Kendrick Lamar – To Pimp a Butterfly

von am 19. März 2015 in Album, Heavy Rotation

Kendrick Lamar – To Pimp a Butterfly

Anybody can get it/The hard part is keepin‘ it, motherfucker‚ mahnt Dr. Dre früh, doch Kendrick Lamar verliert die Fallhöhe nach ‚Good Kid, M.A.A.D City‚ ohnedies nicht aus den Augen: ‚To Pimp a Butterfly‚ löst nicht nur alle Versprechen ein, die das Durchbruchsalbum 2012 gegeben hat, sondern stemmt mit der Virtuosität der Brainfeeder-Crew im Rücken einen inhaltlichen und stilistischen Gewaltakt, an dem sich der Hip Hop bis auf weiteres messen lassen wird müssen. Am Ende steht der 28 Jährige Comptoner endgültig als neuer König der Westküste.

Knapp 5 seiner 12 Minuten Spielzeit ist das abschließende ‚Mortal Man‚ an den Vermächtnissen von Nelson Mandela, Martin Luther King Jr, Fela Kuti oder Malcolm X bereits gewachsen, als Kendrick seinem Idol Tupac gegenübersteht, sich ein Interview aus dem Jahr 1994 als poetische Projektionsfläche zu Eigen macht und auf diese Weise mit dem 1996 erschossenen Rapper über Kultur, Rassismus, Ruhm oder die eigene Vergänglichkeit diskutiert. „In my opinion, only hope that we kinda have left is music and vibrations, lotta people don’t understand how important it is. Sometimes I be like, get behind a mic and I don’t know what type of energy I’mma push out, or where it comes from. Trip me out sometimes“ sinniert Lamar irgendwann. „Because the spirits, we ain’t even really rappin’, we just letting our dead homies tell stories for us“ entgegnet Shakur. Und dann, während Lamar noch „Another Nigga“ rezitiert, das Gleichnis des [beinahe] titelgebenden Caterpillar und Butterfly, dass das gesamte Album als roter Faden durchzieht, ist Pac verschwunden. Antworten muss jeder für sich selbst finden, alleine in der Vergangenheit zu graben bringt nichts.
Wodurch sich dann auch der Spannungsbogen der Platte schließt, Kendrick viele Themen von ‚To Pimp a Butterfly‚ noch einmal rekapituliert und zuletzt vielleicht sogar mit der Erkenntnis alleine gelassen wird, dass er selbst längst zum Anführer, zum Erneuerer, zum Idol und König des Hip Hop aufgestiegen ist. Keine genretypische Arroganz ist dabei im Spiel, sondern unter die Haut gehende Nachdenklichkeit und eine tiefschürfende Kunstfertigkeit.

An einem solchen Outro hätte man sich freilich nur zu leicht verheben können, Lamar aber meistert den Drahtseilakt, indem er auf diese Aussprache in den über 60 zuvor heraufbeschworenen Minuten konsequent hingearbeitet hat. ‚To Pimp a Butterfly‚ formvollendet den Senkrechtstarter aus Compton gleichermaßen Traditionalist und Erneuerer, macht aus dem gelehrigen Schüler aber nunmehr einen Wegbereiter für das Genre, der immer noch Impulse aufsaugt, nun jedoch vor allem selbst Denkanstöße gibt.
Auf der rein musikalischen Ebene verdankt er dies vor allem dem jede Faser der Platte durchziehenden Jazz- und Funk-Sound des Brainfeeder-Triumphirats Flying Lotus (sehr spendierfreudig), Thundercat und Kamasi Washington, deren Produktion und Leitung nicht nur jenes Amalgam abrundet, das via ‚Never Catch Me‚ auf ‚You’re Dead!’schon so großes in Aussicht stellte, sondern in elaborierten Jamsessions wie ‚For Free? (Interlude)‚ kulminiert, in denen Robert Sput Searight, Robert Glasper, Brandon Owens, Craig Brockman, Marlon Williams und Terrace Martin ihre virtuosen Freejaaz-Muskeln spielen lassen. Kurz darauf bounct mit dem Kunta Kinte-Oxymoron ‚King Kunte‚ ein astreiner G-Funk Hit, ‚Institutionalized‚ wechselt seinen Beat kurzerhand zu einem smoothen Schlafwagen der mit einer Bilal’schen Killerhookline und einem dösenden Snoop Dogg im Abgang auch Mos Def gefallen sollte. Die angepisste Selbstkasteiung von ‚The Blacker the Berry‚ mit seiner finalen Offenbarung („So why did I weep when Trayvon Martin was in the street when gang banging make me kill a nigga blacker than me?/ Hypocrite!“) implementiert dann zwar Assassin als eleganten Dancehall-Aspirant, ist in seiner Schonungslosigkeit aber vor allem: schonungslos, schmerzhaft, radikal.
Da passt es nur zu perfekt ins Bild, dass die eigentlich optimistisch-ausgelassene Grammy-Single ‚i‚ es mit all ihrem R&B-Feuer in einer (gestellten) Liveversion auf das Album geschafft hat, die dann justament durch einen Tumult im Publikum unterbrochen wird, um als getriebene Acapella-Nummer zu enden.

