Liars – Mess
Liars zelebrieren abermals in der gewohnten Radikalität den stetigen Wandel: die siebente Platte von Angus Andrew und Co. ist eine halluzinogene Raveparty im kunterbunten Folterkeller und damit über weite Strecken der frontale Gegenentwurf zu ‚WIXIW‚.
Wo der instrospektive und verhalten bis klaustrophobisch agierende Vorgänger sich 2012 still und heimlich zu einem der stärksten Alben der Brooklyner ausgewachsen hat, geht ‚Mess‚ unmittelbar in die Vollen. ‚Mask Maker‚ sampelt zu Fratzen verzierte Textfetzen („Take my pants off. Use my socks. Smell my socks. Eat my face off.„) in sein blinkend schillerndes Soundkaleidoskop und marschiert schnurstracks auf den Dancefloor, mit drückenden, pumpenden Beats. Liars erfinden sich als aggressiv bratzende Synthie-Punks und nehmen sich auf dem Sprint der Extreme keine Zeit für zögerliche Zwischenschritte: enorm rhythmusorientiert war das Trio immer schon, derart straight agiert hat die immer wieder mal elektronisch aufgeladene Band bisher allerdings selten bis nie – ‚Mess‚ ist hinter all seiner verstörenden Schieflage die treibende IDM-Partyplatte der Band geworden.
Das clubtaugliche ‚Vox Tuned D.E.D.‚ nimmt den Faden seines Zwillings ‚Mask Maker‚ nahtlos auf, addiert heroische Steckdosenstreicher und lässt dem Album in der Eingangsphase bis hin zu dem verzweifelt zwischen muskulösem Industrialrock a la Nine Inch Nails und ätherischen Ambient losbrechenden ‚Pro Anti Anti‚ mit Andrew als beschwörenden Hexenmeister kaum Zeit um Luft zu holen. Das hysterische ‚Mess On a Mission‚ hyperventiliert mit einem Young Marble Giants-Billo-Keyboardblinken und äußerst direkten Hooks als aufdringlich gestikulierender Popköder, ‚Darkslide‚ arbeitet wild pulsierend als experimentelle Techno-Schleife (Intensivierung statt Entwicklung!) in der Schiene aktueller Electrowunderwerker von Jon Hopkins bis Nicolas Jaar bevor das brutzelnd-unterkühlte Hochspannungswummern des mediativen ‚Boyzone‚ mit den tranceartigen Melodien Andrews korreliert und ‚Dress Walker‚ etwas ziellos mit vagem Pop flirtet. Wie immer gilt: man muss in der richtigen Stimmung für Liars-Platten sein, damit das Gravitationsfeld der Kombo seine maximale Wirkungskraft entfaltet.
Im vierzehnten Jahr ihres Bestehens haben Liars dennoch Songs geschrieben, die vordergründig im Kontext des eigenen Schaffens Grenzen erweitern, allerdings nie tatsächliches Neuland erkunden, stellenweise sogar regelrecht retrolastig wirken, und vielmehr ureigene charakteristische Eigenheiten in Hoheitsgebiete anderer Elektromusiker übertragen. Mit ausgelassenen 56 Minuten Spielzeit ist ‚Mess‚ dazu in seinen schwächeren Phasen eine Spur zu wenig kompakt geraten und beamt sich mit einigen Längen in andere Sphären, wobei Liars ausgerechnet bei den beiden ausführlichsten Songs zur Hochform auflaufen.
Über die vielen indutriellen Soundschleifen von ‚Perpetual Village‚ werden über neun Minuten stringente Beats laufen gelassen, was dem hypnotischen Stück eine verschrobene Aura der Psychedelik verleiht, nahezu Minmalismus mit massiv dicken Mitteln ist und der typisch beklemmenden Atmosphärearbeit der Band ganz im Gegensatz zu dem Gros der vorangegangenen Momente auch einen futuristischen Anstrich beimengt. Neben der gedämpften Repetition von ‚Can’t Hear Well‚ ist der veträumte Schlusspunkt ‚Left Speaker Blown‚ dann nicht nur der ruhigste Track (und auch der direkte Verbindungslink zu ‚WIXIW‚ zurück), sondern wirkt wie ein narkotisierter Remix eines melancholischen The Cure-Songs mit Droneschleifen und zarten Melodiefäden – bezeichnenderweise auch der stärkste Song der Platte (sogar der beste Closer der Band seit ‚The Other Side of Mt. Heart Attack‚).
Wüsste man nicht, dass bei den Liars ohnedies nie ein Stein auf dem anderen bleibt ließe sich gar behaupten ‚Mess‚ sei mutmaßlich der ausgelassene Rausch um den Kopf für zukünftige Abenteuer freizupusten. Richtiger aber ist vielleicht viel eher, dass hier eine unfehlbar experimentierwütige Band ihrem Portfolio abermals eine neue Facette hinzugefügt hat. Dass es viel eher eine vitalisierende denn eine durchwegs spannende ist, darf letztendlich alleine deswegen egal sein, weil es mit den Gestaltenwandelern Liars ohnedies niemals langweilig zu werden droht.
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