Kanye West – Yeezus
„Hurry up with my damn massage / Hurry up with my damn ménage / Get the Porsche out the damn garage/ I am a god„. Danach ordert Kanye aggressiv Massagen, ist ungeduldig wenn es darum geht in Pariser Cafes auf Croissants zu warten, genießt „asian pussy„’s nur mit „sweet and sour sauce“ und hat auch sonst noch die eine oder andere Lebensweisheit parat: „You see there’s leaders and there’s followers/ But I’d rather be a dick than a swallower„.
Ist ‚Yeezus‚ hinter all der Brachiallyrik eventuell subversiv wirkende Holzhammer-Gesellschaftskritik, hemmungslos übersteigerte Selbstreflexion, das zur Fratze verzerrte Spiegelbild einer wahnsinnig gewordenen Konsumgesellschaft? Oder doch nur sexistischer Schwachsinn von einem arroganten Typen mit Gott-Komplex, der seine Texte diesmal noch überstürzter zusammenschusterte als sonst?
Wer ‚Yeezus‚ aus lyrischer Sicht abseits geradezu abstrus weitläufiger Interpretationsansätze von vornherein nicht zumindest soweit entgegen kommt, die 10 Songs als bis zur absurden Parodie überspanntes, reaktionäres Nonsenstum zwischen berechtigtem Größenwahn und maßloser Selbstüberschätzung mit System einzuordnen, der kann das sechste Kanye West-Album sofort in die Tonne kloppen. Ye rappt etwa über Autos, die Leiden des Promi-Daseins im Dienste von Gott und reichlich Girl-bedingten Problemen, mit einem Vokabular, dass Feministen und Frauenrechtlerinnen wohl ebenso die Weißglut ins Gesicht treiben dürfte wie es bei Parkinson-Gesellschaften bereits der Fall ist. Kein Song ohne „Bitch dies„, „Nigger das„, „Gott sowieso„. Auch mit dem wohlwollenden Zugeständnis etwaige schlauer Meta-Ebenen in der Deutung zu erzwingen: irgendwann ist es schlicht zu viel. Zu platt, zu plakativ, zu gewollt und schlimmstenfalls gar beschämend. ‚Yeezus‚ kann textlich letztendlich natürlich als (billige) Provokation angesehen werden – ermüdend ist die Masche dennoch.
Wie vieles andere an ‚Yeezus‚ auch, dieser brachial nach Aufmerksamkeit buhlenden Rückkehr nach dem allerorts gefeierten Prog-Pop-Rap-Ungetüm ‚My Beautiful Dark Twisted Fantasy‚. Zu Beginn ist die Platte aber trotzdem (oder gerade deswegen?) : fantastisch. Und vor allem auch fantastisch überraschend. Schon der Opener ‚On Sight‚ transzendiert in dieser Schiene einen aggressiven Acid-Beat, stoisch und ohne Variable durchlaufend, dem Kanye plötzlich ein Sample von ‚Sermon (He’ll Give Us What We Really Need)‚ als vollkommen deplatziertes Soul-Sprengsel brillant zwischen die Tanzbeine wuchtet. Bloß um zu zeigen, dass er einen Scheiß auf die Meinung anderer gibt.
Mehr noch aber ist das ein Einstand, der auch dem letzten Hitparaden-Verweigerer die Erkenntnis einhämmern wird, wie verdammt weird Kanye diesmal drauf ist. Im Club-Modus aus der Hölle quasi, verrückt fiepend und der giftige Zwilling zur poppigen Zugänglichkeit des Vorgängeralbums. Aufdringlich ist das vor allem durch seine Attitüde – funktionieren tut es dennoch erstaunlich brilliant.
