Lana del Rey – Blue Bannisters
Blue Bannisters (ehemals Rock Candy Sweet) ist ein Grower als Abnabelung von Jack Antonoff samt dem angehängten Sammelbecken bisher ausgesparter Songs, oder: ein wunderbares Lana del Rey-Album mit Schönheitsfehlern.
Der Ersteindruck des achten Studioalbums von Lizzy Grant als Lana del Rey fällt zunächst einmal unterwältigend aus, was so einige konkrete Gründe hat.
Zwar serviert die 36 jährige knapp sieben Monate nach Chemtrails Over the Country Club keinen schlechten Song, augenscheinlich aber auch kaum einen herausragenden. Nur das mit Gast Miles Kane komponierte Dealer zeigt mit schwofender Orgel im Spaghetti-Flair durch seinen voller wirkenden Sound so relaxt wie energisch auf, bietet sich inmitten von viel unaufdringlicher Unscheinbarkeit als Instant-Ohrwurm an. Die Nummer hätte übrigens, um es vorwegzunehmen, gerade nach einer ausgedehnteren Kennenlernphase im Verbund mit dem gleich darauf in der Trackliste folgenden (neben dem bereits bekannten California ebenfalls für eine schlußendlich nicht vollendete Kooperation mit den Last Shadow Puppets geschriebenen) Thunder (das eher wie eine bittersüß-folkige, sorgsam-soulig arrangierte Laurel Canyon-Lounge-Perspektive auf Harry Styles‚ Evergreen wirkt) aufgrund der aufzeigenden, finalen Wirkung den vielleicht idealen Schlusspunkt eines Albums markiert, dessen Songs eben selten bis nie einen Klimax erzwingen wollen, sondern diesen mit einer gewissen Unverbindlichkeit umgarnen.
Auch deswegen wirkt Blue Bannisters über viele Durchgänge erst zu gleichförmig und mutet spielzeittechnisch zu lange an, während es ein absolutes Rätsel ist, was zur Hölle das vollkommen willkürliche auftauchende, geradezu grotesk aus dem stilistischen Rahmen und Spielfluß fallende Interlude – The Trio als ästhetisch einfach gar nicht zum Rest der Platte passendes Morricone-als-Trap-Intermezzo auf Blue Bannisters zu suchen hat – außer Lanas Ex-Verlobten Clayton Johnson schmeichelhafte Producer Credits einzuräumen.
Nach und nach beginnt sich diese ernüchternde Einschätzung jedoch zu relativieren und die Wahrnehmung einiger störender Punkte bekommt zumindest eine differenziertere Perspektive – bleiben wird letztendlich als negativer Faktor eigentlich nur die Länge von 69 Minuten.
Interlude – The Trio mag etwa theoretisch die irgendwann weit im Hintergrund so unendlich dezent schwelgenden Tex-Mex-Streicher und Bläser vom feinen Arcadia aufgreifen und verstärken, wird aber dennoch ein deplatzierter Fremdkörper bleiben, der aufgrund seiner Kürze (und gerade im digitalen Zeitalter) vielleicht nicht die ärgerlichste Sache der Welt ist, subjektiv aber auch höchstens theoretisch als Katalysator einer primär auf leisen Klavier- und Gitarrenakkorden gebauten Platte funktioniert, die nie das Spektakel sucht, sondern altbekannte Trademarks über zurückhaltende Balladen besonders ätherisch, zurückgenommen und traumhaft entrückt artikulieren will.
Mehr als an diesen 110 Sekunden hätte Blue Bannisters aber hinten raus gekürzt werden müssen. Mit Ausnahme der wundervollen, bisweilen atemberaubend gesungenen Eleganz Sweet Carolina („You name your babe Lilac Heaven/ After your iPhone 11/ “Crypto forever” scrеams your stupid boyfriend/ Fuck you, Kevin!“) transportiert praktisch das gesamte letzte Drittel des Langspielers eine gewisse Redundanz. Nicht von ungefähr.
