Liturgy – The Ark Work
Prätentiös über das Ziel hinausschießende Hirnwichserei? Die Krönung des unsympathischen Hipster-Black Metal? Triumphale, perspektivenaufbrechende Konventionszertrümmerung? Oder gar der endgültige Todesstoß für true Genrepuristen und den szeneallgegenwärtigen Post-Modetrend? Wahrscheinlich von allem eine gehörige Menge. Fakt ist: Liturgy ziehen die Gräben zwischen den Fronten ihrer Anhänger und Verächter noch tiefer.
Selbst aus halbwegs neutraler Perspektive lässt sich mittels des dritten Langspielers der Amerikaner wohl problemloser denn je nachvollziehen, warum diese Band polarisiert wie nur wenige andere da draußen; mehr noch, seit jeher einen bisweilen regelrecht irrationalen Hass auf ihre bloße Existenz erzeugt.
Dafür braucht es diesmal nämlich gar nicht unbedingt die überkandidelt zur Schau gestellte Attitüde von Mastermind Hunter Hunt-Hendrix, seine affektierten, unangenehm-unsinnigen Schriftstücke rund um die prolongierten Metaebenen seiner Kompositionen, oder die allgemeine Inszenierung als über den Dingen stehende Schlauberger-Instanz. Weil schon alleine der musikalische Aspekt von ‚The Ark Work‚ quasi dazu zwingt ein für allemal Stellung zu beziehen: Kalt lässt das megalomanische, erzwungene, ambitionierte Drittwerk von Liturgy jedenfalls wohl kaum jemanden. Dieses Dokument der musikalischen Grenzwertigkeit, das mit widernatürlicher Gekünsteltheit und der Brechstange arbeitet, um aufmerksamkeitsgeil stilistische Barrikaden einzureißen; nicht an Konsensentscheidungen interessiert ist, sondern sich querstellt und um jeden Preis arty sein muss, dabei permanent das Gefühl erzeugt abfällig schlau über den klassischen Black Metal-Dingen zu stehen (zu glauben?) . Und vor allem mehr als alles andere eine eitle Egozentrik als den Antrieb und Motor jeglichen Handels zu benutzen.
‚The Ark Work‚ ist also eine Platte geworden, die keineswegs nach Sympathiepunkten giert, sondern seine Linie knallhart durchzieht. Ein Album, das nach eigenem Massstäben wohl nur die Wahl zwischen unhörbarer Scheiße und erschlagendem Meisterwerk zuließe, so lange es sich mit nichts in der Grauzone dazwischen begnügen muss.
Zuvor ist ‚The Ark Work‚ aber selbst für Anhänger von ‚Renihilation‚ und ‚Aesthetica‚ auf den Erstkontakt hin wohl mit an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit ein einziger, 57 malträtiere Minuten dauernder What The Fuck?!-Moment, der ratlos hinterlässt: Was anfangen mit einer so monströsen Hate-it-or-Love-it-Platte, die keine Gefangenen nimmt und Black Metal als schwarzes Loch inszeniert, dass ohne Zurückhaltung alles Umliegende verschlingt, die Szene-Polizei inklusive; die damit erst einmal jeden gnadenlos vor den Kopf stößt und dabei allerhand Fragen aufwirft. Etwa: Meint das Quartett aus Brooklyn tatsächlich ernst, was es da tut? Oder: Was zum Teufel treiben Liturgy da überhaupt?
Die vermeintliche Antwort auf die erste Frage ist nach jedem neuen Durchgang deutlicher mit einem klaren Ja zu beantworten, verbeißt sich ‚The Ark Work‚ doch mit einer regelrecht humorlosen Konzentration in seine bisweilen arg anstrengend zerschossenen Bausteine, arbeitet sich mit akribischer Hartnäckigkeit an einem stilistischen Inferno ohne falscher Bescheidenheit ab, schärft dabei allerdings auch die Liturgy’sche Vision bahnbrechender Genrekonstellationen, die mehr will, den Stillstand negiert und einen ruhelosen Malstrom abseits der gutgeheißenen Pfade entfaltet.
