Laurel Halo – Possessed

von am 15. April 2020 in Soundtrack

Laurel Halo – Possessed

Laurel Halos Musik ist trotz aller körperlichen Präsenz seit jeher auch ein Katalysator für das Kopfkino – und damit als Untermalung für tatsächliche filmische Exkursionen längst überfällig. Possessed würde dies bestätigen…

…wäre da nicht zuerst die Lektion, dass man das Debüt der Wahl-Berlinerin als Soundtrack-Lieferantin bisher einfach nur schmerzlich verpasst hat. Offiziell mag der Score zum Metahaven-Projekt zwar erst jetzt erscheinen, tatsächlich datiert der Film aber bereits von 2018.
In Unkenntnis des selbigen muß eben die Website des Donaufestival zitiert werden: „Der Score von Laurel Halo rahmt diesen Filmessay über eine aus den Fugen geratene Welt. Smartphones werden verbrannt, als ob man Kultobjekte eines Aberglaubens bannen müsste. Ein Eisberg kracht zusammen, eine Drohnenkamera filmt die Ruinen Aleppos. Erratische Kostüme verdecken Gesichter von Menschen, die auf einem verlassenen Militärflughafen in Kroatien Formationen bilden und damit vielleicht auf neue Formen des Zusammenseins hindeuten. „Jede Zärtlichkeit ist radikal in einer zerstörten Welt“, sagt eine junge Frau.

Viel klarer wird der Sachverhalt dadurch vielleicht nicht. Wichtiger aber ist ohnedies die Feststellung, dass der nun nachgelieferte Soundtrack zu Possessed für sich stehend heute genauso aktuell und andersweltartig verankert klingt, wie er es vor zwei Jahren getan haben mag.
Hyphae versucht dabei als abgründige Piano-Landschaft mit intrinsisch-elektronischer Spannung als eine unruhige und dennoch bedächtige Schönheit noch den Schulterschluß zu Raw Silk Uncut Wood zu finden: Unheilschwanger beginnen die Schaltkreise zu erwachen, geben das ruhige Tempo, die blinkende Stille und allgemeine Zurückhaltung der Platte vor, die sich von der Physis Laurel Halos regulärer Studioalben nach und nach entfernt – erst das finale Masks wird als fragmentarisches Bruchstück den Kreis dazu schließen.
Texturen breiten sich zwischen dieser Klammer in der Dunkelheit aus, Halo setzt immer wieder über ihre an sich non-elektronische musikalische Ausbildung Akzente, die sich der Greifbarkeit entziehen und in orchestrale Gefilde wandern.

Das Rome Theme installiert dafür als erstes von drei über den Albumverlauf verteiltes Suite-Segmenten ein trauriges Violinen-Motiv, das weit in die Vergangenheit blickt, sich später mit subversiver Verzweiflung vor einer fernen Eskalation im Kreis dreht, zuletzt beinahe hibbelig aufgeweckt in Wellen klimpert und seine Nervosität mit einer verschmutzen Niedlichkeit unterfüttert.
Breath taucht dagegen in die warme Klaustrophobie eines erhebenden Twin Peaks-Drones ein, Lead intensiviert diese Ästhetik fokussierter und finsterer, auch ungemütlicher, das kurze Last Seen skizziert sie vergänglicher und ohne Gewicht. Marbles konterkariert diese Beklemmung mit einem versöhnlich tröstenden, hellen Klavierspiel in zärtlicher Anmut, die dennoch niemals eine verdächtige Undurchsichtigkeit ablegen will. Die diffuse Klanginstallation Zeljava schrammt mit latenter Dissonanz und gepflegter Atonalitöt am Dark Ambient und Avantgarde entlang, während Cave Walk als Sehnsucht alleine den Orchestergraben anfleht und das viel zu kurz angedeutete Stabat Mater (Exerpt) mit der Klassik liebäugelt.
Possessed ist also nicht makellos, doch in seiner mosaikartigen Ausdehnung, die ein Gespür für Dynamik über den zielstrebigen Klimax und die überwältigende Dichte der Atmosphäre stellt, fließt hier alles, jedes Element ist ausdrucksstark und imaginativ. Halo zeigt hier gewissermaßen eine künstliche Natürlichkeit, einen organischen Hybrid, ein bisschen futuristisch und doch zeitlos – vor allem aber auch eine vielversprechende Talentprobe als Soundtrack-Künstlerin.

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