Lightning Dust – Spectre
Amber Webber und Josh Wells sind 2018 bei Black Mountain ausgestiegen und machen ihre bisherige Teilzeitspielwiese Lightning Dust mit Spectre nun zum Vollzeitprojekt. Das wirft einige unangenehme Wahrheiten auf – und skizziert vorerst Großes.
Als wäre es nicht bereits offensichtlich genug gewesen, woran es dem jüngsten Black Mountain–Werk Destroyer mangelte, reiben Webber und Wells mit dem vierten Lightning Dust-Album praktisch zusätzlich Salz in die Wunde: Das Schlagzeugspiel, die Tasteninstrumente wie Mellotron und Piano, vor allem natürlich die Stimme von Webber – sie waren, wie man spätestens jetzt weiß, absolut essentiell für die stärksten Geniestreiche der kanadischen Psychedelic-Retro-Rocker. Mehr noch zeigt Spectre jedoch, dass es vor allem das atmosphärische Element ist, dass das abtrünige Duo nach IV mit sich nahm und nun über 39 Minuten im mystisch-zeitlosen Ambiente zum Strahlen bringt, wo Black Mountain-Boss Stephen McBean dieses Abhandenkommen nicht aufwiegen kann.
Gleich der Opener Devoted To steigt mit seinen Vintage-Synthies schließlich ambientartig aus der Finsternis, folgt geduldig dem abgedämpften Gitarrengeplänkel und weiten Spannungsbögen, geheimnisvoll und getragen. Die dezent disharmonischen Streicher im Hintergrund werden von den melodiösen Elementen in den Arm genommen, doch irgendwann verglimmert die Nummer ernüchternd ereignislos, labt sich an ihrer fantastischen Aura und dem vielschichtigen Sound.
Der Fairniss halber sei nämlich ergänzt, dass man im Umkehrschluss auch dezitiert festmachen kann, woran sich Bean und die beiden Lightning Dust-Köpfe auseinanderdividiert haben: Spectre fehlt es – nicht nur in Relation zum regelrecht stumpf und gradlinig nach vorne gehenden Destroyer – an Kompromisslosigkeit, Fokus und Zielstrebigkeit. Immer wieder löst sich der psychedelisch schimmernde Folk-Rock von Spectre sich zu unverbindlich und vage auf, wo beispielsweise Kollegen wie Arboreutum das Momentum auch einmal beim Schopf ergreifen. Die Tiefe, die Black Mountain nun abgeht, sie kann von Lightning Dust artikuliert im Gegenzug nicht die entsprechende Durchschlagskraft und Wucht kanalisieren – als würden die beiden Platten als zwei Seiten der selben Münze der jeweils anderen ihre Unzulänglichkeiten vorführen.
Wo sich die Vergleiche alleine aufgrund der so charakteristischen Stimme Webbers unbedingt aufdrängen, zieht Spectre seine Inspiration allerdings nicht nur aus anderen Gefilden, nämlich dem Schaffen von Kate Bush, Joni Mitchell oder Grace Slick. Im Zweifelsfalls zieht Destroyer deswegen sowieso den Kürzeren gegen die unwirkliche, ätherische Schönheit und Eleganz von Spectre – transportiert über zehn wunderbare Songs, denen meist bloß ein wenig Würze auf dem Weg zu zarter Magie fehlen.
Womöglich sollte man diesen Willen zum Mäandern und zur Antriebslosigkeit (da im Grunde nur der flott dahinlaufende Outlaw-Country von Run Away in seiner freundlich-einnehmenden Art einen Zug zum Tor zeigt – dann aber symptomatisch abrupt beendet wird) auch als Konsequenz betrachten, mit der sich die retrofuturistische Grandezza so imaginativ wie assoziativ ausbreitet – und selbst seine namhaften Gäste ausnahmslos ohne Spektakel in den Dienst der Sache stellt.
Das mäjestätisch-bedächtige Led Astray mutet gar wie ein vergessener Klassiker von Fleetwood Mac am Lagerfeuer an, subtil und unvollendet, wo When It Rains trotz polternder Anmut mit seiner vorsichtig wärmenden Aufbruchstimmung den Abspann zu einer liebevollen, klischeelosen Erinnerung von Robert Forster an die Go-Betweens untermalen könnte. Welche Blaupause die mit glimmernden Streichern und gehauchter Eleganz romantisch glimmernde Klavierballade More konkret adaptiert bleibt offen, wohingegen der entspannter Folkrock von A Pretty Picture an It’s All Over Now, Baby Blue angelehnt scheint, von der relaxten Gitarre des Stephen Malkmus wundervoll begleitet.
Melancholisch-verträumte Pianostücke wie das elegische Inglorious Flu schmiegen sich ohne zwingende Agenda in die Gehörgänge; Joanna ist ebendort eine fast märchenhafte Trance, die durch akzentuiert polternde Drums einen feinen Drive bekommt, vorsichtig zu einer orchestralen Größe wächst, leider ohne auslaugendes Cinemascope – dafür fehlt der Nachdruck.
Selbst wenn für Competitive Depression Destroyer Dan Bejar vorbeischaut und das Szenario munter poltert, bleiben Lightning Dust einfach zu zaghaft, um ihr Potential auf eine Empore zu heben.
Es verströmt so zwar einen eigenwilligen, in Watte gepackten Anachronismus, wenn das finale 3AM / 100 Degrees weiter ausholt, langsam in Fahrt kommt, sich wieder ausbremst und plötzlich an der Akustischen gefühlvoll zupft, zum wehmütigen 8 Bit-Mahlstrom wird – aber dennoch bleibt das Gefühl, als wäre hier mehr drinnen gewesen: Eben mit Bean als rockigen kreativen Reibungspunkt. Stattdessen bekommt man eine nicht restlos zu Ende gedachte Skizze eines Beinahe-Meisterwerkes aus der Zeitkapsel, zu verwaschen für klare Konturen. So erhebend wie frustrierend, so süchtig machend wie unerfüllend.
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