Lana Del Rey – Violet Bent Backwards over the Grass
Aus White Hot Forever ist mittlerweile offiziell Chemtrails Over the Country Club geworden. Doch bevor Lana Del Rey ihr siebtes Studioalbum vorlegt, debütiert sie anhand von Violet Bent Backwards over the Grass noch mit einem poetischen (Audio)Book.
Ihre Schreibblockade vor Norman Fucking Rockwell hat Lana Del Rey – die nie einen Hehl aus ihrer Verehrung für Sylvia Plath, Walt Whitman oder Allen Ginsberg machte, und alleine über Ride oder Tropico stets eine Plattform für ihre Neigungen fand – erst mit dem konsequenten Verfassen von Gedichten gelöst. In gesammelter Form boten sich diese nun zudem an, der ersten Druck für die Zeit nach ihrem 2019er-Meisterwerk zu nehmen – obgleich bereits in knapp zwei Monaten eben Chemtrails over the Country Club bevorsteht.
Oft verschoben (erst aus persönlichen Gründen, dann aufgrund einer Pandemie), wurde der Plan, Violet Bent Backwards over the Grass um weniger als einen Dollar zu verkaufen („because my thoughts are priceless“) und die Hälfte des Erlöses zu spenden zumindest adaptiert: Neben dem E-Book und Hardcover erscheint der Band physisch spätestens im September auch in zahlreichen limitierten Vinyl- und Deluxe-Versionen.
Abgesehen davon bekommt man nun jedoch exakt, was zu erwarten war: Lana Del Rey spricht ihre Texte wie sinnierende Erinnerungen, präsent, manchmal in purer Nostalgie verwehend, ein bisschen körperlos. Dann wieder rezitiert sie bittersüße Monologe ungewöhnlich eilig, thematisiert Selbstzweifel und -findung mit einer Getriebenheit, die hinaus muß. Die Aufnahmequalität der rezitierten Vocals zeigt sich dabei belegt und verrauscht, so entrückt, als würde man ein vergilbtes Bild betrachten – ein zwar offensichtlich ausgelegtes, aber wunderbar funktionierendes Stilmittel. Man muss sich etwa nur auf diffus-sedative Fieber wie Salamander einlassen.
Selbst dann bietet jedoch gerade die Eingangsphase eine eigenwillige Perspektive auf Poesie, ist eher Storytelling, wenn LA Who Am I to Love You (oder später auch Tessa DiPietro) als Stream of Consciousness auftritt – glamourös, naiv, popkulturell und ohne überhöhte Tiefgründigkeit über distanzierte Field Recordings und an Dichte variierenden Pianogeklimper die Imagination durchaus einnehmend prätentiös betörend. Überhaupt streift Del Rey freilich immer wieder durch Klischees, begegnet vielen männlichen Charakteren mit J als Anfangsbuchstaben in deren Namen; zeichent bisweilen auch bemühte Bilder; lässt offen, ob Violet ein Symbol („I love rose gardens/ I plant violets every time someone leaves me„) oder eine reale Person sein könnte („And then I walked through the door past the open concept/ And saw Violet bent backwards over the grass„); wird in Paradise is Very Fragile ausnahmsweise unkaschiert politisch ( „Our leader is a megalomaniac /And we’ve seen that before/ But never ‚cause it was what the country deserved“); streichelt dann in Innenansichten auch seelische Narben, zeichnet starke Bilder und bleibt letztendlich eine Kunstfigur, wenn auch auf andere Weise, als auf ihren regulären Studioalben.
Von diesen unterscheidet sich auch die instrumentale Ästhetik der Platte. Jack Antonoff hat körperlose Instrumentalstücke hinter die Texte gelegt, die mal aus der zeit gefallene Pianostücke vorbeiplätschern , dann wieder lose den Jazz referenzieren (die unwirkliche Nostalgie-Fantasie The Land of 1000 Fires, das desorientierte Quiet Waiter – Blue Forever oder das sommerliche What Happened When I Left You), den Folk schrammen (Never to Heaven) oder vollkommen ätherisch im Ambient baden (das Rollenspiel Tessa DiPietro – „No one ever touched me without wanting to kill me/ Except for a healer on 6th street in Ridgely“).
Sie alle folgen strukturoffen alleine dem Fluß der Worte, sind nur auf den ersten Blick zielloses Geplänkel und austauschbares Beiwerk , obgleich die Texturen nicht nur in der schimmernden Lavalampen-Lounge des Titelstücks oder Past the Bushes Cypress Thriving (im dem Del Rey immer dichter aufrückt und eine Metrik an den Tag legt, die kaum für ihre Songs adaptiert werden müsste) nicht mehr als Zweckdienlichkeit sein wollen und leider sofort abblenden, wenn der Vortrag von Del Rey beendet ist – hätte Antonoff mehr Raum bekommen, wäre Violet Bent Backwards over the Grass atmosphärisch noch fesselnder geworden.
Auch so wird man als Fan dennoch zu dieser überraschend faszinierenden Platte zurückkehren und sich der Sogwirkung von Del Reys Stimme und ihrem einnehmenden Vortrag hingeben. Denn trotz etwaiger Kinderkrankheiten beherrscht die Alleskönnerin auch das Spoken Word-Milieu, oder wie sie selbst sagt: „People love my stories/ People love visions.„
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