Die optimistischen Momente, sie existieren auf ‚To Pimp a Butterfly‚ eben nicht ohne Konterpart. Als dunklen Kontrastpunkt zu ‚i‘ steurt Lamar im klaustrophobischen ‚u‚ dafür beinahe dem Zusammenbruch entgegen, wenn er am Tod seines Freundes Chad Keaton zu zerbrechen droht: „You ain’t no brother, you ain’t no disciple, you ain’t no friend/ A friend never leave Compton for profit or leave his best friend/ Little brother, you promised you’d watch him before they shot him.“ geißelt er sich selbst und kommt der Dunkelheit immer wieder Nahe. ‚These Walls‚ entpuppt sich hinter seiner sexuell aufgeladenen Leichtigkeit als hochkomplexes Perspektivenkammerspiel und ‚Wesley’s Theory‚ spannt den Bogen von Dave Chappelle und George Clinton zu Wesley Snipes, der vom für das (weiße) Publikum maßgeschneiderten Hollywoodstar zum Steuersünder geworden ist. Im System Amerikas fällt man eben nur zu schnell in Ungnade, sozialpolitische Missstände wuchern seit jeher, weswegen ‚To Pimp a Butterfly‚ ganz ähnlich wie D’Angelo’sBlack Messiah‚ auch eine zutiefst politische Platte mit Ferguson als Epizentrum geworden ist, in der man die unermüdlichsten Mitstreiter nicht nachhaltig genug loben kann: „Critics want to mention that they miss when hip hop was rappin’/ Motherfucker if you did, then Killer Mike would be platinum.“ heißt es im verschroben tönenden ‚Hood Politics‚ samt Sufjan Stevens Sample.

Spätestens wenn Lamar in ‚How Much a Dollar Cost‚ (die Schnittmenge aus Radiohead und The Roots?) von Uncle Sam und dem personifizierten Teufel Lucy in einer Tankstelle in Südafrika strandet und einem Obdachlosen Hilfe verwehrt, der sich später als Gott himself entpuppt, ist ‚To Pimp a Butterfly‚ eine ausufernde, aber nicht ziellose Odyssee mit philosophierendem Hintergrund klaren Agenden geworden. Alle Songs hängen eng miteinander zusammen, spinnen Gedankengänge weiter, die Kenrdick so wandlungsfähig und variabel wie noch nie in zahlreichen Facetten ausleuchtet, sich selbst ebenso unerbittlich ans Limit treibt wie seine Hörer und für die Zeit nach dem Hype gewappnet ist: „Want you look to your left and right, make sure you ask your friends/ When shit hit the fan, is you still a fan?„. ‚To Pimp a Butterfly‚ in all seinen Facetten zu ergründen ist dabei eine so detailierte wie gedankenvolle und auch schlichtweg enorm unterhaltsame Mission, die trotz ihrer ambitionierten Spielzeit nur wenige Längen zulässt. „Now I run the game, got the whole world talkin“ weiß Lamar deswegen in ‚King Kunte‚. Wo die Grenzen für ihn sind, das kann hingegen noch nicht einmal Tupac beantworten, der Weg ganz nach oben ist jedenfalls frei: King Kendrick, endgültig.

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