Kim Gordon, Ja, Panik, Jigsaw Beggars [28.06.2024: Orpheum, Graz]

by on 30. Juni 2024 in Featured, Reviews

Kim Gordon, Ja, Panik, Jigsaw Beggars [28.06.2024: Orpheum, Graz]

Kim Gordon beehrt Graz im Rahmen ihrer The Collective-Tour. Ja, Panik gesellen sich als nomineller Special Guest ins Line Up, den eröffnenden Support im Orpheum besorgen Jigsaw Beggars.

Eine Konstellation, die nur zustande kam, weil sich, die bei der Konzertankündigung für das Graz-Gastspiel der Sonic Youth-Ikone unmittelbar aufkommende Befürchtungen dahingehend, dass es sich als zu ambitioniert erweisen dürfte, Kim Gordon für die Kasematten zu buchen, letztlich bewahrheitet haben: die Show wurde (wie schon der Godspeed-Besuch zuvor) in das deutlich kleinere Orpheum umgesiedelt – und, um mutmaßlich den Vorverkauf anzukurbeln, auch noch die lokalen Jigsaw Baggars ab Bord geholt.
Obgleich es sogar während der Show noch First Wave-Karten für das Konzert zu erstehen gibt, scheinen die den Abend retten sollenden Maßnahmen gegriffen zu haben: das Orpheum ist angenehm dicht gefüllt, ohne auch nur ansatzweise Platzangst zu schüren.
Als das steirische Quartett den Abend um 20.00 Uhr eröffnet, verweilt allerdings noch gefühlt ein Drittel des Publikums vor der Location und wird passiv durch die offenen Türen des Orpheums beschallt – drinnen ist der schwüle Abend aufgrund der Temperaturen aber auch deutlich unangenehmer wirkend. Dass das in fiebriges Rot getauchte, mit kraftvoller Konsequenz monoton im psychedelischen Space- und Krautrock treibende Halluzinogen der Jigsaw Beggars subjektiv betrachtet auch kein unbedingtes Argument bietet, um sich dennoch in den Saal zu zwingen, ist jedoch wohl eher eine exklusive Meinung – es gibt ordentlich Applaus von der anwesenden Menge.

Die Gruppe Ja, Panik hat sich nach ihrem unausgegorenen Comeback 2021 mit dem jüngst erschienenen Don’t Play With the Rich Kids wieder ziemlich gefangen – und rückt diesen Umstand mit einem Set in den Vordergrund, das flächendeckend überraschend heavy und druckvoll angelegt ist, über rund eine Stunde Spielzeit aber vor allem enorm kurzweilig unterhält und zahlreiche Höhepunkte zu bieten hat – etwa wenn Change exzessiver freidreht als auf Platte oder Teuferl lange in Trance mäandert, bis der Knopf umso energischer aufgeht, Every Sun That Shines seine Bandbreite vom Mahlstrom bis zur Intimität voll ausreizt oder Alles Hin, Hin, Hin durch das Saxofon nun noch mehr Verve bekommt. Dass die Klassiker bis DMD KIU LIDT immer noch die klar besten Songs der Band (aber angesichts einer frischen Platte im Köcher setlisttechnisch in der klaren Minderheit) sind, wird in dieser Hatz beinahe nebensächlich – und die Freude des Publikums ist entsprechend groß.
Ihr seid‘s sweet!“ sagt ein merklich gut aufgelegter Spechtl irgendwann und „kommt‘s immer wieder!“ – was man nach einer schnörkellosen, eigentlich zu kurzen Show auch wirklich gerne machen würde…nur sind die Graz-Besuchen der (heute wie eine Cyperpunk-Gang aus der Matrix der 80er gewandeten) Wahl-Berliner in der Murmetropole einfach zu rar gesät.

