Lightning Bolt [25.01.2019: Orpheum Extra, Graz]
Schon jetzt eines der absoluten Konzerthighlights des noch jungen Jahres 2019: Numavi Records, Werk02 und bigMAMA holen die Noiserock-Derwische von Lightning Bolt ins Orpheum Extra, inklusive unorthodoxem Support aus Island.
Knapp eine halbe Stunde hinter dem Zeitplan eröffnet jedoch erst das lokale Duo KreHm den Abend – mit einem atonal-strukturlosen Beinahe-Jam (plus Blitz-Grindattacke), der seine Samples, Loops und schiefen Vocals mit spastisch zuckenden Drums und Gitarrenfragmenten in einen aus dem Leim gehenden Noise kollidieren lässt, zumindest ansatzweise nachvollziehbaren Ideen letztendlich aber so konsequent wie willkürlich gegen die Wand fahren lässt.
Wer es bisher noch nicht wusste, sollte nach dieser Einlage zumindest informiert sein, dass Patrick Wurzwallner ein wirklich toller Schlagzeuger ist.
Ob die Instrumente von dj. flugvél og geimskip hingegen tatsächlich in der Schweiz hängen geblieben sind und die Musikerin deswegen ein Notfallprogramm praktiziert, sei danach dahingestellt: Was Steinunn Hardardottir unter dem isländischen Alias „DJ Airplane and Spaceship“ treibt, ist auch so extrem eigenwillig, bunt, überdreht und absurd, dass die Sause irgendwo hinter der Grenze des guten Geschmacks in seiner Unkonventionalität enormen Spaß macht.
Zu einer Overkill-Lichtshow spielt die Musikerin aus Reykjavik ihre bollernden Elektro-Songs schließlich in der Karaoke-Version vom Smartphone, singt und tanzt (und erzählt zwischendurch auf Englisch) wie im ADHS-Fieber entlang einer obskuren Geschichte über die Welt und alles daneben, inklusive diverser Tierlaute und viel Gepfeife, Seifenblasen und gurgelnder Schreie. Das klingt dann in etwa so, als hätte eine isländische Fee auf Speed reizüberflutenden J-Pop kurzerhand als hirnwütigen Techno missverstanden und mit Animal Collective‘esken Psychedelik-Unterton bastardisiert. Also: Gerade in diesem Rahmen eigentlich verdammt deplatziert, darüber hinaus generell geradezu irritierend neben der Spur liegend, übersättigend – mit entwaffnendem Charme allerdings trotzdem – oder gerade deswegen! – seinen kurzweiligen und unterhaltsamen Zirkus absolut schlüssig abliefernd. Das funktioniert und macht Laune. Auch, wenn das Orpheum Extra in dieser doch ziemlich speziellen Phase des Abends gefühltermaßen die niedrigste Besucherdichte aufzuweisen hat, kann wohl keiner abstreitetn: Man muss den Namen dieser One Woman-Exotenshow nicht aussprechen können, um das Brimborium dahinter wohl nicht so bald zu vergessen.
Stichwort Publikumsanwesenheit. Diese steigt natürlich pünktlich, als die beiden Brians Gibson und Chippendale sich inmitten der Zuschauermenge warmzumachen beginnen. Auf der Bühne spielt das Duo auch an diesem Abend nämlich wie üblich nicht – was übrigens auch die beiden Supportacts zuvor deswegen so praktizierten.
Es existiert jedenfalls von vornherein keine Barriere zum (weitestgehend relativ homogen männlichen, nicht mehr ausschließlich jungen) Publikum, zudem keinerlei Anlaufschwierigkeiten, um auf Betriebstemperatur für die hier startende Tour zu kommen und den Funken überspringen zu lassen. Die Schubkraft von Lightning Bolt schlägt unvermittelt von Null auf Hundert, Brian und Brian geben von der ersten Sekunde an Gas, als gäbe es kein Morgen – die hauseigene Messlatte wird mit irrer Lautstärke und Härte genommen, das muss man erlebt haben!
