Lana Del Rey – Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd
Ein zugemauerter und in Vergessenheit geratener Tunnel als Sinnbild für Lana der Reys eigene Findungsphase, zwischen Familien-Planung, -Treffen und -Therapie, zwischen Selbstreferenzen und Assimilationen, zwischen neuen Perspektiven und Basis-Triumphen. Also: Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd?
Während man selbst als ortsunkundiger Fan nun Bescheid über die architektonischen Gegebenheiten unter dem Jergins Trust Building in Long Beach weiß, gibt es ohnedies nur wenige Punkte, wegen derer das neunte Studioalbum von Elizabeth Woolridge Grant als Lana Del Rey doch auch mit offenen Fragen entlassen könnte.
Warum die 37 den längstens chronischen Hang dazu, ihre Werke viel zu ausführlich anzulegen, nicht nur weiterhin nicht in den Griff bekommen will, sondern mit Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd über satte 78 Minuten Spielzeit sogar noch ihr bisher längstes Werk vorlegt (und damit ihrem mindestens drittbesten Album ein kleines bisschen selbst im Weg steht), lässt sich nur schwer nachvollziehen. Denn ganz im Ernst: ohne ohne das Judah Smith Interlude (ein absoluter Skip-Kandidat um eine theologische, thematisch schon passende und dennoch einfach mühsame Ansprache des Hipster-Pastors), das Jon Batiste Interlude (das weitaus stimmiger im Gesamt-Gefüge aufgeht, aber im Prinzip eben auch nur einen latent redundanten Nachhall der von Gitarrist Nick Waterhouse mitproduzierten, ganz wunderbar andächtig verträumten Batiste-Melancholie Candy Necklace darstellt, in dem sich die bittersüße Gänsehaut zeitlos aufstellt) sowie Peppers (das rund um die supernervig nicht mehr aus dem Schädel wollende Angelina-Hook von Tommy Genesis 2015er Album World Vision als separate Single oder TikTok-Penetranz idealer aufgehoben gewesen wäre), wäre Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd um satte 12 Minuten kürzer ausgefallen – und hätte einen weitaus stringenteren Hörfluss aufzuweisen, soviel steht fest.
Stichwort Spannungsbogen: Ohne deswegen tatsächlich orientierungslos zu wirken, agiert Did You Know That There’s a Tunnel Under Ocean Blvd diesbezüglich unausgewogen, zeigt in seiner Entwicklung stilistisch sogar ein latentes Paradoxon zu seiner Thematik, indem die Platte dort beginnt, wie Lana bisher noch nicht war (nämlich im Soul) und ein wenig dort endet, wonach sich Grant immer schon sehnt (also zeitaktuellen Hip Hop), während zwischen den ästhetischen Ambitionen die auf den ersten Blick geradezu unscheinbare Besinnung auf die reduzierte Klaviatur des fragilen Persönlichen liegt – wobei jede der drei Ausrichtungen das so warme, nostalgische und poetische Spektrum im Kreis der (Geburts- und potentiell zukünftig von Lana selbst gegründeten) Familie ebenso aus eigenen Deja Vues wie fremdgespeisten Impulsen bedient, erstmals aber keine Überbleibsel aus vergangenen Sessions aufgreift.
Zu Beginn stehen da also die über den Tod hinausgehende Fanilienzusammenkunft The Grants und das (hymnische, hinten raus im Gäste-Intonieren vielleicht ein klein wenig klischeehaft über die Stränge schlagende) Titelstück, die mit Whitney Houstons ehemaligen Backing-Sängerinnen Pattie Howard und Shikena Jones den Gospel pflegen, und (auch wenn er so als kulturell geprägtes Spuren-Element nach diesem Einstieg leider ernüchternd spurlos wieder aus dem Sound verschwindet) zwei Instant-Lana-Klassiker – mit Harry Nilsson im Hinterkopf neue Perspektiven aufzeigend, die schlichtweg zum schönsten gehören, was Del Rey bisher geschrieben hat.
