Lana Del Rey – Chemtrails Over the Country Club
Ihre herrlichen Klischees und Trademarks artikuliert Lana Del Rey auf der bisher wohl subversivsten Ebene ihrer Karriere: Die Diva und ihr kongenialer Kompagnon Jack Antonoff spendieren dem 2019er-Klassiker Norman Fucking Rockwell! mit Chemtrails Over the Country Club einen geradezu unscheinbaren Epilog.
Dass das sechste/siebente Studioalbum von Elizabeth Grants formvollendeter Kunstfigur später erscheint als ursprünglich angedacht, hat freilich mit dem Seuchenjahr 2020 (das Lana ja bekanntlich mit ihrem ersten Gedichteband untertauchte) sowie eingehenden Schwierigkeiten in der Produktion der physischen Tonträger zu tun. Allerdings auch mit Feinjustierungen im Gesamtwerk: Der Song Dealer ist beispielsweise mittlerweile aus der Trackliste verschwunden, während der Nachhall von Norman Fucking Rockwell! noch früher bereits seinen Titel vom prolongierten White Hot Forever zum nunmehrigen Chemtrails Over the Country Club geändert hat.
Hintergründe, die auch deswegen wichtig erscheinen, weil die verbliebenen elf Songs des Albums sich ohne den Ansatz von herausschreiender Laustärke wie der beruhigende, stille und regelrecht introvertierte Nachsatz zur ersten Zusammenarbeit von Del Rey und Atonoff anfühlen, explizit unaufgeregt. Der verführerische Reigen zeigt über eine relativ angenehm-kompakte Spielzeit von nur 45 Minuten kein Verlangen derart herausragende Hits und Hymnen der Marke The Greatest zu hofieren, sondern schließt den Weg des Vorgängerwerkes mit subtilen Ohrwürmern in einer besonders lauschigen Ecke der sparsam instrumentierten, gefühlvollen Piano-Kompositionen ab, wo die wohlige Folk/Pop-Komfortzone höchstens feingliedrig-nuanciert sorgsam ausgeschmückt wurde. Um im absolut wundervollen, nostalgischen Titelstück, das entschleunigt im verträumten Schwofen streift, verschmust und ätherisch wogend, alle filigranen Details wie die gedämpften Streicher ganz weit hinten in den liebevoll Texturen zu entdecken, dauert es womöglich ebenso lange, wie es bis zur Erkenntnis, dass der Song gewissermaßen mit einem Drumpattern-„Solo“ endet – so sehr taucht man in das grazile Wesen der ambienten Lounge-Ästhetik ein.
Dass die Bausteine des Albums nun im Ganzen und am Stück konsumiert am besten funktionieren, ist da wohl nur schlüssig, wie sich eigentlich alleine schon anhand der entschleunigten Klaviernummer Let Me Love You Like a Woman mit ihrer betörenden Hook und sanften Melodieführung nachvollziehen lässt, die ihre zwischen Standard und Klasse schwelgenden Manierismen erst jetzt in den richtigen Kontext gesetzt erfüllend entfaltet.
Wo die kontemplative Gangart der Platte keine Gleichförmigkeit bedingt, zeigen immer wieder Facetten aus dem balladesken Wesen auf, die Dynamik bekommt ständig geheime Impulse. Im anbetungswürdigen White Dress haucht Lana ihre popkulturellen Texten („Summer, sizzling, listening to/ Jazz out on the lawn/ Listening to White Stripes/ When they were white hot/ Listening to rock all day long/ …/ When I was a waitress/ Wearing a tight dress/ Handling the heat/ I wasn’t famous/ Just listening to/ Kings of Leon to the beat“) leidenschaftlich flehend kurz vor dem brechenden Wispern, ein dezentes Schlagzeug spielt an den Becken mit jazzigem Verve hinter einer himmlischen Wehmut und konditionierten Schlagworten („Summer, summer is almost gone“), wo selbst der Abgang viel Raum und keinerlei Zwang kennt. Tulsa Jesus Freak baut sich als Ex-Titelsong nahe der Gefilde, die Taylor Swift an The National gefallen, während ein sparsam wattiert laufender Beat als heimliche Trip Hop-Verneigung das Tempo ausnahmsweise behutsam aufnimmt, und den Refrain sogar ein wenig energischer aufzeigen lässt.
Dark But Just a Game folgt mit Schellen und hinter einem Schleier liegender Toms behände für eine ähnliche Ausrichtung, wechselt jedoch zwischen smoother Bewegung und sinnierendem Stillstand, spendiert dazu Gitarren, die die somnambule Nautik von Radiohead skizzieren und ein versöhnliches Finale, das mit orchestralen Tendenzen liebäugelt, sich letztendlich aber für keine Spur von Opulenz oder Bombast entscheidet, sondern nahbar und intim bleibt. In Not All Who Wander Are Lost flaniert als Überbleibsel von Norman Fucking Rockwell! die warme Folk-Gitarren-Sehnsucht mit Soft-Harmonien im 70s-Flair, glockenhell trillierend und hinten raus leicht psychedelisch verführend.
