Lost Girls – Menneskekollektivet
Elektronischer Art Pop mit progressiven Techno- und House-Elementen aus Norwegen: Jenny Hval und Håvard Volden versuchen auf Menneskekollektivet das metaphysische mit dem körperlichen auf poetische Weise zu verbinden.
Am komplettesten gelingt das der Kooperation gleich im zwölfminütigen Opener und Titelsong, der als astraler Synth-Ambient beginnt, über dem Hval sprechend rezitiert, erst spirituell, dann religiös und für den nächsten Besuch der Zeugen Jehovas gewappnet. Die Performance der 41 jährigen als Erzählerin ist fesselnd und hypnotisch, sie zieht charismatisch an und lädt letztendlich auch einen Rhythmus ein, den Volden verschmitzt in den Song schleust. Hval groovt sich kurz ein, lässt sich behutsam von dem Beat abholen, beginnt zu singen, und ihre süßliche, fast kindlich-naive Stimme folgt der immer clubtauglicheren Atmosphäre bereitwillig.
Das Duo beschreiten hier einen stimmigen Spannungsbogen, artikuliert als Lost Girls konkrete Visionen und entlohnt für die investierte Zeit auch mit einem am Ende bewusst ambivalenten Distanzgefühl.
Diese hier noch regelrecht neckisch wirkende Unentschlossenheit wird Menneskekollektivet auch später noch verfolgen, gerade in den drei kürzeren Stücken.
Losing Something ist etwa so lange eine zerfahrene Bastelei, bis eine Orgel und potenzielle Foals-Gitarre dem Song eine Form geben. In Carried by Invisible Bodies liegt die Tanzfläche unter einem verträumten Schleier, doch wirkt die Zusammenarbeit auch unausgegoren: die Basis ist stimmig, sich darüber hinaus zu erheben gestaltet sich jedoch offenbar schwierig. Hval mäandert zwischen säuselnder Anmut und latent prätentiösen Spoken Word-Reflektionen – hier hätte sich die Musikerin auch etwas mehr zurücknehmen können und dem Track ihre Präsenz durchaus verweigern können.
Was noch mehr für das noch bessere Real Life gilt, das angenehm zurückgelehnt mit psychedelisch flimmernden Saiten hin zum sanften Drone überzeugt, bereits als Instrumental einen bisweilen bestechenden Charakter verinnerlicht gehabt hätte, und durch die gesungenen Passagen noch zusätzlich gewinnt – die neuerlichen Spoken Word-Segmente unterstreichen aber vor allem den Drang von Hval sich bedeutungsschwer überhöhten Tendenzen nicht verweigern zu können.
Dass der Closer zudem zu abrupt endet, ist ärgerlich – und steht im Gegensatz zu der ansonsten fast transzendentalen Physis der Platte, die in ihrem eigenen Raum/Zeit-Kontinuum zu existieren scheint, trotz einer sorgsam konstruierten Spielwiese stets einen instinktiven Zugang bewahrt. Symptomatisch dafür steht das tolle Love, Lovers, das aus dem Minimal-Spektrum erwacht, pushender wird, hämmert und pumpt, Hval den hymnischen Pop anvisiert, während die Gitarren Radiohead‘esk in krautiger Freiheit experimentieren – und die Nummer mit den abschließenden „Ha!“-Attacken eine Minute zu lang dauert, was okay geht: Im hier angedeuteten Idealzustand einer besseren Welt hätte Menneskekollektivet wohl als impulsives Avantgarde-Live-Erlebnis mit geschlossenen Augen am Dancefloor funktioniert.
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