LINGUA IGNOTA – AGNUS DEI
„If you like powerviolence, child evangelist glossolalia, Hermann Hesse’s poetry, Bach oratorios, harsh noise, early baroque chromatic organ music — I got you!“ LINGUA IGNOTA verspricht bei ihrer Rückkehr zum Bandcamp Friday mit AGNUS DEI nicht zu viel.
Als wir Kristin Hayter zuletzt sahen, war sie mit der Aufarbeitung der CALIGULA-Wurzeln beschäftigt – nun räumt sie zum einen auch mit seit damals geschehenen Nebenbaustellen auf, um den Kopf für den bereits fertiggestellten Nachfolger der 2019er Platte freizuhaben, zeigt aber zum anderen mehr noch, wie offen sie dafür ist, externe Einflüsse nahtlos in ihren Kosmos zu assimilieren.
Dass es mit dem Iron Lung-Cover SEXLESS // NO SEX (das schon auf der Sisters in Christ-RSD-Split mit Thou zu hören war, nun aber in den stimmigeren Kontext gebettet auftritt, da die versammelten 16 Minuten der EP einen kohärent verschweißten Spannungsbogen bieten) bereits bekanntes – wenngleich weniger aufmerksamkeitsgenerierend veröffentlichtes – Material zu hören gibt, ist durchaus exemplarisch, auf Metaebene auch symbolträchtig.
Schließlich speist sich das Kurzformat (als „COLLECTED NOISE/BLOWN OUT RECORDINGS. COVER OF IRON LUNG’S SEXLESS NO SEX. JS BACH’S AGNUS DEI FROM MASS IN B MINOR. WHERE’ER YOU WALK, BASED ON THE GF HANDEL, FEATURES ALEXIS MARSHALL READING „I KNOW, YOU WALK“ BY HERMANN HESSE“) inhaltlich aus anachronistischen, in der Vergangenheit schwelgenden Formen der gegenwärtigen Momentaufnahmen, deren Songwriting zutiefst referentieller Natur ist und Urheberschaften ohne Berührungsängste offen lässt.
IN TONGUES (PRELUDE) sampelt etwa eine ominöse Kinderpredigt über diffus beängstigenden Orgelträumereien und geht in bester Dark Ambient/ Death Industrial-Manier in der Distortion unter, bevor SEXLESS // NO SEX melodramatisch flehende Eruptionen des Drone in die neoklassizistische Schiene lenkt.
WHERE’ER YOU WALK (HESSE/HANDEL) konzentriert sich auf eine Rezitation von Daughters-Frontmann und Lebensabschnittspartner Marshall, der abgründig und auf beunruhigende Weise ruhig intonierend eine charismatische, erinnerungswürdige Spoken Word-Performance liefert, die von Hayter immer wieder mit einer sinistren Melodik verführerisch weich konterkariert wird.
Ein breites, aber ästhetisch absolut homogenes Spektrum, das in Titelstück AGNUS DEI (JS BACH) seinen Ausklang findet, wenn die majestätischen Streicher hinter einem brutzelnden Dreck passieren: Wenngleich im Zentrum auch die Illusion von erhebender Grandezza und purer Schönheit stehen, sind die Ecken der Nummer hässlich untergraben verranzt, denn die Arie hat eine ungemütliche Textur und klaustrophobische Atmosphäre – weswegen die stimmungsvolle Produktion von Seth Manchester explizit auf ein Podest gehoben werden muß.
Auch wenn AGNUS DEI also keine EP ist, die per se nach vorne blickt, steigt die Vorfreude auf das vierte Studioalbum von LINGUA IGNOTA hiermit beträchtlich. (Vor allem auch: weitaus beträchtlicher als mittels sündhaft überteuerter Vinyl-Auflagen).
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