Lana Del Rey – Lust for Life
Ihre ersten vier Studioalben habe sie ausnahmslos für sich selbst gemacht – während Lust for Life nun für ihre Fans entstanden sei, sagt Lana Del Rey. Und lächelt plötzlich nicht nur glückselig vom Plattencover.
Lust for Life ist auch hinter seiner freundlich und hell strahlenden Fassade von einem grundsätzlichen Optimismus durchzogen, dem sich die 32 Jährige Kalifornierin auf Ultraviolence (2014) und Honeymoon (2015) in dieser Form nicht hingeben wollte: „It hurts to love you, but I still love you/ It’s just the way I feel/ And I’d be lying if I kept hiding/ The fact that I can’t deal/ And that I’ve been dying (yeah)/ For something real“ leidet Lana Del Rey zwar immer noch unter schwerem Vintage-Herzen, blickt aber mittlerweile auch zuversichtlich in die Zukunft: „There’s a change gonna come, I don’t know where or when/ But whenever it does, we’ll be here for it„. „Don’t worry baby“ rät sie gleich zu Beginn, vielleicht reifer denn je.
Die Sepia-Töne ihrer melancholischen Elegien bekommen so nach dem stilistisch noch nahtlos an die beiden Vorgängerplatten anknüpfenden Opener Love (ein wuchtig aufgelegter Songteppich: bedächtig und dramatisch; eine Fortsetzung des unsterblichen Young and Beautiful gewissermaßen) eine zuversichtliche, bisweilen gar heiter-hoffnungsvolle Färbung hinter dem typisch traumwandelnden Schwermut. Auch ein Charakterzug übrigens, der eine homogen verschmolzene Platte eint, obwohl sich deren beider Pole musikalisch doch in dezent unterschiedlicher Prägung entfalten.
Wo das zitatgeschickte Lust for Life in seiner Schlußphase über Songs wie das symptomatisch betitelte Get Free (entgehen der Tradition also kein Cover als Closer – obwohl Ms. Del Rey Radiohead und dem Duo Hammond/Hazlewood eigentlich dennoch Tantiemen zahlen müsste), die mystisch mäandernde, ziellos plätschernde Entschleunigung Heroin oder das wundervolle Change als minimalistische Klavierballade voller einfühlsamer Intimität die getragene Stimmung von Honeymoon und Ultraviolence ins hippieske-freigeistige verlagert und damit erstaunlich warm fließende Schönheiten zaubert, deren ätherischen Wohlklang ganz „out of the black, into the blue“ mit einer relativen Leichtigkeit aufbettet, knüpft die Platte über ihre ersten zwei Drittel die Verbindung zwischen dem etablierten Trademark-Sound Lanas jüngerer beider Werke und ihrer vorangegangenen Oldschool-Phase, der Hip Hop-affinen Ausrichtung von Born to Die.
Ob nun das düster wummernde Cherry (als still seine Gitarre oszillieren lassender Tarantino-Verführer) oder das verletzlich gehauchte In My Feelings – die Songs von Lust for Life sind zumeist auf klackernd-ratternde Trap-Beats gebaut, die im Verlauf des Spannungsbogens der Platte eingangs behutsam eingeführt werden und hinten raus leise verklingen. 13 Beaches legt sich dem folgend erlösend und devot in seine langsam pulsierende Pracht, während Klavier und Mundharmonika betörend unter den ohne Hast malen, die klassische Anmut des ruhigen White Mustang wird schließlich mühelos von der jazzigen Drum Machine unterwandert und lässt Motoren heulen. Weich skelettiert rollende Rhythmen unterfüttern hier also über weite Strecken das nichtsdestotrotz klassisch weihevoll schwelgende Lana-Songwriting – In Kombination sorgt dies für eine Ästhetik, die an der Dynamik des Trip Hop in Zeitlupe geschmiegt sphärisch tanzt, einen trippigen Sog erzeugt und die bisweilen stereotyp-gleichförmig anmutenden Beat-Bausteine des Hip Hop-Subgenres trotz der doch zu ausführlichen Dauer von sehr sättigenden 72 Minuten weitestgehend auffängt.
Nichtsdestotrotz ist die elaborierte Spielzeit eines der kleinen Mankos einer ambitionierten Platte geworden. Für sich selbst genommen mag keiner der Songs einen tatsächlichen Ausfall darstellen und sich absolut homogen an seine jeweiligen Nachbarn fügen. Am Stück konsumiert kann der Fluss von Lust for Life jedoch an der Substanz zehren – einigen enervierenden Passagen hätte ein wenig Straffung und Fokus nicht geschadet. Gerade auch, weil durch die präsenteren Beats eine neue Form der subtilen Stringenz im prunkvollen Klangraum der Lana Del Rey Einzug gehalten hat.