Außer der saloppen Pianoelegie Wildflower Wildfire, die flüsternd und hauchend und rezitierend mit der Intonation Akzente setzt, mit minimalem Mäandern aber auch noch einen von der subversiven Distortion zerfressenden Slo-Mo-Watte-Beat als wenig elementare Zierde findet, sind das catchy hängen bleibende, aber eher harmlos als „wild“ und „crazy“ daherkommende Nectar of the Gods, Living Legend und Cherry Blossom allesamt (wenngleich teilweise neu eingespielte) Überbleibsel von Ultraviolence aus dem Jahr 2013: wirklich schöne, anmutige Songs, die aber auch für sich genommen nirgendwohin laufen. Als EP gesammelt wären sie besser aufgehoben gewesen, hier laugen sie als betörendes Aufwärmen von bekannten Manierismen im Suhlen von vertrauten Motiven in der Form einer stimmungsvollen Nabelschau aus, die dem Albumverlauf keine essentiellen Impulse mehr verleiht, sondern in die Länge zieht, was del Rey in den ersten beiden Dritteln des Werkes doch fulminant gelingt.
Mag die überwältigende Begeisterung auch hier ausbleiben, kristallisieren sich die subtilen Stärken des bescheidenen Materials immer mehr heraus, entwickeln einen verführerischen Sog über das zeitlose Songwriting sowie der patentierten, diesmal aber unterschwelligen Melodramatik einer wie immer nostalgisch-melancholischen Atmosphäre, entlang vieler umsichtiger inszenatorischer Details hinter der vermeintlichen Simplizität in behaglicher Sehnsucht, die die Facetten eines relativen Minimalismus begleiten.
Der Titelsong braucht so wenig mehr als bezaubernde Melodien, um über ein sphärisch aus dem Hall sinnierendes Klavier samt grandiosem Gesang in der Reduktion zu strahlen, während das sanfte Beautiful den allgegenwärtigen MO der Introspektion im offenen Raum beinahe avantgardistisch aus den vertrauten Tasten klimpernd tröpfeln lässt, If You Lie Down With Me die Essenz der Platte über nonchalante Vintage-Bläser verabschiedet oder Violet for Roses seine bestechenden Hooks pastoral auskleidet und damit auch den übergeordneten Spannungsbogen ideal für Dealer vorbereitet.
Text Book pflegt dagegen eine Tarantino-Western-Streicheleinheit im Lavalampenlicht mit angedeutetem souligen Chor, das bauchige Schlagzeug taucht immer nur vorischtig für den Refrain an und bremst sich danach bis zur Zeitlupe aus – Black Bathing Suit (noch so ein verloren geglaubtes Stück aus dem Schneideraum von Ultraviolence – das hier nun endlich Highlightqualitäten zeigen darf) kehrt dieses Muster gewissermaßen auf Samtpfoten um, gibt sich expressiver im Stillstand beschwingt und wummernd, addiert freche Mitrufe aus dem Off („Let me show you how bad girls do/ ‚Cause no one does it better„) samt jazziger Percussion, die Fiona Apple gefallen könnten.
Es passiert durchaus etwas in den Nuancen und in diesen Szenen kratzt del Rey nach der Last Shadow Puppets-Begegnung („I don’t wanna live/ I don’t wanna give you nothing/ ‚Cause you never give me nothing back/ Why can’t you be good for something?„) sogar an der prolongierten Revenge-Platte, fröhnt (mit zur Identität des Albums passenden gelöschten Social Media-Kanälen) jedoch auch hier vordergründig weiterhin dem Understatement und lässt die ezentrischen Reibungspunkte, den Exzess und wahrhaft großen Gesten ruhen, setzt zu einer Sinnsuche in Quarantänezeiten an und sagt: „I can turn blue into something beautiful„.
Wahrhaftig: Mit genügend Zeit zum Wachsen reihen sich (bis zur langsam ermüdenden Abschlussphase einer vier Songs zu ergiebig strukturierten Angelegenheit) doch nur herausragende Kleinode (wenn auch ohne den Übersong) aneinander, die den Erstkontakt beinahe vergessen machen und stattdessen auf eine langjährige Zuneigung vorbereiten, durchaus charakterstark.
Ohne sich genau genommen allzu weit vom erst wenige Monate alten Vorgänger zu entfernen, hat die New Yorkerin den Einfluss von Jack Antonoff merklich hinter sich lassend mit alten Bekannten und neuen Unterstützern das nach außen hin softe, allerdings intrinsische Spannungen erzeugende Singer/Songwriter-Werk aufgenommen, dass sich wohl viele bereits anstelle der Norman Fucking Rockwell-Nachgeburt Chemtrails Over the Country Club erhofft hätten, weil das ikonische 2019er-Meisterstück nun auf Blue Bannisters plötzlich doch wieder weit(er als nur zwei Jahre) entfernt wirkt, friedliche Schwerpunkte im wohligen Spektrum ihrer Komfortzone heimelig und warm ausstaffiert heimliche Reibungen provozieren.
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