Kvelertak – Splid
Splid gelingt, woran sich Kvelertak zuletzt innerlich zerrieben und auseinanderdividiert hatten: der Spagat zwischen Rückbesinnung, indem Album Nummer 4 wieder eher bei dem selbstbetitelten Debüt (2010) sowie Meir (2013) anknüpft, mit dem gleichzeitigen Blick nach vorne, indem die Ambitionen von Nattesferd (2016) in einen zwingenderen Kontext gesetzt werden.
Wie man mittlerweile weiß, war der orientierungslos wirken könnende, vor allem polarisierende Vorgänger ein Umbruch und Scheideweg in unerwarteter Konsequenz für Kvelertak. Sänger und Gründungsmitglied Erlend Hjelvik stieg 2018 aus, um eine schwer zu füllende Lücke zu hinterlassen: Eine derart prägende Präsenz wie den gefährlichen Eulen-Kopfschmuckträger zu ersetzen schien selbst für Optimisten zumindest ambivalent.
Dass Kvelertak mit ihrem alten Kumpel Ivar Nikolaisen erstaunlich rasch einen Nachfolger für Hjelvik parat hatten konnte dann ebenso überraschen wie die nun folgende Erkenntnis, dass der Tausch am Mikrofon der Band wider Erwarten ganz offenkundig einfach verdammt gut getan hat. Ja, es war tatsächlich die ideale Entscheidung von den Norwegern trotz aller Widrigkeiten weiterzumachen. Und das obwohl Splid letztendlich auch noch mit einem Schlagzeugerwechsel (Kjetil Gjermundrød raus, Håvard Takle Ohr rein) klarkommen mußte und – natürlich/trotzdem – nicht alles richtig macht.
Der kompakt fauchender, enorm eingängige Stimmungsmacher Crack of Doom mag gewissermaßen ein zugänglicher Hit sein, „hey! hey! hey!“, doch hält das einfach gestrickte, durchaus verschnörkelte Gastspiel von Mastodon-Mann Troy Sanders weniger Raffinesse parat, als weite Teile der Platte – zudem sind Texte auf Englisch auch dank Zeilen wie „I got judgement day/ In my DNA“ nichts, was man von Kvelertak unbedingt gebraucht hätte.
Überhaupt ist Splid darüber hinaus mit 58 Minuten Spielzeit auch deswegen eine Spur zu lang ausgefallen, weil das nicht in Gang kommende Tevling (mit seiner klar zwischen Bon Jovi und Bryan Adams schimmernden 80er-Gitarre als markantester Akzent) sowie der solide Autopilot Stevnemøte Med Satan trotz feiner Bridge gute Ansätze, aber keine Epiphanien zeigen und den Albumfluß unnötig ausbremsen.
Ganz allgemein ist die Band aber deutlich effizienter darin geworden, die (im Vergleich zur Frühphase) stilistische Umschichtung von weniger Geknüppel zu instrumental ausladenderen, hardrockigeren Passagen in eine Balance zu bringen, die ohne mäandernde Längen auskommt. Auch deswegen, weil der mit Nikolaisen einhergehende neue Zug zu mehr Punk Kvelertak ausgezeichnet steht. Das den Kompetenzbereich der Soli immer weiter nach eben schiebende Uglas Hegemoni betont etwa eine neue Leichtigkeit im Songwriting, während Discord als relativ straighter Hardcore-Brecher mit melodisch aufblühendem Refrain nicht nur dem neuen Sänger entgegenkommt, indem die Nummer sehr nahe an den angestammten Habitat von The Good The Bad and The Zugly heranrückt, sondern irgendwo zwischen dem Prog von Fucked Up sowie dem verschwitzten Getümmel von The Bronx sowieso wie eine Adrenalinkur für den angestammten MO von Kvelertak selbst sorgt, gerade im Gesamtkontext.
Der personelle Wechsel impft der Gruppe also einen neuen Hunger, eine zusätzliche Variabilität ein – die auch einmal über das Ziel hinausschießen darf: Der Riffrocker Bråtebrann löst seine Handbremse ganz schmackhaft im Midtempo, assimiliert gar mehrstimmigen, hippiesken Gesang der folkigen Dungen-Art und jubiliert am Ende als Free Bird zu einem regelrecht feierlichen Szenario – wird von Nikolaisen dorthin aber mit einer saloppen „Air Guitar, come on!“-Aufforderung freigelassen, die einem – einmal gehört nicht mehr aus der Wahrnehmung verschwindend – die Zehennägel aufrollt. Derartiger Humor ist dann doch eher weiterhin etwas für Spielwiesen wie Algorithm & Blues.
Dennoch kulminieren die Entwicklungen und auch Entscheidungen wie die Rückkehr zu Kurt Ballou als Produzent (und damit wieder einem deutlich fetteren Sound) in einer wiedererstarkenden Kraftdemonstration mit Ansage: Kvelertak gelingt mit Splid eine dynamische Achterbahnfahrt der Spannungsbögen und eine mitunter grandiose Frischzellenkur, die immer wieder mit der Zunge schnalzen lässt. Wenn der epische Opener Rogaland den Start in die neue Karrierephase beispielsweise gefühlt ewig hinauszögert, Intro auf Intro schichtet, und danach von psychedelisch blubbernden Backingvocals, gnödelnden wie kreischenden Soli, Akustikgitarren und eine allgemeine Hymnik gleich alles in einen schwindelerregenden Cocktail packt.
In Necrosoft kracht das Ein-Ton-Klavier dissonant aus dem Fenster und klopft mit hummeligen Blastbeats bei einer Melange aus Blackened Roll und Classic Rock an, die harmonieselig zur gemeinschaftlichen Breitbeinigkeit jenseits von Turbonegro findet. Fanden ta Dette Hull! mutet dagegen erst wie ein hardrockender Tribut an AC/DC an, bis plötzlich der giftig-geifernde Thrash tollwütig zubeißt, nur um im Abgang trotzdem vor allem schunkelnde Einigkeit zu demonstrieren.
Über allem steht jedoch Delirium Tremens mit seinem melancholisch perlenden, klaren Pop-Beginn, dessen luftigen Verträumtheit der Band erst mit einem ungekannten Weichzeichner neue Perspektiven öffnet, nur um dann den Härtegrad mit grimmiger Miene immer enger zu ziehen und zu einem fast manischen Würgegriff mit hysterischer Eskalation zu mutieren – was für ein Husarenritt! Der Closer Ved Bredden av Nihil vermisst die Bandbreite zwischen Lager- und Fegefeuer danach zwar ohne spektakulären Klimax, geifert dafür allerdings besonders garstig in die Finsternis und zementiert den Einstieg in das zweite Leben von Kvelertak an der Schnittstelle aus alten und neuen Tugenden als potentiellen Start zu Hochphasen, die man sich kaum noch auszumalen getraute hätte: Besser waren die Skandinavier wohl seit ihrem Debüt nicht mehr.
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