Liturgy – H.A.Q.Q.
Ähnlich unerwartet wie die Single God of Love kommt nun auch das dazugehörige vierte Liturgy-Album H.A.Q.Q. aus dem Hinterhalt, erwischt aber nicht derart auf dem falschen Fuß, wie das ohne Vorbote der Fall gewesen wäre.
Der Überraschungseffekt, mit dem eine derart aus dem Nichts veröffentlichte Platte wohl noch schockierender detoniert wäre, ist doch ein wenig dahin. Immerhin hat God of Love die allgemeine Ausrichtung von H.A.Q.Q. durchaus adäquat vorweggenommen – und das Niveau eine Spur zu hoch gelegt: Der edgy Hipster-Philosoph Hunter Hunt-Hendrix lässt seine Band aus Söldnern (mittlerweile neben zahlreichen Gästen an Vibraphone, Glockenspiel und ähnlichem: Gitarrist Bernard Gann, Tia Vincent-Clark am Bass und Drummer Leo Didkovsky) auch auf Albumlänge einen Schritt zurück zu Aesthethica (2011) gehen – und von dort aus zwei zur Seite.
In dieser Verortung bekommen Liturgy Zugriff auf ihren math-affinen Avantgarde Black Metal, ohne die bis in den Trap polarisierende Ausrichtung von The Ark Work (2015), finden aber zu neuen Elementen, die Hunt-Hendrix freilich derart konsequent und rücksichtslos nutzt, um die nicht als Gimmick verkommen zu lassen. H.A.Q.Q. quillt über vor Glitches, als würden gestapelte CDs hängen bleiben, und einenm Gagaku-Ensemble samt „pitched percussion„; nutzt spacigen Chören, wie sie Kamasi Washington gefallen würden, und reichert das Drumherum nicht nur mit massig orchestralen Arrangements an, sondern auch mit instrumentalen Interludes, die zwischen den dominierenden vollwertigen Songs wuchern: Exaco I (eine dringliche Klaviernummer, die stellenweise durch den elektronischen Fleischwolf geschickt wurde, aber stark und schön bleibt), Exaco II (sakrales Glockengebimmel) oder das elegischere Pianostück Exaco III sind interessante, gut komponierte und durchaus essentielle Segmente der Platte als Ganzes, wenn auch natürlich nicht derart gewichtig, wie die klassischen Songs, die dazwischenkommen und eben dem MO von God of Love folgend das Wesen von H.A.Q.Q. destillieren.
Liturgy sollen permanent am hysterischen Extrem eskalieren, episch und eklektisch, so enorm verdichtet wie unbedingt hyperventilierend wollend. HAJJ brettert etwa nicht nur mit oszillierenden Gitarrenfiguren über dem Black Metal-Delirium, sondern auch atonalen Flöten (richtig: hichiriki und ryuteki) und diffusen Choralcersatzstücken darunter. Eine faszinierend angestrengte, prätentiös hirnwütige Melange, deren Willen zum polarisierenden Puristen-Affront man spätestens dann respektieren sollte, wenn man zugeben muss, dass Liturgy einen so eigenen wie progressiven Sound pflegen, und im Windschatten von freien Radikalen wie Jute Gyte durchaus neue Impulse füe das Genre ausprobieren.
Das Problem ist allerdings das Songwriting, die strukturelle Auflösung. HAJJ kippt exemplarisch den Glitch in den Rausch für die Wendung, sobald eine nicht mehr zu korrigierende Sackgasse am Plateau erreicht wurde, die im aufgebauten Momentum abseits der detaillierten Texturen zu revidieren ist. Im Umkehrschluss ist es durchaus interessant, fesselnd und auch erstaunlich kurzweilig, wie Hunt-Hendrix permanent am obersten Limit noch weiter zur Decke gestreckt versucht für Variationen zu sorgen, immer neue Facetten der blanken schreienden Hysterie sucht – und auch findet. Es fehlt ohne Luft nach oben (und dem Unwillen zurückzuschalten) allerdings die Entlohnung, der emotionale Klimax.
Die Balance der Platte ist generell ein wenig unausgegoren, da erst die Zwischenstücke klar abgetrennt für einen dynamischen Ausgleich sorgen sollen, die starken Amplituden der Kontraste aber als Kontrollverlust beim Blick auf das Gesamtwerk durchgehen.
Man hat deswegen nicht das Gefühl von H.A.Q.Q. irgendwohin gebracht zu werden – die Platte will sich eher so konzentriert und mit einigen die Spannung lockernden Atempausen kompromisslos im Kreis drehen und verdichtend auf ein und die selbe Stelle einarbeiten. Dabei muss sich Hunt-Hendrix vorwerfen lassen, schon zu bemüht und verzweifelt immer den staunenden Overkill evozieren zu wollen. Und damit ein repetitiv und nur über Feinheiten unter dem Elektronenmikroskop nicht monoton werdendes Werk aufgenommen zu haben, das theoretisch fabelhaft funktioniert, praktisch aber auch ein bisschen kalt lässt.
Gerade wenn der Titelsong erst über ein langes ambientes Vorspiel ein wildes Riff findet, das mit lobotomiert-lautmalendem Murmeln in hypnotische Trance versetzt, auf ästhetischer Ebene auch absolut packt, auf emotionaler aber nur bedingt – und dann über ein Klavieroutro nebensächlich entlässt, das von . . . . ansatzlos übernommen zu unverbindlich in den gefälligen Drone geführt wird. Liturgy entlassen, ohne angekommen zu sein.
Wie grandios H.A.Q.Q. dann auch abseits des Zündfeuers hätte werden können, zeigt das Doppel aus Virginity und Pasaqalia – im Grunde ein durchgängiger Leviathan, der alle Tugenden der Platte ohne ihre Mängel transportiert. Ein kurzes Harfe-Intro lässt ein Tremoloriff von der Leine in den märchenhaften Orchestergraben, verzerrte Noise Rock-Vocals irgendwo unten im Mix, die irgendwann zu beißendem und harschem Gebrüll werden, das Inferno kommt in Schüben und Wellen – bis Liturgy episch bimmelnd die kompakten Riffs im Streichermeer auspacken, der imaginative Überbau der Arrangements stark bannt und der beste Zyklus der Platte impulsive Euphorie mit Schaum vorm Mund entfacht. Aber eben auch den fast schon paradoxen Eindruck weckt, dass das an sich wenig entdecken lassende, aber irgendwo süchtig machende H.A.Q.Q. trotz vier Jahren Wartezeit womöglich überstürzt wurde und mit einem auslaugenden Gewicht am Ende – der Blick fällt auf Apparition of the Eternal Church (from Origin of the Alimonies) – mehr als nur ein (sehr) gutes Album hätte sein können.
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