Lankum – False Lankum
Jener Song, der dem bis 2016 als Lynched formierten Quartett aus Dublin einst seinen neuen Namen hab, betitelt nun augenzwinkernd das dritte Album des irischen Folk-Malstroms: False Lankum.
Was in gewisser Weise mehrdeutig zu verstehen sein dürfte: Neben drei Fugen als Bindemittel, die irgendwo zwischen Post Industrial, Dark Ambient und naturalistischen Klanginstallationen als Interludes den grandiosen Fluss einer imaginativ so weitläufigen, und atmosphärisch so fesselnd (und angesichts einer Gesamtspielzeit von 70 Minuten auch überraschend kurzweilig) in sich geschlossenen Platte weiter verdichten, sind nur zwei Stücke von False Lankum Originale: Netta Perseus als (für sich genommen in direkter Relation zu den unverrückbaren Vehemenzen der restlichen Nummern etwas weniger zielorientiert anmutendes,) harmonisch gezupftes, einnehmend zurückhaltend arrangiertes und trügerisch weich beklemmendes Kleinod, das zur Mitte hin plötzlich den Twist in die kalte Repetition des organischen Groove ansetzt, als wären Swans einem beschwörenden Kelten-Kult beigetreten, und der 13 minütige Schlusspunkt The Turn, der sich ritualistisch aufbäumt, die wogenden Melodien seiner transzendentalen Gesänge auf einen rhythmischen Stoizismus treffen lässt, der wie in schamanistischer Trance zum dissonanten Drone findet – Marke: Angels of Light, Lisa O‘Neill, Richard Dawson, Jim Ghedi und Fairport Convention halluzinieren gemeinsam von Godspeed You! Black Emperor.
Am vorderen Ende der Platte steht die wohl sogar noch imposantere Eröffnung Go Dig My Grave – eine von Radie Peat beschwörend wie ein endloses Nebenmeer über die tonalen Landschaften der Highlands ausgebreitete Weh- und Totenklage, bedächtig erwachend und sich mystisch und sparsam dräuend schleppend, so archaisch und ehrfurchtgebietend, bis das epochale Stück skelettiert durch fiepend dröhnende, atonal becircende Schleiern als instrumentaler Wellengang auf- und abzuschwellen beginnt, bedrohlich und unwirklich, wie der Fiebertraum von 16 Horsepower von The VVitch in Zeitlupe.
Dies ist dann auch das erste Traditional, dem False Lankum sich annimmt – und das sich das Quartett dabei komplett zu Eigen macht. Das exemplarisch für alles folgende erfrischend vital, und trotzdem keineswegs „modern“ klingt, sondern viel eher der Zeitlosigkeit mit avantgardistischem Ernst und einer unverkrampften Hingabe neuen Schwung gegeben hat. Selbst gefühlt einen halben Kontinent und Kulturkreis entfernt ist es dazu wirklich beeindruckend, welches Gefühl der Vertrautheit Lankum erzeugen – doch eine Tatsache ist eben, dass das Drittwerk der Band etwas wahrhaftiges, universelles in sich trägt (selbst wenn die Texte der Platte subjektiv weniger auf persönlicher Ebene ergreifen, als in die Beobachter-Rolle positionierend fesseln). False ist hier jedenfalls natürlich gar nichts, sondern so authetisch die Essenz von Lankum zelebrierend. Und zumindest auf Meta-Ebene muß ein kleines Lächeln ja erlaubt sein, wo ansonsten wenig Sonne scheint.
Mit ihrem angestammten Produzent John ‘Spud’ Murphy haben die Anachronisten von Lankum – Ian Lynch (vocals, uilleann pipes, concertina, tin whistle, percussion), Daragh Lynch (vocals, guitar, percussion, piano), Cormac Mac Diarmada (vocals, fiddle, viola, banjo, double bass, vibraphone, piano, percussion), Radie Peat (vocals, bayan, concertina, harmonium, organ, piano, electric organ, harp, mellotron) – ein ebenso dunkles wie rundes Album aufgenommen, das (gerade in seiner Klammer) gleichzeitig betont groß, mächtig und ambitioniert ausgelegt ist, dabei aber erstaunlicherweise auch zugänglicher und bekömmlicher funktioniert, als seine beiden Vorgänger, hier und da sogar eine gewisse Gefälligkeit nutzt und sich letztendlich doch nur vorwerfen lassen muß, daß zwischen dem alles überschattenden Rahmen praktisch jede Sekunde der Musik in Aussicht stellt, wie viel imposanter, erschöpfender und physisch spürbarer all das wohl erst im Live-Gewand zur wirklichen Naturgewalt heranwachsen wird. Radikaler ginge es insofern zwar wohl, konsequenter allerdings kaum.
Clear Away in the Morning schimmert hinter Go Dig My Grave nämlich versöhnlich nach, warme Acoustic-Gitarren nehmen die Kälte in Besitz, der stille Gesang träumt gespenstisch schwelgend gar von The Low Anthem und den Decemberists. Der repetitiv mutierende, rauschhafte Tanz an der Harmonika von Master Crowley’s schnauft und stampft Dampf machend als ausgelassene Endzeit-Piratenmusik und hat mehr manisches Charisma im kleinen Finger, als andere Versionen im gesamten Körper, derweil eine bekümmerte Melancholie und bodenständige Tragik wie in der tröstenden Sehnsucht Newcastle noch gravierender eindringt.
Das wogende Lord Abore and Mary Flynn oder das die Leiden der Arbeiterschicht erduldende On a Monday Morning sind im Kern unendlich bekümmert, in der Schale aber sogar einladend und catchy, betroffen machende Ohrwürmer. The New York Trader schippert dagegen nur so lange wohlwollend, bis apokalyptische Konturen den Shanty Groove mit fast drone-metallischer Unbarmherzigkeit in die Mangel nehmen und vorführen, wie viele Nuancen False Lankum tatsächlich auch nach zahlreichen Durchgängen noch zum Eintauchen parat hält, wie sehr die Bandbreite der Band nochmals gewachsen ist, obwohl eigentlich „nur“ die Amplituden des Spektrums intensiviert wurden. Richtig ist insofern: Lankum assimilieren die Interpretationen des so homogen gebündelten Materials (trotz einiger weniger kleiner Schönheitsfehler hinter dem herrlich untrendigen Artwork) ziemlich meisterhaft, mehr noch, in den besten Fällen überliefern sie diese Traditionals sogar mit einer tiefgreifenden Bestimmtheit, dass die Eindrücke für aktuelle und nachfolgende Generationen eventuell bis zu einem gewissen Grade obendrein prägend sein könnten.
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