Kayo Dot, Deaf Hounds [04.03.2023: Wakuum, Graz]
Sensationell: Der Club Wakuum holt Kayo Dot auf ihrer kompakten Choirs of the Eye-Jubiläums-Tour durch Europa in der legendären Maudlin of the Well-Besetzung für ein exklusives Österreich-Konzert nach Graz.
An sich ist es ja schlechtes Timing für den ersten Graz-Besuch von Kayo Dot: Panda Bear mit Sonic Boom wären am Elevate in konzerttechnischer Hinsicht eigentlich schon eine dringende Optionen für den selben Abend gewesen, mehr noch John Cale in Wels.
Daher Toby Driver seine Band jedoch praktisch in der Maudlin of the Well-Besetzung zusammengetrommelt hat, um das Debüt Choirs of the Eye – dieses absolut legendäre, stilprägende Meisterstück im eigenwilligen Niemandsland zwischen Avantgarde Metal, Experimental-, Post- und Progressive-Rock, das wirklich mal wieder neu auf Vinyl aufgelegt werden sollte! – zum zwanzigjährigen Geburtstag zur Gänze zu zelebrieren, fällt der Entschluss, wohin es an diesem Tagesende gehen soll, letztendlich aber erstaunlich leicht.
Und um es vorwegzunehmen: Im (entgegen etwaiger Befürchtungen) erstaunlich gut besuchten (zumindest vor der Bühne bockheißen, einen – bis auf ein paar Feedback-Ärgernisse in The Manifold Curiosity – tollen Sound bietenden und nur durch einige nicht ihre Fressen halten könnende Besucher im hinteren Teil aufreibenden) Wakuum lohnt sich diese Entscheidung letztendlich absolut: Der Auftritt ist im Grunde eigentlich nahezu perfekt und die ideale Gelegenheit, sich neu in die unwirkliche Schönheit des so vielschichtigen, eigenwilligen Choirs of the Eye zu verlieben – ganz frei von jedweder nostalgischer Verklärung.
Bis man sich in dieser erfüllenden Erkenntnis jenseits der labyrinthischen Kompositionen von Kayo Dot und deren technischer Virtuosität suhlen kann, heißt es aber die wirklich komplett deplatzierte Vorband Deaf Hounds zu überstehen, die sowohl qualitativ als auch stilistisch tatsächlich einen der größten Brüche zwischen Vor- und Hauptband zelebrieren, den man seit Ewigkeiten gehört hat.
Es ist unangenehm, negatives über den banal das Stimmungs-Moment suchenden Garage Rock des Trios zu schreiben, weil die Band an diesem Abend ihre Live-Premiere gebend nicht nur merklich nervös ist, sondern auch so absolut unpassend platziert an den undankbaren Rahmenbedingungen vor Kayo Dot einfach nur scheitern kann. Aber abseits davon, dass die Show von Deaf Hound nach dem (fast schon als groteske Satire durchgehenden, nahezu dilettantisch umgesetzten) Vollkatastrophen-Einstieg mit Seven Nation Army, einer generell verzichtbaren Neigung für Rohrkrepierer-Animationen sowie redundanten Cover-Vorlieben beim eigenen, mitunter soliden (jedoch selbst vor zwei Dekaden in der Hochphase der Indie-Euphorie nicht wirklich überzeugen haben würdenden) Material etwas besser wird, gibt es subjektiv eben wirklich kaum positives über den Auftritt zu berichten. Also (be)lassen wir es (dabei, dass es zumindest schön ist, wenn die Band und einige loyale Freunde im Publikum Spaß an der Sache haben).
Die bessere Einstimmung auf Kayo Dot bietet schon davor eigentlich Jason Byron, der den Abend mit Erzählungen über seine Profession als Schriftsteller, seine Position im Bandkosmos sowie den beiden albennahen Romanen Amalia and Blasphemy stimmungsvoll eröffnet – und am anderen Ende markant dazu beiträgt ihn triumphal zu beenden, indem er für das herausragende Maudlin of the Well-Cover Birth Pains of Astral Projection als finalen Teil der (zumindest nominell als solche durchgehenden, aber nahtlos an das reguläre Set gehängten) Zugabe seine Rolle als geifernder Kotzbrocken am Mikro reaktiviert und damit den Abend furios krönt.
Überhaupt diese brillante Quasi-Zugabe! Void in Virgo (The Nature of Sacrifice) lässt die Muskel wie der epochale Prog-Monolith spielen, den The Cure in den 80ern einer alternativen Zukunft nie geschrieben haben und übertrifft seine Studioversion eindrucksvoll, bevor Crown-in-the-Muck von Hubardo (2013) eine blackmetallisch-punkende Intensität und Spielfreude entwickeln, die von wild solierend schrubbenden Greg Massa im rasenden Doppel mit Drummer Sam Gutterman energisch befeuert werden.
Wie viel Bock Kayo Dot so ganz ohne prätentiöse Verkopftheit machen können, war vielleicht nie derart offenkundig, wie in diesem ekstatischen Conclusio des Graz-Gastspiels.
Schon der akribisch der Album-Chronolie folgende Weg dorthin ist aber eben praktisch ein einziger Fan-Traum, wenn all die ruhigen Passagen von Choirs of the Eye so imaginativ in den vielschichtigen Texturen des fabelhaft aufeinander eingespielten Septetts wachsen und Maestro Driver die kakophonischen Ausbrüche mit einer Präzision dirigiert, die spätestens bei den beiden Glanztaten Wayfarer und The Antique einen rauschhaften Triumphzug entwickeln, der eine an Kollegen wie Godspeed oder weans erinnernde Sogkraft erzeugt, und damit alle (hohen) Erwartungen transzendent und sogar ein kleines bisschen magisch aus der Zeit gefallen übertrifft. Oder: Die Revitalisierung des Szene-Klassikers gelingt hier mit einer unbedingt euphorisierenden Wirkung – die Ausnahmestellung von Kayo Dot ist kurz vor Mitternacht imposant unterstrichen, waahrhaftig beispiellos.
(Doch nur der Vollständigkeit halber: John Cale, Panda Bear und Sonic Boom sollen dem Vernehmen nach übrigens auch ziemlich grandios gewesen sein.)
Setlist:
Marathon
A Pitcher of Summer
The Manifold Curiosity
Wayfarer
The AntiqueVoid in Virgo (The Nature of Sacrifice)
Crown-in-the-Muck
Birth Pains of Astral Projection
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