Kim Gordon – No Home Record

von am 12. Oktober 2019 in Album

Kim Gordon – No Home Record

Nach einer bereits knapp vier Jahrzehnte andauernden Karriere – und damit eine Dekade nach dem Ende von Sonic Youth – legt die 66 Jährige Kim Gordon mit No Home Record doch tatsächlich noch ihr Solodebüt vor. Und was für eines.

Auch wenn die Wahl-New-Yorkerin mit Free Kitten oder Body/Head sowie zahlreichen Kooperationen immer auch sporadische Spielwiesen zu bieten hatte, um während und nach der aktiven Zeit ihrer einstigen Stammband für kreative Ventile zu sorgen, kann man ihr die durchaus überraschend konsequente Art und Weise gar nicht hoch genug anrechnen, mit der sie sich auf No Home Record nun so kompromisslos hungrig immer noch aus dem künstlerischen Fenster lehnen will. Das ihr erstes Album unter eigenem Namen zudem deutlich spannender ausgefallen ist als das Material, das ihre ehemaligen Kollegen Thurston Moore und Steve Shelley in den vergangenen Jahren kredenzten, ist freilich eine andere Geschichte.
No Home Record wütet nun also aufgekratzt als experimenteller Noiserock, strukturgiftig und widerborstig, mit einem Bein in der verqueren Elektronik verankert, zeitgenössische Einflüsse aus dem Trap sowie Hip Hop auseinandernehmend und in kruden Post-Industrial-Bögen neu zusammensetzend. Gordon brütet in der Dissonanz über minimalistischem Synth-Punk, avantgardistisch und abstrakt, so kryptisch wie exzentrisch und so innovativ wie futuristisch.

Zweimal fällt No Home Record ein klein wenig aus diesem Rahmen. Weniger gravierend in Hungry Baby, das den geradezu schmissigen kleiner Punkrocker mit ungewöhnlich ausgelassenem Zug nach vorne und unbeschwerter Lockerheit gibt, straight und unkompliziert – da können die Texturen noch so sehr mit dem Feedback und der Distortion flirten. Eine derart simpel gestrickte und leicht zu durchschauende Nummer hätte allerdings auch kürzer ausfallen dürfen, da es hinter der geradezu bekömmlichen Eingängigkeit wenig zu entdecken ist.
Qualitativ abträglicher für den Kontext ist aber ohnedies das nervöse Air BnB. Hier liefert Gordon in der Strophe zwar potentiell die Grundierung einer zappeligen Sonic Youth-Nummer, verstört mit dem permanent in lethargischer Hysterie repetierten Refrain sowie der zu simpel konstruierten Form einerseits auch die am vielleicht nervigst hyperventilierende Single des Jahres.
Andererseits markiert sie zudem einen historisch wichtigen Punkt für das referentiell betitelte Album. Produzent Justin Raisen wollte Gordon vor Jahren für ein Projekt gewinnen – man errät es, in einem Air BnB. Die Arbeiten daran brachten bereits 2016 Murdered Out hervor, das seinerzeit noch etwas verloren für sich selbst stehen sollte, nun aber, nachdem klar war, dass das Duo an einem Soloalbum für Moore arbeiten würde, symbolträchtig in der Mitte einer Platte thronen darf, die es niemandem zu einfach macht.

Sketch Artist beginnt im Oboen-Wahn wie ein sinistrer Score, lässt aber schnell dumpf in die Magengrube wummernde Subbässe und finsterere Beats von der Leine, die sich selbst für eine ohnedies nur so kurzzeitig auftauchende, verträumt perlende Melodie lichten wollen, sondern lieber ganz unten im Mix störrische Gitarren begräbt.
Paprika Pony schnipselt klackernd über einer hypnotisch-meditierender Trance und besagtes Murdered Out groovt sich stoisch und sinister über einem atonal schneidenden Ziselieren ein. Das geradezu ausgelassen leiernde Geheule von Gordon kann man mühsam finden, doch dafür machen es einem die fies bratenden Gitarren umso einfacher, wie sie krautig in ihrer Beharrlichkeit der Rhythmussucht frönen.
Don’t Play It löst sich dagegen aus dem verwaschenen Sound für eine IDM-Annäherung, als hätte Haxan Cloak einen alptraumhaft pumpenden Club-Remix von John Hopkins mit Zack de la Rocha im Rausch unter Wasser angefertig, bevor das skelettierte Cookie Butter über die staubtrockene Snare frickelt, die Basslinie wummert und in einem zutiefst spartanischen Minimalismus höchstens eine vage Idee von Melodie liefert. Gordon rezitiert dazu distanziert und dennoch sanft – bis sich im letzten Drittel plötzlich ein bedrohliches Gewitter wie ungemütlich- mechanische Watte über das Geschehen legt.
Versöhnlich gibt sich dafür das Finale der Platte. Eartquake ist eine latent neben der Schiene sinnierendere Gitarren-Meditation, eine balladesker zum Ambient und Drone schwebende Erinnerung an den Winners Blues (ohne dessen relative Griffigkeit). Und Get yr life back dämpft sich noch weiter zur Klanginstallation aus ätherischen schleppenden Soundeffekten und assoziativen Kopfkino-Fragmenten aus, die hinten raus wie eine Dälek-Fraktur kriecht, entschleunigt und beklemmend intim. Die irgendwo im Mix geschrammelte Akustikgitarre will keine Wärme spenden, denn alles löst sich transzendent im Delirium auf. Zurück bleibt vor allem die so unbequeme wie befriedigende Genugtuung, wenn alte Helden in der vermeintlichen Spätphase ihrer Karriere relevanter und essentiellere Risiken eingehen, als ihre Epigonen.

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