Was darauf aufbauend in weiterer Folge auch das Was ansatzweise rekonstruieren lässt. Wo Hunt-Hendrix im Vorhinein augenscheinlich krude Versprechungen wie „cross-fertilizing hardstyle beats and the glitched re-sampling of IDM“ sowie „occult-oriented rap“ aufgeworfen hat, flöste sich ja alleine die Vorabsingle ‚Quetzalcoatl‚ bereits alle diese hirnwütigen Zutaten ein.
‚The Ark Work‚ selbst lässt den unergründlichen Ansagen nun im Ganzen anstandslos noch größenwahnsinnigere Taten folgen, einer frontalen Massenkarombolage gleich, von der man einfach nicht den Blick wenden will. Wo in ‚Quetzalcoatl‚ also plötzlich hart pumpende Technobeats in eine groovende Sludgebresche hämmerten, Hunt-Hendrix einen melodienhypnotisierenden, unvariabel bleibenden Chant an der Grenze zum lustlosen Sprechgesang mit Rap verwechselte (und ja: erwischt einen dieser mal auf dem falschen Fuß, strapaziert seine monoton leiernde Stimme grenzenlos!), bevor alles in ein Finale für die breite Leinwand kulminiert und großes Kino ganz weit draußen zelebriert, dort steckt die restliche Platte nicht vor dieser grandiosen Hypothek zurück.
‚Quetzalcoatl‚ ist nun insofern nur die Spitze eines Eisberges, der jedwede Erwartungshaltungen bereits mit der eröffnenden ‚Fanfare‚ ins fiebrige Delirium schickt und zwischen zerschossenem Star Wars-Theme auf psychotischen Drogen und willkürlich anmutender Synthiequälerei in Anlehnung an Burzum’sche Experimente die Midi-Bläser wüst das Nervengerüst attackieren lässt. In ‚Kel Valhaal‚ verfolgt die Band einen verschrobenen Math-Rhythmus bis zur Irrenanstalt, multipliziert den Wahnsinn mit schillerndem Glockenspiel, man ist plötzlich dort wo Altar of Plagues auf ‚Teethed Glory an Injury‚ die Swans hätten treffen können. Und wenn nach 3 Minuten Schädel zu platzen drohen, packen Liturgy plötzlich eine Schippe Metal drauf und wippen wie in Trance durch einen tonalen Sog, der in dieser Art ohne Rückkehrer und Guardian Alien-Vordenker Greg Fox kaum möglich gewesen wäre.
‚Vitriol‚ imitiert dagegen Minimal Electronic durch die Acapella-Fixierung der Liars, erzeugt dabei über einen Death Grips-tauglichen Industrial-Beat gar eine hypnotisierende Eingängigkeit, während ‚Haelegen‚ als Ruhepol der Platte eine sphärische Spiritualität mit Liebe zu mittelalterlicher, sakraler Nachdenklichkeit zelebriert. Auffallend ist, dass Liturgy gerade hier, wenn sie sich von ihren früheren Platten am deutlichsten lösen, auch ihre stärksten Momente haben, denn wenn ‚The Ark Work‚ hochgetriebene Spannungsbögen zu nahe an der theoretisch angestammten Spielart der Band auflöst, erreicht das nicht immer eine ansonsten stets forcierte, aufregende Risikobereitschaft.
Mit typischem Black Metal hat das alles dann auch ohnedies nur noch ganz am Rande zu tun (nicht nur, weil es keinerlei hysterisches Gekeife mehr gibt – welches ohnedies nie wirklich eine Stärke von HHH war). Viel eher dient dieser Liturgy mittlerweile als zyklisch angesteuerter Leitfaden, als Ausgangspunkt, was den Schaffenskanon der Band aber auf irritierend nachvollziehbare Weise ins nächste Level führt: das eher mäßig inspirierte aber feurige ‚Follow‚ ist etwa so lange eine kuriose Stimmübung für Hendrix bis die Rechner über der hyperaktiven Blastbeat-Raserei, gesampelten Jubel-Massen heißlaufen und die digitale Tachonadel zu hängen beginnt; ‚Follow II‚ spinnt den Faden später aus einem Ambientmeer zu melodramatischen Streicherreigen und danach zurück in ein symphonisches Gewitter, dessen Blastbeat-Part zwar den nötigen Geistesblitz vermissen lässt, wie vieles hier aber im Kontext absolut funktioniert. ‚Father Vorizen‚ stottert sich hingegen durch wüste Math-Gitarren und das 12 minütige, furiose und dudelsackdurchtränkte Opus ‚Reign Array‚ vereint epische Ausmaße mit hymnischen Score-Elementen in einem getriebenen Climax, bevor der ‚Total War‚ mit nervösen Himmelgitarren ins Nirwana jubiliert.