Selbst relative Schwächepassagen wie das mit zu durchsichtig konstruiertem Refrain (samt billigem Patronenschuss-Beat und spanisch gezupftem Zauberfinale im Streicherglanz) aufwartende God Bless America – And All the Beautiful Women in it, When the World was at War We Kept Dancing (mit ambienter Percussion und Akustikgitarre zelebriert Lana hier eine Americana-Annäherung) oder die an sich wunderbar entrückte Witch House-Elektronik von Coachella – Woodstock on my Mind beschwören trotz gewisser Längen eine ambitionierten Grazie zwischen routinierter Klasse und erhabener Frischzellenkur.
Und gerade mit ein wenig sonniger Hitze im Rücken ist Lust for Life dann nichtsdestotrotz ein flirrendes Popalbum geworden – im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern eben eher Sommerspritzer, als Rotweinabend – , in das man sich im aufgelösten Zeitgefühl mit jedem Mal mehr verliert und neue Facetten am Schaffen der Nostalgikerin entdecken lässt.
Durch die Variationen im Auftreten schärft die Melodramatikerin nämlich nicht nur die Individualität der Songs für sich und den Charakter der Platte generell (denn nein: trotz klarer Handschrift klingen eben nicht alle Platte von Lady Lana gleich). Sie schafft auch erstmals den Raum für eine Gästeliste und damit verbunden für die vielleicht erfrischendste Änderung in ihrem anachronistischen Klangkosmos – welche die bereits erwähnten Amplituden von Lust for Life wiederum am deutlichsten vorführen.
Mit ihren Starboy The Weeknd (dessen Gesäusel ein Miguel wohl slicker ersetzen hätte können)feiert Del Rey im am modernen Pop-R&B brutzelnden Vorzeigesingle-Titelsong einen lasziv wummernden Neon-Hedonismus auf den Hollywood Hills („They say only the good die young/ That just ain’t right/ ‚Cause we’re having too much fun/ Too much fun tonight, yeah/…/And the Lust for Life/ Keeps us alive/…/ Take off, take off/ Take off all of your clothes„), während das schwülstig dösende Trap-Sedativum Summer Bummer mit A$AP Rocky und den kaum auszumachenden Playboi Carty theoretisch mindestens ebenso gut harmoniert, dank der nervigen Adlips und Vocoderstimmen aber länger benötigt, um schlüssig zu zünden. Das maritim aufmachende, perlende Groupie Love lehnt sich aus einem Synthiemeer danach in einen archetypisch wehenden Refrain und majestätische Streicher-Arrangements – selbst wenn Lana es sich eigentlich zu gemütlich in ihrem standardisierten Wohlfühlzone gemacht hätte, sorgt die Inszenierung des Songwritings diesmal für eine bisher ungekannte Agilität im Sound.
Auf der anderen Seite der Platte zelebriert Lana dann mit Fleetwood Mac-Legende Stevie Nicks das theatralisch in großen Gesten schwadronierende Beautiful People Beautiful Problems mit einer simplen Eleganz, die die ultimative Formvollendung von Honeymoon angenehm durchlüftet.
Noch größer ist allerdings die kongeniale Zusammenarbeit mit Retro-Magier und Kooperations-Meister Sean Ono Lennon, Tomorrow Never Come. Eine unerfüllte Romanze, in der die vermeintliche Kunstfigur Del Rey im Rahmen einer deutlich weniger fiktionalen Phase der Platte endgültig in der Realität angekommen zu sein scheint, indem Lana ihre mit Hollywood-Klischees spielenden Lyrics mit popkulturellen Referenzen auf eine Metebene holt: „Lay, Lady, lay on that side of a paradise/ In the Tropic of Cancer/ ‚Cause if I had my way, you would always stay/ And I’d be your tiny dancer, honey/…/Roses out in your country house/ We played guitar in your barn/ And everyday felt like Sunday/ And I, I wish we had stayed home/ And I could put on the radio to our favorite song/ Lennon and Yoko, we would play all day long/ „Isn’t life crazy?“, I said now that I’m singing with Sean“ – während die persönlicher agierende Chanteuse und der gerne unterschätzte, übrigens nahezu alle Instrumente hierfür selbst eingespielt habende Beatles-Spross Hand in Hand zu immer neuen melodischen Höhepunkten flanieren.
Das sind dann am deutlichsten jene Momente, in denen man durchaus bezweifeln darf, dass Lana Del Rey Lust for Life tatsächlich primär nur für ihre Fans produziert hat und nicht für sich selbst. Diese verschobene Interpretation der Wirklichkeit wird ihr angesichts der dahinter stattfindenden Entwicklung aber wohl kaum jemand übel nehmen.
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