Setlist:
Lost
Dream 12059
Mama Made This Boy
Run From The Ones That Say I Love You
Kung Fu Fighter
Libertatia
Changes
Teuferl
On Livestream
Alles hin, hin, hin
Every Sun That Shines
Apocalypse Revolution

Ohne No Home Record (2019) und das aktuelle The Collective unter Wert verkaufen zu wollen, verblassen die beiden Platten absolut gegen das, was aus dem Material live wird: die organische Explosivität der Stücke erschlägt förmlich, so intensiv und vor Energie überbordend zappelt die massive Hibbeligkeit, gleichzeitig nervös und abgeklärt stoisch, während die Wucht der Frequenzen in physisch spürbaren Wellen von der Bühnen dröhnend die Gewänder davor vibrieren lassen. Das Material scheint – das Zweitwerk chronologisch und zur Gänze an den Anfang stellen – trotz seiner überschaubaren Ingredienzien nun mehr akzentuierte Facetten zu bekommen, die Vision hinter den Nummern zündet pointierter.



Hauptverantwortliche dafür ist allerdings nicht die nominelle Hauptdarstellerin des Abends sondern ihre unpackbar gute Band: Madi Vogt wirbelt am Schlagzeug wie ein präziser Derwisch, Sarah Register macht die Gitarre zum entrückten Klang-Oszillator und Camilla Charlesworth stiehlt mit einer leibhaftigen Coolness an Bass und Keyboard eigentlich sowieso die Show. Was für eine fantastische Instrumental-Sektion da das Studiomaterial als extrem dicht stehende Einheit mit noch mehr Feuer unter Hintern und voluminöser Muskelmasse umsetzt – absolut berauschend und eindringlich!

Kim Gordon selbst wird da phasenweise gewissermaßen gar zur Mitfahrerin in ihrem eigenen Soundkosmos, lässt ihr Präsenz und unverkennbare Stimme (mitunter etwas unsicher vom Dada-Textblatt ablesenden) unterkühlt rezitierend im mitreißenden Strom aus wummernden Beats und akribischen Trap-Breaks als Konstante lethargisch sprechsingen, was dann so aber vor allem im mit gereckter Faust skandierenden I Don’t Miss My Mind nicht die anvisierte aufwiegelnde Power hat, um in der Dominanz der Musik nicht ein bisschen zur energiefreien Geste zu werden. Als charakteristisches Mosaikstück des Ganzen funktioniert ihr Organ jedoch wie ein zentrierender Anker, der das Geschehen auf ein kompaktes Ziel ausrichtet.
Greift sie in seltenen Fällen auch noch selbst zur Gitarre, reibt sie das Material damit zusätzlich aggressiv auf – im deutlich exzessiver angelegten Bye Bye etwa, bei Believers oder dem Punk-Provokateur Dream Dollar sowie dem (das reguläre dreiviertelstündige Set um weitere 35 Minuten erweiternde) Zugabenblock mit Airb BnB, dem Feedback-Jäger Cookie Butter oder dem fetzigen Hungry Baby (das in seiner Hemmungslosigkeit eigentlich der idealere Schlusspunkt gewesen wäre als Grass Jeans – während ECPR im genormten Set leider keinen Platz gefunden hat).


Da hat Gordon die Front-Ventilatoren längst in Richtung Publikum gedreht, föhnt die Magengruben, ohne wirkliche Abkühlung zu verschaffen und kommt von der eher tief stehenden Positionierung der Instrumente immer öfter zum vorderen Rand der Bühne, subtil anheizend, und fesselt in einem relativen Distanzgefühl mit kleinen charismatischen Gesten ein bisschen über den Dingen stehend. Oder: so gut Kim Gordon auf Platte sein mag, so überragend ist sie live im Kollektiv.

Setlist:
BYE BYE
The Candy House
I Don’t Miss My Mind
I’m a Man
Trophies
It’s Dark Inside
Psychedelic Orgasm
Tree House
Shelf Warmer
The Believers
Dream Dollar

Encore:
Air BnB
Paprika Pony
Cookie Butter
Hungry Baby
Grass Jeans

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