Kiss, RavenEye [21.05.2017: Stadthalle, Wien]
Auch im 44. Bandjahr bleiben Kiss auch dank spektakulärer Inszenierung vollkommen zu Recht ein Massenphänomen: 11.000 Fans erleben in der Wiener Stadthalle eine vor Effekten strotzende Show der Superlative – unsterbliche bis grundsolide Hardrock-Hits inklusive.
Um die Leistung der britischen Vorband RavenEye nicht unter den Tisch zu kehren: Das Trio aus Milton Keynes erledigt mit seiner zwischen Hard- und Alternative Rock groovenden Stangenware (gerade angesichts der generisch überproduzierten Studionummern des letztjährigen Debütalbums [amazon_link id=“B01HSFG77O“ target=“_blank“ ]Nova[/amazon_link]) einen erstaunlich soliden Job als Supportact und funktioniert an diesem Abend sehr zweckmäßig in der Position Anheizer, notfalls auch Huckepack. Oli Brown, Aaron Spiers und Adam Brieze werfen sich versiert in Posen und haben das Lehrbuch der Arena-Animation vielleicht ein bisschen zu selbstaufopfernd gelesen – dass Bassist Spiers immer wieder mit rausgestreckter Zunge über die Bühne tollt, ist gerade an diesem Abend irgendwo fast schon Persiflage.
Egal: Der Druck der Performance stimmt. Nur leider fehlen den ineinander verschwimmenden Songs eben die nötigen Hooks und Melodien, um sich nachhaltig festsetzen zu können. Knapp zwei Stunden, nachdem RavenEye den Weg für Kiss geebnet haben, spielt das allerdings ohnedies kaum eine Rolle mehr – da gilt es den Zirkus zu verarbeiten, den der Hauptact geboten hat. Die New Yorker Veteranen ziehen nach dem konsequentem Intro (Led Zeppelin geben mit Rock and Roll die Devise vor) ein sensationelles Theater sondergleichen durch, und bietet knapp viereinhalb Dekaden nach dem Debüt vor dem alle Altersklassen und Level der Schminkbereitschaft durchdringenden Publikum vielleicht mehr High End-Entertainment denn je.
Ist der Vorhang erst einmal gefallen, steigen Gene Simmons, Paul Stanley, Tommy Thayer und Eric Singer in den reaktivierten Kostümen der Creatures of the Night-Tour mit der hydraulischen Hebebühne herab, um Deuce wuchtig und spannungsgeladen zu zelebrieren. Später spukt der Demon nach Firehouse Feuer und fliegt zum doomig-bösartigen Basssolo zur Plattform an der Decke, und dort God of Thunder auf seinen Plateauschuhen hinauszustampfen, während das Kunstblut in Strömen aus dem Maul sickert. Spaceman Thayer schießt derweil nach dem etatmäßigen Solo Feuerwerke aus seiner Gitarre und darf Shock Me intonieren. Starchild lässt sich vom Publikum beschwören, nur um dann zu Psycho Circus über die Köpfe der Masse zu einem sich in die Höhe drehenden Podest inmitten der Halle gleiten zu lassen. Bei seiner Rückkehr für Black Diamond bekommt auch der so solide den Sound zusammenhaltende Catman seinen Moment am Mikro. Später werden Stanley und Simmons für das Finale von Rock and Roll All Nite in zwei Schwänkkränen über das Publikum kreisen, während es Konfetti ohne Ende regnet und die monströsen Videowalls hyperventilieren.
Dass die Feuerwälle und (bisweilen arg willkürlich anmutenden) Knallkörper währenddessen unermüdlich zünden: Ehrensache. Hier gilt nun mal klotzen, statt kleckern – inklusive Instrumenten im Österreich-Look und etwas zu dick aufgetragenen Verbundenheitsbekundungen (Stanley fühle sich hier wie zuhause – weil seine Mutter mal in Wien lebte. Naja.) Dass niemand seine erste Kiss Show vergesse, wie Stanley proklamiert, unterschreibt man da nur zu gerne. Das ist zwar auch wegen dieser Atemlosigkeit im Muskelspiel eben Unterhaltung pur, lässt die Bespaßungsmaschinerie jedoch aus einem anderen Grund anstandslos greifen. Weil all die Attraktionen in einem Ausmaß und Rahmen aufgefahren werden, die einem außer Kiss im modernen Rockzirkus wenige Bands mit einer derart unverwüstlich zeitlos zu Grunde liegenden Substanz bieten können: All das immense Brimborium der Inszenierung ergibt im Kontext einerseits zwar eine stimmige Show, verkommt angesichts der Qualität der aufgefahrenen Songs jedoch niemals zum reinen Schaulaufen. Die Hits knallen da am Fließband raus, zeigen weiterhin kein Ablaufdatum.
Shout it Out Loud sprüht da Funken und das exzessiv-anzüglich elaborierte Lick it wird da etwa zum schier endlosen Jam mit exaltierten Solo auf dem Podest – dass ein junges (von den Eindrücken etwas apathisch wirkendes Mädchen) während I Love it Loud von Stanley auf der Bühne eingespannt wird, ist dann als weiterer Dienst am Fan zu verstehen, hinterlässt jedoch auch einen gewissen Christine Sixteen-Geschmack. Auch nach dem eröffnenden Klassiker-Reigen geben sich die Ohrwürmer und Klassiker jedenfalls bis zum Finale mit I Was Made for Lovin‘ You und Detroit Rock City die Klinke in die Hand, glückselig mitgröhlen kann da irgendwann jeder und konsenstaugliche Crazy Crazy Nights feiern.
Nur das eindimensionale Say Yeah vom durchwachsen überzeugenden 2009er Spätwerk Sonic Boom will nicht so wirklich ankommen und lässt einen gewissen Spannungsabfall in der guten, aber nicht überragenden – im letzten Drittel etwas wankenden – Setlist bemerken. Zu bemäkeln gibt es dennoch wenig: Etwa, dass Cold Gin und Let Me Go, Rock ‚N‘ Roll mittlerweile ersatzlos aus dem aktuellen Tourprogramn gestrichen wurden und ein Kiss-Abend so ganz ohne Love Gun-Vertreter subjektiv eben nicht restlos euphorisierend sein kann. Letztendlich Bagatellen.
Wie auch der wieder einmal vorgeführte Fakt, dass Stanley stimmlich nicht mehr auf der Höhe ist – was alleine durch seine herrlich überdrehten Zwischenansagen mehr als wett gemacht wird. Vielleicht ist es das Erfolgsgeheimnis einfach weiterhin, dass Kiss es schaffen, zu keinem Zeitpunkt wie Dienstleister zu wirken, sondern hinter all der Professionalität stets einen ansteckenden Enthusiasmus zu transportieren. Von hüftsteifen Ermüdungserscheinungen ist hinter all der Schminke jedenfalls nach wie vor nichts zu merken.
You wanted the best, you got the best. The hottest band in the world, also immer noch irgendwie. Zumindest für die extrem kurzweilige Dauer dieses in seiner eigenen Welt feiernden – und alles drumherum liegend vergessen lassende – Rock-Spektakels reklamieren Kiss diesen Titel also auch auf der Kissworld Tour 2017 weiterhin nicht ganz zu Unrecht.
Setlist:
Deuce
Shout It Out Loud
Lick It Up
I Love It Loud
Firehouse
Shock Me
Flaming Youth
God of Thunder
Crazy Crazy Nights
War Machine
Say Yeah
Psycho Circus
Black Diamond
Rock and Roll All NiteEncore:
I Was Made for Lovin‘ You
Detroit Rock City
Kommentieren