Es folgen ansatzweise vier weitere Sternstunden: das überragende ‚Black Skinhead‚ hechelt ohne Erbarmen im martialischen Galopp mit einem wunderbar gehetzten angry young Kanye in Hochform zu aggressiven Trommeln. ‚I am a God‚ klickt mit wummernden Sub-Bässen gnadenlos Richtung Apocalypse-Raggea und zwielichtigem Undergrounddancefloor. An ‚My Beatiful Dark Twisted Fantasy‚ erinnern nur noch wenige Momente, wie der ausbrechende Schlußpart des zuvor kühl nach epochaler Reduktion suchendem ‚New Slaves‚, oder das still pulsierende ‚Hold My Liquor‚. Im direkten Vergleich ist das wirklich so dark, minimalistisch und reduziert (nicht nur im Artwork) wie überall behauptet- wenn auch nicht gar so visionär, wie es abonnierte Jubelpamphlete gerne sehen: den Spagat zum dröhnenden Gemisch aus Hip Hop, Industrial und Noise haben nicht zuletzt Death Grips durchaus verstörender hoffähig gemacht, misanthropischer war EL-P schon immer, ‚I’m in it‚ hätte über weite Strecken auch von Tyler, The Creator für seine Odd Future-Crew gebastelt worden sein können.
Das allgegenwärtige Händchen für Eingängigkeit, Mainstream-Tauglichkeit und zündenden Pop kehrt dann aber eben doch erst Kanye richtig hervor.
Die Synthies dröhnen auf ‚Yeezus‚, die Beats pumpen hart und skelettiert, Sequencer flippen aus, Streifschüsse von Soul und R&B rasen vorbei. Die Produktion der Platte ist über weite Phasen schlicht atemberaubend – die Songs an sich sind es nach der intensiven ersten Albumhälfte hingegen nicht mehr wirklich. Der Fokus fehlt, ‚Yeezus‚ beginnt sich als halbgares Mash-Up aus durchaus zündenden Ideen und weitaus mehr ermüdenden Leerläufen immer weiter selbst zu verschleppen, bleibt deutlicher denn je im Spannungsfeld zwischen Genie und Wahnsinn verankert und doch zerfahren hinter seinen Möglichkeiten.
Mit einer explodierenden, beinahe absurden Dichte an Produzenten (Rick Rubin, Daft Punk, Salem, Hudson Mohawke, Mike Dean, Lupe Fiasco, etc., etc.) und Gästen (Justin Vernon, Frank Ocean, Kid Cudi, Charlie Wilson, etc., etc.) bestimmt dabei auch auf ‚Yeezus‚ wieder die Kanye-typische Unart von Autotune-Dauereinsatz und Vocoder-Gesängen das Geschehen bis zum schlumpfigen Erbrechen. Derart malträtiert letztendlich auch der zerfahrene Lichtblick ‚Blood on the Leaves‚ in einem Umfeld der Lückenfüller, über 6 Minuten mit “Strange Fruit‚-Variationen: da kann auch die fette Pharoahe Monche–Theatralik vor lauter quengelnder, glattgebügelter Stimmen nichts mehr retten. Nicht nur insofern sucht ‚Yeezus‚ den Schulterschluss zum polarisierenden Unfall ‚808s & Heartbreak‚,
‚Yeezus‚ macht es eben weder seinem Schöpfer, noch den Hörern einfach. Der Drang des 36 jährigen West gegen jeden Stillstand im eigenen Schaffen schlägt sich abermals mit beachtlicher Konsequenz nieder. Ein wenig mehr Sorgfalt auf der zweiten Plattenhälfte anstelle der allgegenwärtigen Mittelfinger-Mentalität wäre trotzdem zielführender gewesen.
Zum Abschluss gönnt sich Kanye in all der Weiterentwicklung zwar noch den einen Blick zurück – ‚Bound 2‚ ist ein nostalgisches, geradezu anachronistisches Cut-and-Paste-Mixtape aus eingängigem Gospel-Pop und einer gefühlvollen Soul-Linie. Wenn Kanye mit „All them other niggas lame, and you know it now/ When a real nigga hold you down, you supposed to drown“ ansetzt ist das zudem der gefühltermaßen erste Kontakt mit einer menschlichen Stimme auf ‚Yeezus‚ seit überhaupt. Das permanent repetierte „(Uh-huh, honey)“ nervt trotzdem schon nach kurzer Zeit.
Und führt insgeheim ein letztes Mal vor Augen, dass Kanye West nicht nur der große Heilsbringer des stinkreichen Dollar-Rap ist, sondern gleichzeitig und gleichermaßen auch dessen stetig wucherndes Krebsgeschwür.
3 Trackbacks