Lotte Kestner – Off White

von am 21. September 2017 in Album

Lotte Kestner – Off White

Anna-Lynne Williams alias Lotte Kestner bleibt auch viel zu lange vier Jahre nach The Bluebird of Happiness unter ihrem Goethe-Pseudonym eine der bezauberndsten Melancholikerinen dieses Planeten: Auch Off White zelebriert sie so gewohnt traumhaft schöner Singer-Songwriter-Folk an der Grenze zum unwirklichen Dreampop, dass es schmerzt.

Seit 2013 ist dabei eigentlich viel passiert. Die HBO-Serie The Young Pope brachte die Musikerin aus Seattle über das Beyoncè-Cover Halo einem bedeutend größeren Publikum näher. (Williams Talent, sich Fremdkompositionen mit atemberaubender eigener Handschrift einverleiben zu können, lässt sich immer wieder nachhören – von A Perfect Circle über Radiohead bis zu The National und den Fleet Foxes verbrennt sich Musikerin nirgendwo die Finger).
Empfundernermaßen bleibt die ehemalige Trespassers William-Frontfrau und Ormonde-Hälfte zwar nichtsdestotrotz weiterhin eine Nischensensation, dennoch bietet sich das Momentum an, um im Brennpunkt des gestiegenen allgemeinen Interesses das (je nach Zählweise) vierte reguläre Studioalbum als Lotte Kestner nachzuschieben. Der Mehrwert für den seit 2013 darbenden Anhänger ist da ohnedies gleich nochmal ein ganz ein anderer – es gibt schließlich wenig, das feiner ist, als neues Originalmaterial von Williams serviert zu bekommen.

Im Wirkungsbereich der Koryphäe auf dem Gebiet der so unendlich gefühlvoll gehauchten Seelenbalsamierung hat sich dabei grundsätzlich wenig geändert, obgleich Off White die Solospielwiese unter dem subtilen Einfluss von Ormonde mittlerweile stilistisch endgültig aus dem Schatten des Vermächtnisses von Mazzy Star wachsen lässt, und Williams dafür näher hin zur Schnittmenge aus Aimee Mann und Marissa Nadler lenkt. Das wird besonders bei den intimsten Stücken der Platte deutlich, die sich als direkte Geistesverwandte zu Alben wie Mental Illness oder Strangers positionieren.
Secret Longitude treibt bedächtig als ätherische Klavierballade, getragen und melancholisch, gerade der scheinbar leere Raum ohne Töne hallt schmerzhaft nach. Williams veredelt ihr an sich simplizistisches, genügsames Songwriting mit einer fesselnden Präsenz, wirkt nachdrücklich, ohne große Gesten für dezente Akzente oder die stilvollen Arrangements zu benötigen.
Die Gitarrenminiatur In Glass schmiegt sich deswegen so natürlich an tröstende Geisterchöre; das stille Senses inmitten seiner bis zum Flüstern schwelgenden, so unsagbar hingebungsvoll romantischen Texte dagegen an tröstende, anmutige, bescheiden agierende Streicher, während der andersweltarrige Gespensterfolk des Titelsongs am Lagerfeuer mit sanfter Twin Peaks-Synthiespatina glimmert und das nahbare Another Moon gerade auch durch seinen nackten Minimalismus eine enorme Gravitation erzeugt.

Abseits dieser bedrückend soften, so zärtlichen Intensität legt Williams auf dem homogen fließenden Off White generell eine sorgsam nuancierte Vielseitigkeit an den Tag, variiert ihre Kompositionen immer wieder in der Erscheinungsform. In Ghosts skizziert Williams etwa mit einem Klavier im elegischen Synthienebel eine Zurückhaltung, die Lana Del Rey nicht an den Tag legen möchte, und findet dabei ein loses Konstrukt, das mehr vage Erinnerung als realer Song zu sein scheint.
Das bedächtig schunkelnde Eight Ball nähert sich hingegen beinahe einem gewissen Optimismus und einer zerbrechlichen Ausgelassenheit an. Das für die allgemeine Platten-Dynamik wichtige, aber etwas aus dem Kontext fallende Go to Sleep baut ausnahmsweise gar auf ein grundierendes Schlagzeug (wo das ruhige Besenspiel im schüchternen Ashland eher repräsentativ für die ansonsten praktisch nicht vorhandene Rhythmusarbeit der Platte ist). Das shoegazende Flair der Synthies und perlenden Gitarre verleiht der Nummer eine nostalgische Ader, verschmiltzt Low mit dem Comeback von Slowdive, der nebulösen Zeitlosigkeit von Midlake und der mystischen Aura von Jessia Curry hinter einer weihnachtlichen Schellenliebe, bevor Off White nach hinten mit einer unspektakulär in den Arm nehmenden Fürsorglichkeit entlässt. Hier dominieren eben kleine Gesten und die Gedanken dazwischen.
Da macht es dann auch wenig, dass die Platte in ihrer mitunter fragmentarisch anmutenden Form entlang der zwölf wundervollen Songs am Stück nicht restlos an die erschlagende Tiefenwirkung von Williams besten Arbeiten heranreichen mag, sondern die Magengrube eher im sphärischen Ansatz aushebelt. (Insofern funktioniert Off White deswegen übrigens auch gerade im Verbund mit den zeitgleich mitgelieferten, qualitativ mindestens ebenbürdigen B-Seiten noch einmal um das Quäntchen erschöpfender und schlüssiger. Wer griffige Hits benütigt, bleibt hingegen beim Anfang Jänner erschienenen Kickstarter-Livealbum).

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