Mit einer nervenaufreibenden Unhörbarkeit hat das alles dann eben nur auf den ersten Blick zu tun. Denn keimt da im Hörer zumindest ein Funke an Faszination für dieses Pionierdelirium, wächst ‚The Ark Work‚ immer mehr zu einem regelrecht süchtig machenden Kuriosum heran; einem wilden Strudel aus Ideen und Versatzstücken, der als Gesamtwerk stehend trotz einiger weniger sichtbar bleibender Nahtstellen durchwegs als rundes Wagnis aufgeht, auch, indem er nach und nach gedankenvoll eingeflochtene Querverweise zwischen den Songs als roten Faden entdecken lässt.
Wichtiger aber: wo der artifizielle, progressive Aufbau einen Gutteil des Reizes der Platte ausmacht, findet diese – selbst wenn nicht alle Einfälle restlos glücken – ihren Knackpunkt dennoch in schlüssigen Songs an sich, bis zu einem gewissen Grad auch auf emotionaler Ebene – obgleich dem Hörer vordergründig der Beobachterposten zugedacht bleibt: Vor allem wenn die himmelstürmenden Hochphasen von ‚The Ark Work‚ nicht nur mehr Gedankenspielraum ausloten als ein Gros der Konkurrenz, sondern mit einer zwar anstrengenden, aber bewusst (über)fordernd auslaugenden Euphorie entlohnen, zündet das Werk enorm fesselnd.
Das prolongierte (wenn auch mancherorts durch die falschen Gründe verortete) Meisterwerk ist das erschöpfende ‚The Ark Work‚ neben kleinerer Schönheitsfehler jedoch vielleicht alleine deswegen nicht geworden, weil der berauschende Trip seine Intensität nicht zu jedem Zeitpunkt ohne Längen aufrecht erhalten kann – andererseits vielleicht aber gerade deswegen doch, weil die New Yorker hiermit eine Soundsprache gefunden haben, die zu ihren Egos passt. Der Versuch restlos schlau aus ‚The Ark Work‚ zu werden: eine Sisyphusarbeit. Es dennoch zu versuchen: eine auslaugende Freude.
Während die besten Früchte und lohnenden Errungenschaften dieser arbeitsintensiven, Vorarbeit leistenden und inspirierenden Platte also durchaus erst andere/spätere Bands in zu Ende gedachter Vollständigkeit ernten könnten, gelingt es Liturgy hingegen nicht nur erstmals über die volle Distanz ihren Hochmut adäquat auf Tonträger zu bannen, sondern endgültig zur Referenzband zu werden, indem das Quartett mittlerweile schlichtweg wie keine andere Kombo mehr da draußen klingt. Ein riskanter Entwicklungsschub sicherlich, wie er die Meinungen kaum deutlicher spalten könnte, auf einem schmalen Grat zwischen lodernden Zündschnüren und vorgeworfenen Geschmacklosigkeiten, ohne Netz und doppelten Boden, aber inklusive der Vermutung: ab jetzt wird es wohl so wirklich nachhaltig mit dem Quartett.
[amazon_link id=“B00TIOZJKA“ target=“_blank“ ]Vinyl LP auf Amazon[/amazon_link] | [amazon_link id=“B00TAEA7M8″ target=“_blank“ ]CD auf Amazon[/amazon_link] |
2 Trackbacks