Letlive. – The Blackest Beautiful
Post-Hardcore, Screamo, Metalcore, Pop, Prog-Rock, Emo und Michael Jackson – Letlive. bedienen sich wo sie wollen, nehmen die meisten Zutaten der vorangegangenen (je nach Zählweise) drei Studioalben, verdichten und potenzieren sie: ‚The Blackest Beautiful‚ ist der Brocken geworden, der den Hype nach ‚Fake History‚ auf nicht ganz unprätentiöse Art und Weise doch bestätigt.
Jason Aalon Butler hatte immer schon das Aussehen des massentauglichen Szene-Posterboys – und spätestens jetzt hat seine Band die ultimative Platte dazu in der Hinterhand, um endgültig auch alle Fanherzen abseits der amerikanischen Westküste und Epitaph Records im Sturm abzuholen.
Da wie dort hat sich die Qualität der Band aus Los Angeles schnell herumgesprochen, wurde mit jedem der sagenumwoben intensiv gehandelten Liveauftritte des Quartetts weiter in Zement gegossen. Als Europäer konnte man sich von der Bühnenqualität der Kombo ja bisher eher schwer überzeugen – was sich angesichts des sich abzeichnenden Erfolgs von ‚The Blackest Beautiful‚ zu ändern scheint. Bis dahin darf man sich Konzerte der Band jedenfalls schon einmal als die allerorts gepriesenen, bestialisch druckvollen Energieausbrüche ausmalen – nimmt man die schier atemlose Power als Gradmesser, mit der Letlive. mittlerweile aus den Boxen ballern. Die brachial fette Produktion und vor allem der kantenschleifende – zumindest sehr spezielle – Mix von Stephen George (Mary J. Blige, Michael Jackson) raubt den Kompositionen trotzdem einiges an Seele.
Die Zuspitzung und (Über-)Steigerung der auf ‚Exhaustion, Salt Water, and Everything in Between‚ (2003) und ‚Speak Like You Talk‚ (2005) sowie dem von Brett Gurewitz vor zwei Jahren rereleasten Drittwerk ‚Fake History‚ (2010) eingeführten Trademarks findet auf ‚The Blackest Beautiful‚ eben auch in produktionstechnischer Hinsicht statt – vor allem aber natürlich in musikalischer. Die eingängigen Parts sind noch deutlich catchier und poppiger geworden, die prügelnden Attacken drumherum fordernd geblieben, aber weniger im Chaos verhaftet- war ‚Fake History‚ die Glassjaw-Platte der Band, ist ‚The Blackest Beautiful‚ vielleicht am ehesten ihr Rage Against the Michael Jackson-Werk.
Im Zentrum der scheuklappenbefreiten, progressiven Spielwiese steht dabei weiterhin Frontmann Butler. Der Sänger ist und bleibt Direktor, Kraftstoff und Epizentrum von Letlive.; schreit, singt, rappt (musste das sein?), brüllt, faucht, rezitiert und leidet sich gewohnt facettenreich und mit theatralischen Vokalen durch die ruhelosen Songs, platziert sich mit seinem „Claudio Sanchez intoniert Daryl Palumbo„-Organ unerschrockener denn je mitten im Revier des verstorbenen King of Pop (Paradebeispiel: das elektronisch angehauchte ‚Younger‚) und lässt seine „Hey, Yo„-Homeboy-Attitüde nervend raushängen.
Womit ‚The Blackest Beautiful‚ sich nicht nur als Nachfolger von ‚Fake History‘ gewöhnungsbedürftig inszeniert. Nach der zwangsläufig notwendigen Abholphase stehen die Chancen auf eine persönliche Platte des Jahres trotzdem gar nicht so schlecht für alle, die bereits auf das vorangegangene Durchbruchsalbum steil gingen.
Oder natürlich auch (wieder) für all jene, die das pathetisch angetriebene Coheed and Cambria–Raumschiff nur zu gerne im Schleudersitz der Protest The Hero-Achterbahn sitzen sehen wollen würden, die sich für The Used-Platten ebenso wenig schämen wie für die Sammlung an Misery Signals-, The Mars Volta, Trophy Scars, Brand New und Every Time I Die–Alben oder dessen musikalische Sozialisierung über die Untiefen der frühen 200er Screamo-Landschaft statt gefunden hat und 10 Jahre nach ‚Worship and Tribute‚ keinen Bock mehr darauf haben auf einen neuen Langspieler aus dem Hause Glassjaw zu warten.
Derar sorgen Letlive. vom eröffnenden ‚Banshee (Ghost Fame)‚ weg absichtlich nicht für klare Fronten, sehr wohl aber für einen explodierenden Synapsentanz mit ausladendend erstellten Schlachtplan: unter Strom stehende Riffs peitschen fauchend und pulsierend stakatohaft zwischen fetten arrangierten Breakdown-Rhythmen, hochinfektiöse Hooklines und Melodien zucken bei der stürmischen Herangehensweise an die elaborierten Emotionen. Akustikgitarren tauchen ebenso plötzlich auf wie sie verschwinden, Salsa-Percussion und harmonisch gehetzte Ganggesänge schließen sich nicht gegenseitig aus. Von nackenbrechender Geschwindigkeit (‚Empty Elvis‚) schalten Letlive. mühelos in zurückgelehntere, beinahe balladeske Gefilde um (‚White America’s Beautiful Black Market‚) oder marschieren in epischer Atmosphäre zu neuen Glanztaten in der eigenen Discographie (‚Virgin Dirt‚). Die „herausragend kritischen Lyrics“ muss man dabei nicht zwangsläufig derart tiefgründig finden, wie das in den Staaten offenbar der Fall ist, Marke: „The Government’s sucking the dick of corporations„.
„We’re here to fulfill every one of your dreams“ singt Jason Aalon Butler im frühen Verlauf der Platte. Letlive. können diesem vollmundigen Versprechen und dem drumherum einsetzenden Hype beinahe gerecht werden: mit Songs, die sich allesamt (schwächelnde Ausnahmen wie ‚The Dope Beat‚ außen vor) annähernd ähnlich stark präsentieren wie jene auf dem dezent besseren ‚Fake History‚ – in all der Eingängigkeit und der oftmals an der Grenze zum Fremdschämen operierenden Attitüde jedoch auch deutlich galliger. Leider: dieses Produktion/Mix-Desaster (wer verweist bei dieser Gelegenheit auf den Major-Einstand?) kehrt die fragwürdigen Seiten der band noch deutlicher hervor, das muss man sich erst einmal schön hören, um wirklich Spaß an einer Platte zu haben, die als eierlegende Wollmilchsau in allen Schubladen ohne Rücksicht auf die Szenepolizei wild wütet. Notfalls ja mit der potentiellen Aussicht im Hinterkopf, um wieviel besser und gandenloser sich das Spektakel im raueren Live-Gewand wohl machen dürfte.
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