King Gizzard & The Lizard Wizard – Live At Red Rocks ’22
Ideal, um sich auf den ersten Wien-Besuch der Australier einzustimmen: King Gizzard & The Lizard Wizard versammeln auf Live At Red Rocks ’22 alle drei Auftritte aus dem vergangenen Jahr im legendären Amphitheater in der Wüste von Colorado.
Sage und schreibe 513 Minuten oder 86 Songs lang ist das allumfassende Live At Red Rocks ’22 damit. Was zum einen bedeutet, dass man für die Vinyl-Ausgabe mit seinen zwölf Platten etwas tiefer in die Taschen greifen muss, und zum anderen, dass man, bei aller Liebe, dieses erschlagende Paket zukünftig in der Regel wohl nur selektiv konsumieren wird: für rund achteinhalb Stunden muß man halt auch mal Zeit finden.
Die Lust auf King Gizzard & The Lizard Wizard vergeht einen durch die geballte Ladung dagegen kaum: Auch am Stück macht die Sache enormen Spaß, weil die Aufnahmequalität wie bei allen Live-Alben der Band rundum stimmt, die Performance der Gruppe einmal mehr spitze ist und vor Spielwitz förmlich überquillt, zudem genug Abwechslung und Dynamik in den Setlisten vorhanden ist, um tatsächlich kaum Langeweile oder Ermüdungserscheinungen aufkommen zu lassen, selbst die wenigen weniger favorisierten Nummern so mitreißen.
Dass den drei Mitschnitten (zumindest so lange man nicht vor Ort war und nur das konservierte Tonmaterial beurteilt) abseits der beeindruckend summierten Spielzeit höchstens die ikonische Krönung fehlt, das wirklich besondere Etwas – soll heißen, man quasi einfach oft „nur“ mehr, so viel mehr von bekannten Dingen bekommt – legt zwar die Vermutung nahe, dass die Aufnahmen wohl nicht ganz eine solch überschwänglich euphorische Reaktion in den Fanschichten ausgelöst hätten, wenn sie separat voneinander veröffentlicht worden wären, schmälert aber freilich nicht die mit der Quantität mühelos mithalten könnende Qualität von Live At Red Rocks ’22, auf dem sich die Workaholics aus Down Under von ihrer besten Seite zeigen und von Highlight zu Highlight jagen.
Deswegen kann ein etwas genauerer Blick auf die drei Marathon-Auftritte ja nicht schaden.
Der erste Auftritt vom 10.10.2022 umfasst 27 Tracks und dauert 2 Stunden und 58 Minuten. Zwischen dem Rahmen mit dem besonders thrashig rasanten Infest the Rats‘ Nest-Einstieg über das kaum zu bremsende Doppel Mars for the Rich und Hell sowie hinten raus u.a. Planet B, dreht sich (rund um die vom Tonband eingespielte und für den Mitschnitt ausgesparte Premiere von Timeland in der Mitte des Sets als Verschnaufpause für die Band) alles auf links, täuscht in O.N.E. kurz Straws in the Wind an und lässt dann eine einzige beeindruckende Hochphase vom Stapel, wenn das erst jazzig jammend dösende The River sich kurz Crumbling Castle und Wah Wah einverleibt, hibbelig an Fahrt aufnimmt, hektisch treibend wieder retour findet um in das grandiose Magma überzugehen und die Mutation Rattlesnake wie alle überlangen Jam-Versionen zahlreiche andere Songs assimiliert, um sich über die ausufernden Genieblitze Evil Death Roll sowie das funky Ice V zu krönen.
Einen Tag später, am 11.10.2022, standen 31 Songs über 2 Stunden und 53 Minuten am Programm und schraubten das Niveau dabei gefühlt sogar noch ein wenig nach oben.
Gleich der Beginn ist mit einem herrlich eiligen The Dripping Tap in einer beispiellosen Rasanz sowie einem malmendem Gaia monumental, das giftig nachgetretene Predator X im Verbund mit dem irre freidrehenden Organ Farmer bügeln aber auch kompakter alles weg. Danach bekommt der Psychedelic Groove im Jam Rock bis zur epischen Partystimmung von Boogieman Sam mehr Raum, bevor man Joeys Geburtstag feiert und Nicolas Roderick Craigs Lieblingssong (Oddlife) ebenso Preis gibt wie den von Lucas (das hier zu Head On/Pill schielende Sea of Trees – als verratener Fun Fact der ursprüngliche Name der Band).
Hypertension zwischen den Sets bleibt natürlich für die Konserve und das etwas kuriose Tezeta nimmt ebenso ein wenig die Atemlosigkeit aus den Fluß wie Ambergris, dafür gerät die Murder of the Universe-Stafette dazwischen mit Support Act Leah Senior als (hier flächendeckend und den beiden anderen Abenden sporadisch vorbeischauenden und erzählenden) Gast umso energischer. Und die Interpretation von Iron Lung ist schlichtweg überwältigend, vor Leidenschaft berstend und intensiv packend.
Das dritte und letzte Set am 2. November 2022 markiert mit 28 Nummern 2 Stunden und 40 Minuten den Abschluss der damaligen Tour – und das mit einer subjektiv ambivalenteren Setlist, die weniger bewährte Kracher als wahlweise Expertenmaterial oder Kuriositäten bereithält. Sicher aber mit Work This Time den gefühlvollsten Song der Band (wenngleich weniger genial als in Bonnaroo eingefangen) und Let Me Mend the Past (das etwa in Brisbane stimmungsvoller vom Publikum mitgetragen wurde), ein dem kaum nachstehendes Juwel.
Ähnlich toll: Lava und Sadie Sorceress (mit The Grim Reaper-Rap), Self-Immolate (inklusive Tribut an Zeppelins Moby Dick), das absolut großartige Amalgam Her and I (Slow Jam 2) und das kaum zu bremsende Venusian 2 oder ein extra verführerisches Minimum Brain Size.
Das Finale mit der neuerlichen Alter Me / Beast-Gespann wirkt dagegen beinahe redundant und Float Along – Fill Your Lungs ist nur einfach nicht die überwältigendste Version, die die Band von der Nummer auf Live-Mitschnitten gezeigt hat. Kein Thema aber: Selbst mit ein bisschen Durchzug ist Live At Red Rocks ’22 nämlich wohl dennoch die beinahe ultimative Machtdemonstration dieser Ausnahmeband.
1 Trackback