Sicher ist der (wie immer kaum Wünsche offen lassende Orpheum-) Livesound in diesem Fall zwar ohnedies nicht so weit von der rohen Energie der Studioalben der Band aus Providence entfernt. Doch mit welchem zusätzlichem Grad an instinktiver Intensität der Noiserock des Duos live durch die physische Präsenz verstärkt wird, ist dann schon noch einmal ein anderes Kaliber. Gerade Chippendale spielt seinem Ruf folgend wie ein besessener Berserker, unermüdlich getrieben explodieren und brechen die Sticks reihenweise durch die angriffslustige Performance des 45 Jährigen Kraftpaketes – klassisch in zu kurzen Shorts und engen Shirt bekleidet.
Dabei fällt auch die vermeintliche gegensätzliche Dynamik der beiden Lightning Bolt-Köpfe auf. Wo Chippendale sich in den wenigen Verschnaufpausen des Sets gegen den Jetlag stretcht und durchaus kommunikativ agiert, geradezu manisch über asiatische Liebeskomödien im Flieger-Bordprogramm zu plaudern beginnt oder über die Essgewohnheiten des Publikums Bescheid wissen will und respektive über angebliche Dorito-Tattoos informiert (was im Verbund mit seiner generellen Körpersprache vor allem unter der zerschlissenen Maske samt hallenden Stimmeffekten durchaus alles wie eine Drohung klingen kann) wirkt Chase hingegen ständig stoisch bis latent angepisst verharrend, verzieht nur selten eine Miene und spielt mit den wohl schmutzigsten Fingernägeln im Saal abseits des primären Rampenlichts (einer übrigens erwähnenswert starken Lichtshow!) sein virtuoses Programm, hält aber die Zügel bisweilen demonstrativ in den Händen: Der Videospiel-Entwickler und Komponist türzt manchmal auch unvermittelt in den nächsten Song, wenn ihm der wie ein psychotischer Kettenhund folgende Chippendale mal wieder zuviel quatscht oder nicht auf den Punkt kommt.
Dabei ist das Tempo sowieso einfach irrwitzig, tatsächlich orgasmisch, die Luft vibriert vor Spielwut. Das knapp einstündige Set gleicht in seiner atemlos-ungestümen Dringlichkeit einem exakt die Erwartungshaltungen bedienenden (und diese damit übertreffenden) Schaulaufen, konzentriert sich perfekt ausbalanciert vor allem auf Hypermagic Mountain sowie das 2015er Werk Fantasy Empire der virtuosen Amerikaner, inklusive der einen oder anderen Variation in Relation zum Studiomaterial, mehr Fokus im galoppierenden Ausritt und einem generell extrem überkochenden Druck. Heimliches Highlight ist hinter diesem ständigen Schub das sich langsam anpirschende, durchatmend-melodische Earthly Delights-Stück Colossus, das sich im feinen Groove wiegt, bevor die Lightning Bolt-Trademark-Hölle hereinbricht.
Über allem steht dennoch das abschließende Snow White (& The 7 Dwarves Fans), dass über seinen einleitenden gniedelnden Hillbilly-Banjo-Wahnsinn praktisch von Höhepunkt zu Höhepunkt hetzt, den Spannunsbogen hinter jedem Climax noch einmal aufs Neue enger zieht, und am Ende zu einem bestialischen Husarenritt mutiert, der absolut ekstatisch auslaugt, bis über den beweglichen Teil des Publikums sogar ein einsamer Crowdsurfer wankt, nicht wenige den Saal später ungläubig verlassen: Was für ein Spektakel mit Referenzwert. Stimmt es, dass sich die Veranstalter sich um die zehn Jahre bemüht haben, diese furiose, schweißtreibende, faszinierende, wilde Urgewalt von einer Band nach Graz zu lotsen, kann man nur dankend den Hut ziehen. Und attestieren: Es hat sich für diesen Abend jede Sekunde davon gelohnt.
Qualitativ bessere Fotos gibt es übrigens hier.
Setlist (ohne Gewähr):
The Metal East
Over the River and Through the Woods
Mega Ghost
Horsepower
Colossus
2 Morro Morro Land
Dead Cowboy
Snow White (& The 7 Dwarves Fans)
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