Kanye West & Ty Dolla $ign – Vultures 1

von am 27. Februar 2024 in Album

Kanye West & Ty Dolla $ign – Vultures 1

Mögen die Kritiker doch behaupten, was sie wollen: Vultures 1 ist mit ziemlicher Sicherheit das beste Studioalbum, das ein antisemitischer Ex-US-Präsidentschaftskandidat, Trump-Fan und Hitler-Bewunderer dieses Jahr veröffentlichen wird.

Oder richtiger: vermutlich. Immerhin sollen 2024 ja noch zwei weitere Teile von Vultures erscheinen. Also jenem Kooperationsprojekt, das der mittlerweile mitunter verzweifelt das Enfant Terrible geben müssende Kanye West (zwischen so geschmackvoll auf Textilien verzichtenden Fotos seiner Gattin Bianca Censori und zahlreichen Ausdrücken seines wohl längst als krankhaft zu diagnostizierenden, sicher aber ein für alle mal nervenden Provokations-Reflexes) gemeinsam mit dem hier Mund meistens nur als nebensächlicher Sidekick agierenden (und, das weiß man auch dann erwähnter Fotos der aktuellen Mrs. West, nicht einmal am Streaming Artwork der Platte zu sehen seienden) Ty Dollar $ign als ¥$ aufgenommen und seit 2018 mal direkt, mal indirekt angekündigt hat.
Doch während das Drumherum wieder für viel Wirbel sorgt und man bei West (am anderen Ende des Spektrums wie etwa Deathspell Omega) wohl auch einfach wirklich nicht mehr die Kunst vom Künstler trennen kann, legt ein halbwegs subjektiver Blick auf die Substanz von Vultures 1 simple, durchaus überraschende Ansichten dar: West gelingt (zugegeben auch, weil das miserable Donda in seiner enttäuschenden Masse immer noch nicht verdaut ist und es danach in kreativer Hinsicht für Ye ja auch kaum weiter bergab gehen konnte – die Messlatte also niedrig liegt) ein Album, das (zumindest in musikalischer Hinsicht) qualitativ durchaus besser ist, als es überall gemacht wird…
…an dem man aber dennoch keine wirkliche Freude haben will. Eine Ambivalenz, die sehr einfach zu ergründen ist, gleichzeitig aber ratlos entlässt.

Zuerst die positiven Aspekte. Vultures 1 ist mit (je nach Vollständigkeit) rund 55 Minuten Spielzeit nur unmaßgeblich zu lange ausgefallen (wo man etwa explizit höchstens das Doppel aus Fuk Summ und dem – ursprünglich besser gemixten, nun aber Durk Banks aufweisen könnenden – Titelstück („She want me to put some of this coke in her butt, ugh/ She Russian, I beat up the pussy for Ukraine“) als Streicher-singsangend mäandernde Filler neben Beg Forgivness, einer wummernd meditierenden, sich gefühlt endlos ziehenden Chris Brown-meets-JPEGMAFIA-Adaption von Joe Goddards Gabriel merklich kürzen hätte müssen). Als Ganzes rund angelegt erzeugt die Platte im gelungenen Fluss eine stimmige, dichte Atmosphäre, die keine genialen Momente in der reibungslosen Produktion braucht, um sich in eine unspektakuläre Klasse zu legen und einige tolle Szenen zu kreieren.
Der Einstieg mit dem gefühlvoll einleitenden, geradezu zart und optimistisch über einen unaufgeregten Chor gelegten Duo Stars und Keys to My Life gerät toll und wird mit dem seine pumpenden Beats zu einer catchy Hook führenden Paid erfolgreich aufgelöst: ein Blick in die Credits lässt Denzel Curry neben zitierten The Police aufblinken, wo die tatsächlichen Mitarbeiter an dem Machwerk Vultures 1 durchaus flächendeckend überraschen.
Im eingängigen Fragment Back to Me zeigen Freddie Gibbs und Quavo locker auf, das smooth groovende Hoodrat strahlt auf sich alleine gestellt gen Mike Tyson. Das basslastige Do It hastet beinahe klassisch, das subkutane Paperwork arbeitet mit einem scharfkantig Minimalismus zum Industrial und Burn ist exemplarisch poppig locker.
Und während Good (Don’t Die) mittlerweile wegen I Feel Love-Urheber-Streitigkeiten aus dem Kontext entfernt wurde (aber das Hit-Verständnis des versiert-simplizistischen Samplers West verdeutlicht) hätten Carnival (als bereits von Trump vereinnahmtes „Ohooooo“-Stadion-Dösen) und Problematic (als kontemplative Fanfaren-Reduktion) Vultures 1 dann an sich ein geradezu subversives Finale besorgt.

