Loss – Horizonless

von am 1. Juni 2017 in Album, Heavy Rotation

Loss – Horizonless

Die knapp sechs verstrichenen Jahre seit Despond nutzt Horizonless  weniger für zusätzliche Evolutionsschritte, als vielmehr für eine neuerliche Intensivkur mit mehr Facetten in der Perspektive. Das Niveau ihres überragenden Debütalbums können Loss damit dennoch nicht unbedingt toppen – mit nur einem Mindestmaß an Interesse für malträtierenden Funeral Doom führt 2017 allerdings kein Weg am Zweitwerk des Quartetts aus Nashville vorbei.

Die deutlichste Distanz zwischen Despond und Horizonless haben Loss in produktionstechnischer Hinsicht zurückgelegt: Unter dem längst allgegenwärtigen Szene-Intimus Billy Anderson klingen die Amerikaner nun transparenter als bisher, vielschichtiger und facettenreicher. Die klaustrophobisch-fahlen Ergüsse bekommen einen fokussierteren Druck unter der abgrundtiefen Depression, kreieren eine „journey destitute of all hope and redemption, one where heartbreak, total death and never ending despair triumphs„, wahrhaftig.
Sicherlich kann man nun den eigentlich bereits makellos zu Loss passenden, so herrlich organisch im Siff wattenden Raumklang der Nabelschau Despond alleine schon wegen des daraus resultierenden phänomenalen Schlagzeugssounds durchaus vermissen. Doch entschädigt Horizonless in seinem klarer artikulierten Deffinitionen nicht nur mit einem Ambiente, das die subjektive Präferenzen unmittelbar in ein schwarzes Loch verschluckt und damit gewissermaßen egalisiert, sondern auch der dynamischen Herausarbeitung der individuellen Leistungen aller Beteiligter aus dem gebrühten Morast – und damit mit Nuancen an größerer Variabilität im Auftreten.

Da gehört nicht nur die akzentuiert stimmliche Bandbreite von Mike Meachum zum mitunter besten, was das Genre zu bieten hat, wenn die Band aus Nashville einem Spannungsfeld aus psychotischen Ausbrüchen, gurgelnden Selbstverstümmelungen und bestialischen Growlparts einen weitläufigen Kosmos aus schweren Riffs und sphärischen Sümpfen ausbreitet, die die Melancholie der frühen (!) 40 Watt Sun in die pessimistische Zeitlupen-Ästethik von Mournful Congregation und die plättente Blackened-Massivität von Evoken übersetzen – also diese bis zur Hoffnungslosigkeit foltern.
Loss ringen sich mit beeindruckender Intensität eine nach allen Regeln des Genres spielende (und deswegen phasenweise vielleicht auch zu archetypisch vorhersehbar in ihrer Versiertheit suhlende) Kasteiung malmender Doom-Referenzstücke ab, drehen die Daumenschrauben mit einer genüsslichen Entschleunigung enger und enger.
Horizonless ergeht sich unheilvoll leidend in der tiefquälenden Tragik seiner Existenz, ist betörend und abstoßend zu gleich, deutet Melodien und vage Ahnungen von Schönheit an, nur um diese doch zur aufgeriebenen Peinigung durch dissonante Einbrüche zu malträtieren. Die Kontraste im Songwriting zwischen roher Energie und stiller Zurücknahme wurden mit Anderson eben noch deutlicher hervorgehoben, sie formen auf Horizonless mitunter wahre Hymnen der Agonie, die in ihrer Schwärze über 65 Minuten keinen Ausweg aufzeigen.

The Joy of All Who Sorrow stellt seinen Titel auf ein Podest, wird zum Mantra der Platte. Garstiger Funeral Doom schleppt sich hier erhaben seinem eigenen Ende entgegen, während Meachum würgt, greint und presst, schlichtweg leidet, bis der Opener sich verdichtet, immer gravierender losbollert und das energische Gebrüll Horizonless in einen Mahlstrom reißt. In diesem exerzieren Loss klaustrophobische Stimmungen und ein beklemmend majestätische Walzen wie etwa in All Grows on Tears, das weniger auf explizite Originalität, als vielmehr ein formvollendetes Songwriting setzt, dass dem Metier der Band wenn schon keine neuen Facetten, dann aber doch herausragende Szenen abringt.
Naught beginnt etwa melancholisch zurückgenommen mit suchenden Gitarren und sich selbst geißenden Growls, doch Loss brüten den Song geduldig aus, bis der Erguss immer roher und verzweifelter wird, aber deswegen nicht weniger sehnsüchtig. Der Titelsong wiederum breitet im modrigen Boden der Platte gar Räume für schwermütige Zwischentöne im widerlichen Folk-Flair. Durchatmende Lichtungen sind hier aber zumeist nur Ausgangspunkte für mehr Frust, Talfahrten und die Bodensätze der menschlichen Emotionen.

Das pastorale The End Steps Forth baut dagegen auf ein einsames Klavier, bevor eine Orgel den archaisch aufgeräumten Song endgültig in die mordrige Gruft zieht und verdeutlicht: Ja, Loss arbeiten auch mit klaren Manierismen – jedoch ist es eine ihrer Stärken, diese nicht wie Klischees klingen zu lassen, sondern mit einer fast schon psychedelisch anmutenden Hypnotik aufzufächern.
Über allem steht dann dennoch der Schlußpunkt When Death is All – ein elfminütiger Monolith, der als gezupftes Kleinod wachsend hinter seinem Lagerfeuer eine Weite öffnet, die sich selbst entlang einer grandiosen Schlagzeugarbeit, Gastvocals von Wrest (Leviathan) und stockfinster strahlenden Melodien in den Pathos der alten Kumpels von Pallbearer schleift. Unheimlich großes Kino, dass dann auch den Rest der Platte ein wenig in den Schatten stellt und vorführt, was mit etwas mehr Mut zur Weiterentwicklung vielleicht auf gesamte Albumlänge möglich gewesen wäre.
Vom atemberaubenden Adam Burke-Artwork über atmosphärisch Interludes (das gespenstisch tippende i.o. und das an den Industrial von Haxan Cloak gemahnende Moved Beyond Murder) bis hin zu den vielschichtigen Texturen im existentialistischen Wesen ihres Nihilismus haben Loss hier nichtsdestotrotz ein monumentales Ungetüm zusammengebraut, das hinter dem Horizont von Despond nur noch mehr Dunkelheit, Kummer und Weltschmerz findet. Das rechtfertigt die lange Wartezeit alleine schon dadurch, dass sich die Konkurrenz 2017 an diesem Moloch wird messen müssen.

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