Nur in Dance Till We Die, einer an sich langsam zueinander findenden Sepia-Erinnerung, in der die Bläser nonchalant zu sedativen Gitarrenfiguren schleichen, brechen Lana und Jack den MO der Platte tatsächlich auf, auch wenn die hippiesk schillernde Nola-Parade nur für wenige (auch etwas zu sporadisch erscheinende und unmittelbar verschwindende) Augenblicke aufbricht, bevor sich die Nummer wieder in einen Kokon voller Verneigungen („I left San Francisco, I’ve been coverin‘ Joni/ And I’m dancin‘ with Joan/ It’s kinda hard to find love/ When you’re used to rolling like a rolling stone“) zurückzieht.
Es geht Chemtrails Over the Country Club schließlich keineswegs darum, neue Perspektiven aufzutun, als vielmehr bekanntes Terrain mit einem noch feingliedrigeren Weichzeichner zu vermessen, alleine textlich strotzt das Album vor (selbst)referentiellen Zitaten und Hommagen.
Besonders deutlich wird dies, wenn sich etwa Wild at Heart in Zeitlupe unter dem Sternenmeer auch noch musikalisch wie ein zwangloses Destillat aus Motiven dreht, die man so bereits aus Lanas Vergangenheit und ihrem bisherigen Schaffen nur zu gut zu kennen meint, zumal der Reigen als Amalgam aus durch und durch typischen Ideen irgendwann sogar gleich How To Disappear paraphrasiert. Oder wenn Yosemite als ursprünglich für Lust for Life geschriebener Song (und deswegen ausnahmsweise Hall of Famer Rick Rowles in den Songwriting-Credits der Original-Kompositionen auftauchen lassend) keine Spur mehr der 2017 noch attestieren Fröhlichkeit zeigt, sondern ein absolut melancholisch gezupftes Stück Trauer geworden ist – das seine Elegie ganz in der Gefühlswelt des Werkes aufgehend nunmehr zauberhaft minimalistisch und geduldig schippernd inszeniert, wie in Trance Percussion, naturalistische Synthies und eine rezitierende Bridge streift.
Und doch ist Chemtrails Over the Country Club kein rein introspektives Zurschaustellen seiner charmanten Verwundbarkeit. Nachdem die Platte über weite Strecken wie aus einem Guß geformt ist, bricht sie letztendlich doch noch die Schiene, bleibt stilistisch in der Rolle, öffnet den makellosen Fluß jedoch für die Variabilitär einer Gästeliste: Nikki Lane installiert so für Breaking Up Slowly eine Art Alt-Country in aufgelöster Zeitlupe unwirklich neben der Spur, entrückt gegen den Strich schunkelnd. „Are these my good years or do I have none?/ Are there really good years for everyone?/ I don’t wanna live with a life of regret/ I don’t wanna end up like Tammy Wynette“ geht sie mit patentierten Del Rey-Themen firm, Lana selbst steigt erst später in den friedlich wiegenden Wellengang ein und übernimmt die zweite Strophe.
Und für das abschließende (als Closer etwas unrund platzierte) Joni Mitchell-Cover For Free temperiert Antonoff das Klavier auf River-Niveau, elegant und impressionistisch für illusionistische Eindrückevon erblühenden Bläsern besucht. Zella Day eröffnet den Song von 1970, Weyes Blood gehört die letzten Strophe – die Summe ist ein zutiefst authetisches Wechselspiel, eine weitaus vorteilhaftere Trio-Situation als zuletzt zudem.
Dass das Ende in fremden Händen geradezu abrupt erscheint und Chemtrails Over the Country Club zudem durch seine grundlegend flachen Spannungsbögen, bescheidene Dramen und genügsame Amplituden auf Understatement setzt, kann paradoxerweise durchaus zu einer gewissen Ambivalenz in der Wahrnehmung führen. Was auf den ersten Eindruck vielleicht – gerade nach der Messlatte aus dem Jahr 2019 wohl sogar relativ wahrscheinlich – unspektakulär und wohl auch enttäuschend wirken mag, wandelt sich über seinen genügsamen und anmutigen Charakter schon bald in eine rundum befriedigende, heimliche und leise Endorphinkur, ohne Euphorie oder Begeisterung, aber mit neuerlichem Suchtpotential und nachhaltiger Tiefenwirkung. Chemtrails Over the Country Club ist ein Grower mit viel Souveränität und noch mehr Hingabe, der kein übertriebenes Brimborium benötigt, um billigen Eindruck zu schinden. Der lauschige, heimelige Ausklang nach dem sonnigen Norman Fucking Rockwell! muß niemandem etwas beweisen, und ist ganz in sich selbst ruhend ein weiterer individueller Eckpunkt im Œuvre der Lana Del Rey.
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