Derartig in künstlerischer Hinsicht als Erfolge zu wertende Entscheidungen spielen spätestens jetzt aber offenbar keine Rolle für Kanye. Was zählt ist nicht, was dem Werk dient, sondern wie dieses, um jeden Preis Aufmerksamkeit abseits seiner eigentlichen Wirkungsebene zu kreieren vermag. Schließlich zielt Kanye so über die inhaltliche Ebene auf die eigenen Kniescheiben – Kontroversen um der Kontroverse wegen müssen als einzige Reibungsfläche herhalten.
Freilich, das Faible für betont auf unbedingt skandalträchtig seien wollende Lyrics hatte er immer schon. Doch betten sich hier nun Zeilen wie „How can I be Anti-Semitic? I just fucked a Jewish bitch“ (womit übrigens nicht Bianca gemeint sein kann) oder „Anybody pissed off / gotta make ‚em drink the urine / Now I’m Ye-Kelly, bitch / now, I’m Bill Cosby, bitch / Now, I’m Puff Daddy rich / that’s #MeToo me rich“ als betont anecken müssender Reizwort-Vorschlaghammer-Affront in den Kontrast zu einem komplett belanglosen Autopilot, in dessen Spannweite schlichtweg kaum etwas hängen bleibt: die meisten Bars plätschern ohne Inspiration entlang einer halbgaren Performance nebenbei dahin, sind farb- und gesichtlos, langweilen auf gehobenem Niveau eindrucksfrei, einfach egal – und dann schneien eben wieder eine provokante Zeilen vorbei. Als müsste man als Koch manche Stellen explizit versalzen, weil sonst nur geschmackloser Einheitsbrei übrig bleibt. Ob das im Antisemetismus und Opfer-Bashing moralisch geschmackloser ist, als bishere Themen von Ye, muss jeder für sich entscheiden – der MO bleibt jedoch an sich seit einiger Zeit der selbe. Ärgerlich ist das diesmal jedoch deswegen vor allem, weil hier mehr Potential im Material vorhanden gewesen wäre, als bei den meisten von Wests Alben der jüngeren Vergangenheit.
Dass Talking seine an sich fabelhafte, zutiefst typisch melancholische James Blake-Produktion an die (noch?) nicht vorhandenen Talente von Tochter North West verschwendet, die mit den holprigen Schüttelreimen „It’s your bestie, Miss, Miss Westie/ Don’t tryna test me. It’s gonna get messy“ doch für eine der hartnäckigsten Zeilen einer raptechnisch kaum relevanten Platte sorgt, ist insofern leider durchaus und absolut symptomatisch.

Wirklich schlau muß man deswegen aber noch lange nicht aus dem Kooperationsprojekt werden. Wenn etwa das persönliche politisch ist, und das politische im Umkehrschluss persönlich, wie schafft es Vultures 1 in seinem Seiltanz aus Banalitäten und bemühten Spitzen weder das eine, noch das andere zu sein? Wo liegt der Sinn in wahllosen Burzum-Referenz im Artwork für einen derart penetranten Christen wie Kanye – heiligt der Einsatz blasphemisch gemeinter Ursprünge die erzwungene Assoziation mit dem späteren Rassisten Vikernes?
Es bleiben noch mehr Fragen, doch darauf Antworten zu finden, spielt relativ schnell keine wirkliche Rolle: man verliert einfach bald das Interesse an Vultures 1 als Musik und ist vom gehaltlosen Brimborium drumherum genervt.
Wenn Kanye also im abschließenden King zu einem 08/15-Beat, ein bisschen Orgel- und mystischem Synth-Anstrich einen sich nirgendwohin um sich selbst drehende Skizze bastelnd „I’m  Crazy, bipolar, antisemite/ And I’m still the king“ rappt, ist das eher auf egale Weise tragisch verblendet, als aufregend oder komisch – geschweige denn gänzlich wahr.

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