Dann gibt es da eben noch die zum Trap orientierten Passagen, die sich nach dem aus Norman Fucking Rockwell abgezweigten Geniestreich A&W (dessen subkutan im Downbeat wummernder zweiter Part textlich ein klein wenig banal aufreiben kann) gerade im Finale ausleben, wenn Fishtail (aus Wanderlust von AK’s 2017er Album Discovery gebastelt) mit sanfter Elektronik zu James Blake aus dem Midnights-Ausschuß schielt (und dabei abseits des Kontextes trotzdem nur wie ein kaum elementares Zwischenstück funktioniert) und Taco Truck x VB eine frühe Version von Venice Bitch als gefühlten Club-Remix anbietet.
Und inmitten der relativen Extremen herrscht rund um die Familie als zentrales Thema, um COVID-Küsse, dem Unterschied zwischen Liebe und Lust, Gedanken um eine zukünftige Mutterrolle oder dem öffentlichen Blick auf Lana musikalisch zumeist alleine auf Stimme und Klavier beschränkt so viel Zurückhaltung jenseits des komfortablen Understatements, dass man es auf eine flüchtige Auseinandersetzung hin schon wirklich mit gepflegter Langeweile oder (gerade in der gegebenen Klammer) einer verpassten Chance auf NFR-Emanzipation auslegen kann – nur um mit jedem Durchgang der zarten Magie des Songwritings ein kleines bisschen mehr zu verfallen.
Eine gefühlvolle Vintage-Grandezza wie Sweet klingt wie eine Erinnerung an vergangene Zeiten, derweil die ergreifenden Herzstücke Kintsugi („It’s just that I don’t trust myself with my heart/ But I’ve had to let it break a little more/ ‚Cause they say that’s what it’s for“) und Fingertips („Caroline, what kind of mother was she to say I’d end up in institutions?“, richtet Lizzy die Frage an ihre Mutter, reflektiert die eigene Jugend, psychische Probleme, Substanz{miss/ge}brauch und deren Auswirkungen auf die eigene Kinderplanung) die seelenschwer gebrochene Texte („Will the baby be alright?/ Will I have one of mine?/ Can I handle it even if I do?“) über alles stellen und melodisch wenig greifbar wie kaum sonst etwas aus dem Kanon der Del Rey sind.
Eindrucksvoller zeigen insofern klar die Momente mit externen Impulsen auf, auch wenn die Begegnung mit Father John Misty in Let the Light In auf halben Weg zu dessen Anachronismen etwas unterwältigend ist, und das (dem wie immer essentiell am Entstehungsprozess beteiligten) Jack Antonoffs Ehefrau gewidmete Margaret (Qualley) als feierlich behutsamer Ohrwurm der Extra-Klasse ohne das obligatorische Bleachers-Feature noch grandioser gewesen wäre. Denn so oder so ist es immer Del Rey selbst, die das Ausgangsmaterial zum Strahlen bringt.
Paris, Texas nimmt als Wim Wenders-Referenz I Wanted to Leave (von SYML’s 2020er EP You Knew It Was Me) als Ausgang und schmeichelt auf traurige Weise beschwingt, wie ein Juwel von Jon Brion aus einem Charlie Kaufman-Film , derweil das auf Flo (Riopy, Tree of Light) basierende Grandfather please stand on the shoulders of my father while he’s deep-sea fishing als behutsame Nostalgie zum Niederknien anbetungswürdig haucht: „It took somebody else to make me beautiful, wonderful/ As they intended me to be/ But they’re wrong“ singt Grant im womöglich eigentlich Idealen Schlussstück, so sanft und bestimmt, mit einer fraglosen Sicherheit in der Anmut. Auf dem Album (zumindest ungezählt) mit den meisten Features (oder wenigstens neben Lust for Life?) findet Lana jenseits des Mythos um ihre Person also doch noch ein gutes Stück zu sich selbst.
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