London Grammar – Truth is a Beautiful Thing
Da lassen sich London Grammar erst schier endlos scheinende vier Jahre Zeit, um den Nachfolger zum (rückblickend prophetisch betitelten) Megaseller If You Wait fertigzustellen – und bringen Truth is a Beautiful Thing erst zum womöglich unpassendsten Zeit heraus.
Während der Sommer vor der Tür steht, legen Zauberstimme Hannah Reid, Gitarrist Daniel Rothman und Alround-Schlagzeuger Dot Major nämlich kurzerhand ein Album auf, zu dem man die Rollläden dicht machen und die Vorhänge zuziehen sollte; zu dem man sich in Decken gehüllt ins Bett kuscheln möchte, für das der gedankenschwere Abend gar nicht früh genug beginnen und die sinnierende Nacht kaum lange genug dauern kann.
London Grammar wiederholen ihr Debüt hier im Grunde primär, verorten ihre Songs auf Truth is a Beautiful allerdings doch noch ein wenig weiter hinein in eine ambientschwere, ätherische Körperlosigkeit, agieren noch behutsamer und sanfter. Die Szenen bleiben vage und gefühlsbetont, destillieren eine kaum greifbare Form purer Schönheit. Sphärisch bauen die elf Songs auf unwirklich melancholische Klangflächen, sparsame Rhythmik und elegische Gitarrenklänge. Das Trio treibt durch sehnsüchtige Kompositionen, sparsam ausgeleuchtet und inszeniert, die dem über jeden Zweifel erhabenen Organ von Reid folgen, das sich immer weiter nach oben schraubt, trillert und majestätisch phrasiert. Das Können dieser Frau alleine hebt dass London Grammar in eine über dem Gros der Konkurrenz thronenden Gewichtsklasse.
Das Problem von Truth is a Beautiful Thing ist allerdings, dass sich die Band über die Spieldauer von 52 Minuten in all dem vergeistigt zartschmelzendem Wohlklang selbst verliert und eine schlichtweg ermüdende Gleichförmigkeit immer weiter in den Vordergrund tritt. Die eingangs durchaus überwältigend beschworene atmosphärische Dichte wird so immer mehr zu einer trägen Einheitlichkeit, da das Songwriting kaum Variation abseits subtiler Gewichtsverschiebungen zulässt.
Symptomatisch für die Platte steht damit in gewisser Weise die zweite Single Big Picture, die mit so unendlich viel Feingefühl Spannungen aufbaut, nur um diese einfach im akustischen Nirgendwo verpuffen zu lassen. Die Band gibt sich dem ausgebreiteten Grundriss des Songs hin, ohne ihn schlüssig zu Ende denken zu können und schwadroniert lieber selbstgefällig und ziellos, anstatt die losen Enden des vorhandenen Potentials über den stets in Aussicht gestellten, aber niemals erreichten Horizont hinauszuführen. Nicht einmal der involvierte Jon Hopkins kann hier für die dringend benötigte Initialzündung sorgen, sondern verweilt mit London Grammar in einem bisweilen frustrierenden Spannungsfeld aus dieser zutiefst fesselnden Anmut und sich selbst limitierender kompositorischer Uninspiriertheit.
Dennoch kann man sich von London Grammar in die Hand genommen nur zu leicht mit der Band gemeinsam in der paradoxerweise durchaus stimmigen Gesamtheit dieses wunderbar wehmütigen Reigens verlieren, der trotz der sich selbst erschöpfenden Dynamik mit sich selbst im reinen klingt und seine Mitte durch feine Nuancen gefunden zu haben scheint: Rooting for You lässt erhebende Streicher in einen optimalen Opener schweben und Wild Eye flirtet mit einem Trip Hop-Flair, während das grazile Oh Woman Oh Man auf seinem handfesten Beat als Aushängeschild dahintreibt. Das überragende Hell to the Liars öffnet als einer der wenigen Songs hinten raus sein Blickfeld zu einem leisen Gefühl der Überwältigung, das etwaigen Ohrwürmern (Everyone Else) und 80er-Liebeleien (Non Believer) so einfach abgeht.
So betörend Grazien wie das ruhig flehende Who Am I oder der abschließede, pianoplätschernde Balladen-Titelsong auch die Gehörgänge umgarnen und in ein immanentes Gefühl der Geborgenheit wattieren, sind es doch die nötigen Impulse, die dieser einnehmend nebulösen Platte abgehen. Was große emotionale Katharsis verspricht mag da letztendlich irgendwo wenig nachwirkend entlassen, zur bloßen Geste ohne jeglichen Erkenntniszuwachs verkommt Truth is a Beautiful Thing dennoch nicht: London Grammar haben hier eine traumhaft schöne Monotonie aufgenommen – die mit der dezent ausgelegten Saat des Zweckoptimismus vielleicht ja erst nach den heißen Sommermonaten so richtig zünden wird.
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