King Gizzard & The Lizard Wizard – Changes
King Gizzard & The Lizard Wizard beenden mit Changes nicht nur ihre Oktober-Orgie, sondern wollen das dritte Album in diesem Monat auch explizit als Antithese zur Jam-Maxime von Ice, Death, Planets, Lungs, Mushrooms and Lava sowie Laminated Denim verstanden wissen.
Im Gegensatz zu den beiden instinktiv entstandenen Vorgängerplatten verfolgt Changes schließlich ein akribischeres Konzept – und das seit 2017. So lange – also länger als an praktisch jedem anderen ihrer Werke – arbeiten die Australier bereits an ihrem nunmehr 23. Studioalbum, obwohl es eigentlich bereits an 13. Stelle in der Diskografie erscheinen sollte, bevor dann doch Gumboot Soup dessen Platz einnahm.
„I don’t know if we had the musical vocabulary yet to complete the idea at that time. When the sessions were over, it just never felt done. It was like this idea that was in our heads, but we just couldn’t reach. We just didn’t know yet how to do what we wanted to do.“ erinnert sich Mastermind Stu etwa, derweil Joey Walker die Grundidee und die damit verbundenen Schwierigkeiten der Platte dem Laien zu erklären versucht: „On a theory level, Changes was actually the most complex we’ve ever done. Each song has a handful of chords, simple major, minor chords. Instead of being based in a key and moving around chords related to that key, every time we change to a chord, the whole key changes. If anyone’s familiar with John Coltrane’s ‘Giant Steps’, it’s that.“
Stu: „It’s built around these two scales – every song is constantly changing key, oscillating between two different scales every chord-change. You’re in two different worlds at the same time with the whole record.“ Was dann auch noch gerade in Anbetracht der bisherigen GEWb Oktober-Platten relevant ist: „There isn’t a jamming vibe on it. It’s super considered, for a Gizz record. Every overdub and every part is important, the album is more of a song cycle. Not necessarily our most complex record, but every little piece and each sound you hear has been thought about a lot.“
Soviel zur Theorie. Hintergrundwissen, das die versammelten sieben Songs auf Meta-Ebene betrachtet noch interessanter macht, das man so aber übrigens nicht zwangsläufig verstehen muss, um Changes genießen zu können. Denn letztendlich entfernen sich King Gizzard & The Lizard Wizard über 40 Minuten nicht wirklich aus vertraut wirkenden musikalischen Gefilden, ästhetisch bewegt man sich entlang bekannter Ausdrücke. Die Kompositionen wirken dabei keineswegs verkopft, sondern trotz einer vielleicht etwas weniger sorglos und locker aus dem Handgelenk geschüttelten Ausstrahlung immer noch verspielt und ungezwungen.
Dennoch kann Changes das Niveau von von Ice, Death, Planets, Lungs, Mushrooms and Lava sowie Laminated Denim, aber auch dem Sammelsurium Omnium Gatherum, nicht gänzlich halten – soviel lässt sich schon am eröffnenden Quasi-Titeltrack Change nachvollziehen, der als Mutterschiff die Keimzelle des ganzen Albums ist.
An sich hätte das Changes (um doch noch ein letztes Mal zum theoretischen Aspekt zurückzukehren) ein einziger langer Song sein sollen – worauf jetzt noch die Anfangsbuchstaben jedes Titels in der Tracklist hindeuten -, doch stattdessen streut nun der 13 minütige Opener (der insofern alleine aufgrund seiner Länge doch irgendwo den Schulterschluss zu den beiden direkten Vorgängern bietet) die entsprechenden Akkordwechsel, Motive, Samen und Grundidee für jede einzelne nachfolgenden Nummer aus.
King Gizz lassen dort also ein Rhodes Piano smooth in den jazzigen Groove gleiten, als gäbe es eine frühe 90er-Sitcom zu begleiten, zu der sich der unaufgeregt dösende Gesang entspannt und im halluzinogen Ambiente treiben lässt, eine verträumt-formlose Aura und nonchalante Stimmung damit aber nur konkretisiert. In das fragmentarische Muster der Nummer übergehend taucht die Band optimistischer beschwingt und gelöst an, nur um das Tempo gleich wieder herauszunehmen und eine Art psychedelischer Lounge-Rap-Bühne für Ambrose aufzubauen. In der Ausstrahlung der 70s, im R&B und Pop, sind die distinguierten Arctic Monkeys in deren Retro-Betuchtheit nicht weit, wo die Australier allerdings den Bogen zurück In die 60s spannen, um noch einmal progressiv zu rocken.
All diese Passagen sind sicher lässige Erweiterung der King Gizzard-Kanons, lassen aber die emotional wirklich überwältigenden oder gar genialen Szenen doch vermissen. Der Reigen macht Spaß, läuft aber eher nebenbei mit, ohne wirklich zwingend mitzureißen oder jene Gänsehaut zu verursachen, wie es die besten Augenblicke der Band in diesem Jahr bereits konnten.
Damit ist das eröffnende Kaleidoskop als Mikrokosmos eben auch durchaus repräsentativ für den Rest der Platte, durch die kürzerer Laufzeit und die auf ein Thema fixierte Ausrichtung pro Stück machen die folgenden Songs kurzweiliger und unterhaltsamer, und aus Changes im ganzen sogar einen Grower (der die Aufwertung zwischen den Punkten in der abschließenden Wertung verlangt).
Das smooth wogende Hate Dancin‘ etabliert den allgegenwärtigen funky Grundton des Albums und zieht locker und gelöst auf die Tanzfläche, derweil das chillige Astroturf als Kaufhausmusik aus Universum von Captain Future mit neckischen Bläsern in die Hüften geht und auch noch ein abgespacetes Flötensolo parat hat – und wie man diesen klasse offenen Vibe nicht als Jam hören kann, verstehe wer will. Das melancholisch entschleunigte Highlight No Body klingt in seiner nostalgischen Sehnsucht wie ein Moment der Einkehr ins Hotel California, wo Gondii retrofuturistisch joggt. Schließlich gibt sich Exploding Suns wieder hypnotisch und kontemplativ, noch ruhiger und langsamer, fast esoterisch dösend und einlullend – wie wunderbar diese selten zelebrierte Ader der Band doch ist.
Nachdem das abschließende Short Change wie ein hibbeliger Ladebildschirm für ein 80er-RPG mit Auf- und ablaufenden Loops wieder an Fahrt aufnimmt, bleibt sicher der Nachgeschmack, dass Changes als (ein bei aller Homogenität und Kohärenz wenig ganzheitlich agierendes) Album ein paar Probleme hinsichtlich des unausgegorenen Pacings und Sequencings hat – aber eben auch die Vermutung, dass man das trotz allem weitaus euphorischer aufnehmen würde, wenn die Release-Frequenz aus Down Under aktuell nicht so frappant hoch wäre.
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