LINGUA IGNOTA – SINNER GET READY
SINNER GET READY: Die Welt der LINGUA IGNOTA ist immer noch ein tonaler Avantgarde-Busgang, söhnt sich aber doch erstaunlich umgänglich mit der Einsicht aus, dass Abbitte und Absolution auch in der Selbstgeißelung möglich sind.
Es scheint sogar so, als wäre Kristin Hayter seit dem schon so monumentalen CALIGULA über zahlreiche Kleinformate und Nebenprojekte in ihrer Erscheinung als LINGUA IGNOTA ganz bei sich selbst angekommen. Ausgerechnet, indem sie dem beängstigenden Vorgängerwerk von 2019 ein beinahe introspektives Gegenstück nachfolgen lässt, das nicht mehr notwendigerweise die brachiale Wut und Aggression erzwingen muß, um zu schockieren, sondern auch mit purer Grandezza unter die Haut gehen und verstören kann. Gerade die ruhigen Phasen bekommen so eine Anziehungskraft, die das Schaffen von LINGUA IGNOTA auf einen beeindruckenden neuen Level hebt, denn die Balance der Theatralik funktioniert nunmehr so natürlicher und ausgewogener (ja, auch zugänglicher und leichter verdaulich).
SINNER GET READY fühlt sich wie alle Platten der 35 jährigen apokalyptisch an, artikuliert seine vor christlicher Mythologie geprägte Ästhetik aber nur noch selten über die pastorale Gewalt des Dark Industrial und Noise, drosselt die schiere Gewaltbereitschaft und nimmt nach der Eingangs noch harschen Gangart mit einer regelrecht intimen Zuneigung und menschlichen Nahbarkeit in den Arm.
Eigentlich behält sich nur I Who Bend the Tall Grasses, das erst wie eine spartanische Annäherung an die Orgel-Monstrositäten von Anna von Hausswolff wirkt, die manische Attitüde von CALIGULA bei, wenn LINGUA IGNOTA manisch brüllt und bestialisch faucht, sich psychotisch skandierend durch ein Mittelding aus purem Exorzismus und klerikaler Andacht, die sich selbst in Zeitlupe zu betäuben scheint, leidet. Der Existenzialismus zieht sich auch durch das vereinnahmende Wesen der lyrischen Seite, der über dem okkulten Abgrund beschworen wird und die grandiose Produktion von Seth Manchester veredelt: Die Katharsis ist hier ausnahmsweise noch auf Bestrafung aus, doch hat eigentlich bereits der Opener The Order of Spiritual Virgins eine Metamorphose im MO der LINGUA IGNOTA eingeleitet.
The Order of Spiritual Virgins beginnt als Drone am melancholischer Klavier (übrigens das tragende Element des Albums, neben Hayters allgegenwärtiger Stimme natürlich) wie eine Erinnerung an Skeleton Tree, bevor der Gesang aus der Schule von Scott Walker beschwört, LINGUA IGNOTA als ihr eigener Chor der Verdammten agiert. Schon hier ist das Verhältnis zur elaborierten Intonation ausgewogener und bodenständiger, vibriert vor einer geisterhaften Feierlichkeit, die zur Mitte hin jedoch den Kontrast aus einer besonders verletzlichen, intimen Reduktion und der hart angeschlagenen Heaviness in kurzen Ausbrüchen sucht – dadurch jedoch umso gefühlvoller und behutsamer, regelrecht erbarmungswürdig betört, bevor Hayter inmitten der kakophonisch kasteienden Eruptionen flehend nachhallt und ein Spoken Word-Ambient-Outro findet.
Es hat also ein Wandel im Wesen und auch der Wirkung von LINGUA IGNOTAs Musik stattgefunden, der hier auch mit jedem Meter deutlicher wird. Als Album ohne Ballast, ohne leere Meter, mit einem grandiosen Fluss und einem gesamtheitlicher Spannungsbogen, der bald die immanente Schönheit in diesem Kosmos annimmt und sogar zelebriert, reihen sich auf SINNER GET READY die vertraulichsten, auch unmittelbarsten Songs aneinander die LINGUA IGNOTA bisher geschrieben hat. Many Hands ist eine schamanistische Elegie als Reminiszenz an ALL BITCHES DIE, dessen Hintergrund als psychedelisch ausfransendes Experiment eine Melodie irgendwo zwischen Americana und Appalachian Folk zerlegt, das Narrativ albumübergreifend mit rostigen Drähten fortspinnt. In Pennsylvania Furnace schmeicheln das zurückhaltende Piano und der eindringliche Gesang sich vor den brillant akzentuierten Arrangements aus Streichern und Bläsern sogar noch überwältigender, erschütternd und erhaben, von subversiver Tragik, so traurig und majestätisch. Grandios ist, wie der Song aus der Reduktion heraus immer mehr Volumen und Sogwirkung erzeugt, die Auflösung ab kurz vor der 4-Minuten-Marke einem den Boden unter den Füßen wegzieht und danach eine beispiellose Intensität zelebriert wird.
Repent Now Confess Now gibt sich als abgehangener Banjo-Drone-Western-Zeitlupe beklemmend dicht und minimalistisch, als aus der Zeit gefallene Beschwörung, in der schunkelnde Furien auf der Anklagebank drangsalieren, sich aber nicht aus der bedächtigen Earth-meets-Tarantino-Ruhe bringen lassen, während der Endzeit-Shanty The Sacred Linament of Judgement sich strukturoffen auflöst. Die Klavierballade Perpetual Flame of Centralia operiert als Herzstück am Kern der Seele, frei von allen Dämonen, abgekämpft und im Frieden mit sich, selbst dann subversiv und dezent – als die beiden neuen Tugenden des Albums ganz allgemein, wenngleich auch freilich relativ zu verstehen – wenn Hackbrett oder Mandoline sparsam eingesetzt in den Texturen auftauchen.
Man Is Like a Spring Flower gleitet weihevoll in bestimmt-oszillierenden Wellen über die vergänglich schwelgende Tasten-Melodie, wie die abseitige Symbiose aus Amanda Palmer und Joanna Newson, bevor sich die Nummer als organische Alternative zu Ioanna Gika zu einer Balkan-Pop-artigen Feierlichkeit aufschwingt, mit märchenhaften Suspence die jubilierende Tragödie auf ein Podest hebt, und damit beeindruckt, wie viel dringlicher der Reigen mit jeder Sekunde wird, obwohl man kaum mitbekommt, dass die Schrauben immer enger gezogen werden, die Lautstärke jedoch frontal anschwillt – bis zum unbarmherzig abrupten Cut, irgendwo in der Beschaffenheit von The Shame erdacht.
Doch dass SINNER GET READY (primär) keine Platte des Momentums ist, sondern eine, die die Trademarks der LINGUA IGNOTA vor allem zeitloser und universeller verständlich macht, wird im abschließenden The Solitary Brethren of Ephrata überdeutlich, das melancholisch trunken wie ein seit Ewigkeiten bekanntestes, im Unterbewusstsein verankertes Traditional seine transzendentale Wirkung entfaltet: LINGUA IGNOTA hören, und das ist die elementare Tugend dieses das Monolithische mit der zurückhalten Geste erzeugenden Werkes knapp vor der Makellosigkeit, ist nur mehr (nur) Selbstbestrafung, sondern auch eine einladende, besänftigende Zauberhaftigleit. Hier ist hingebungsvolle, aufopfernde und endlich auch so viel zurückgebende Liebe im Spiel.
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