Festplatte geschossene Material, es wächst – lässt man sich auf diese Sause ein, macht ‚Junk‚ tatsächlich Spaß, indem es gar nicht erst die Tiefen der Vorgängerplatten erforschen will, sondern mit viel Elan die verklärte, nostalgische, abgespact-oberflächliche Freude an vergangenen Zeiten aufleben lässt.
Mindestens ebenso überraschend: Nach der relativen Zäsur ‚Moon Crystal‚ lassen M83 für den restlichen Verlauf doch eine klarere Linie in der Albumstruktur erkennen, indem Tempo und die allzu überbordende Impulsivität aus der Zeitreise herausgenommen werden, und stürzen sich etwas stilsicherer in die schmalzigen Retrospektiven. Was leider nicht automatisch bedeutet, dass ‚Junk‚ trotz einer geordneteren Gangart nicht dennoch weiterhin Probleme bereitet.
Wo ‚Atlantique Sud‚ mit Streichern, Bläsern, Piano und französischem Gesang nicht uncharmant einen auf Gainsbourg im Cheers macht, das sentimentale ‚For The Kids‚ als wunderbar zartschmelzend-triefende Ballade im besten Sinne der Carpenters bezaubert und Langeweile ganz grandios zur Tugend erklärt bevor das folgende elegische ‚Solitude‚ als streicherschwangere Bond-Schönheit nahtlos übernimmt, plätschert das stimmungsvolle, an eine etwaige Phoenix-Demo erinnerndes ‚The Wizard‚ in der eingeschlagenen Wohlfühl-Zone dann doch zu ereignislos – Gonzalez scheitert auch diesmal daran Interludes zweckdienlich in den Albenkontext einzubauen.
Nachzuhören auch bei ‚Ludivine‚, das so ätherisch wie unnötig für Längen im ohnedies nicht besonders mitreißenden Rahmen sorgt und nur das betörende Finale in Form von ‚Sunday Night 1987‚ hinauszögert. Dabei unterstreichen M83 im Closer zwischen Titanic-Kuschelkurs und Badalamenti-Unwirklichkeit samt Mundharmonika-Solo noch einmal die potentiellen Stärken auf, die das sich vollkommen freispielende ‚Junk‚ gewährleisten würde – womit sich aber auch endgültig zeigt: Gonzalez und seine Helfer verheben sich hier weniger am Sound, als am grundsätzlichen Songwriting, dass sich hinten raus nur zu gerne in beliebiger Fahrstuhlmusik-Romantik verzettelt.
‚Laser Gun‚ wäre etwa als nette Popnummer selbst auf ‚Hurry Up, We’re Dreaming‚ nur ein Lückenfüller gewesen; ‚Road Blaster‚ reklamiert als aufgeweckte Saxofon-Elektro-Nummer Single-Ambitionen, könnte Drive in seiner unkryptischen Durchsichtigkeit jedoch als Roadmovie erscheinen lassen; ‚Time Wind‚ ist (trotz Beck und dem generisch mäandernden Shoppingcenter-Interlude ‚Tension‚ als Einleitung) dagegen eine belanglose Dekadenverneigungen, die selbst vor knapp drei Jahrzehnten niemandem hinter dem Ofen vorgeblockt hätte.
Das zutiefst ambivalente und ambitionierte ‚Junk‚ hinterlässt so ein wenig ratlos – und das eben nicht einmal unbedingt wegen seines drastischen Bruchs zur restlichen M83-Discographie. Denn die Wagnisse des Anthony Gonzalez, sie zünden phasenweise erstaunlich zweckdienlich und halten trotz überraschender Neujustierung im Sound durchaus einige Perlen parat.
Doch als zerissenes Stückwerk wollen die versammelten 56 Minuten einfach nicht als schlüssiges Gesamtwerk funktionieren, hätten aber im frustrierenden Wechselspiel aus fulminanten Highlights, Songwriting-Mittelmaß sowie uninteressanten Ausfällen in besserer Selektion und aufgeteilt auf zumindest zwei EPs durchaus kohärent die durchaus vorhandene Klasse entfalten können. ‚Junk‚ gelingt als vermeintliches Übergangswerk insofern ein zweifelhafter Spagat: Es ist an sich eine so spannende wie irritierende und augenscheinlich wenig gehaltvolle Bereicherung für die so wandelbare Veröffentlichungsgeschichte von M83 – ein tatsächlich gutes Album ist es deswegen aber leider nicht geworden.
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