Kanye West – Jesus is King

von am 1. November 2019 in Album

Kanye West – Jesus is King

Kanye West übersetzt die konfusen Selbsttherapie-Skizzen von Ye in einen pseudo-christlichen Kontext und verkauft den ebenso unausgegorenen wie egozentrischen Clusterfuck Jesus is King als spirituelles Gospelalbum.

Kanye in Missionarstellung, ganz im Dienste seines neu gefundenen Herrn und Erlösers. Das klang vorab durchaus verführerisch – man denke alleine an Jesus Walks, mehr noch Ultralight Beam oder die Gemeinschaftsarbeiten mit den zuletzt an seinem großen Tag scheiternden Chance the Rapper. Als Yeezus im Jänner 2019 also mit der Sunday Service Group seinen eigenen predigenden Chor ins Leben rief, und das bereits angekündigte Yandhi in die Tonne kloppte, um auf sein neues neuntes Studioalbum hinzuarbeiten, wurde dies deswegen vielleicht auch mit weniger Skepsis betrachtet, als nach dem konstanten Qualitätsrückgang über Yeezus und The Life of Pablo hin zu dem vom Veröffentlichungs-Kollektiv getragenen Ye angebracht gewesen wäre.
Spätestens dass Jesus is King letztendlich gleich zweimal seinen angekündigten Releasetermin nach allen Regeln der Aufmerksamkeitsdefizitneurosen verstreichen ließ (um sich teilweise noch den perfektionistischen Feinschliff am Mix hinzugeben – den das finale Produkt nun übrigens keineswegs erklärt, höchstens durch unkonventionelle Mängel) ließen ein schwellendes Mißtrauen aufkommen, dass die hingerotzten 27 Minuten der Platte nun leider weitestgehend rechtfertigen.

Jesus is King ist eine frustrierend Skizzensammlung unfertiger Tracks geworden, von denen kein Element restlos schlüssig zu Ende gedacht wirkt, obwohl die Substanz keineswegs bröckelt. West und seine Produzentenriege (u.a. Benny Blanco, E*vax, Finatik N Zac, Francis Starlite, Labrinth, Pi’erre Bourne, Ronny J, Timbaland oder Warryn Campbell) liefern unspektakulär-routinierte, zweckdienlich-gute oder uninspiriert-unspannende Beats auf dem okayen Standardniveau der jüngeren Vergangenheit, arbeiten ohne Genieblitze oder nachhallende Hooks, aber der Ahnung von Können und Klasse.
Dazu kommen solide Bars mit immer wieder eingestreuten Nonsens, der all den religiösen Glaubens-Überbau zum überhöhten (Stil)Mittel zum (Verkaufs)Zweck stilisiert, vermeintlich christliche Tugenden zur Plattform für egomanisches Selbstmitleid instrumentalisiert – denn natürlich steht alleine Kanye im Zentrum der Platte: wahllos eingestreute Alibi-Jesus-Referenzen hin, Plattitüden-Jesus-Namedropping her.
Dass dabei theoretisch zumindest von der Ästhetik sogar mehr hängen zu bleiben scheint als noch auf Ye ist deswegen jedoch gar nicht unbedingt nur positiv gemeint.

Alleine der ohne Kanye auskommende Opener Every Hour sowie der Closer Jesus is Lord stehen sinnbildlich für die orientierungslos zusammengeschusterte Willkürlichkeit der Trackliste, die keinen homogene Spannungsbogen oder kohärente Übergänge kennt, sondern ohne Sorgfalt aneinandergeklatscht wurde. Beide Stücke wirken wie wahllos aus dem Kontext gerissene, sinnfrei im nicht vorhandenen Fluß von Jesus is Lord platzierte Ausschnitte ursprünglich größerer Nummern, die hier praktisch aus dem Nichts beginnen, ziellos dahinlaufen und ebenso plötzlich und abrupt wieder abreißen, wie sie losgeplatzt sind.
Every Hour ist mit seinem Sunday Service Choir-Ausschnitt als überdrehter Gospel mit manisch klimperndem Klavier sogar geradezu nervtötend vorab angepappt, zumindest an dieser Stelle ein absoluter Totalausfall mit Skip-Pflicht, wie ein deplatzierter Teaser für eine Platte, die ohnedies nicht folgen wird. Denn so frontal West mit seinem Glaubens-Konzept auch hausieren geht, so wenig essentiell ist es letztendlich für die Qualität oder Selbstdarstellung von Jesus is King.
Selah wäre insofern jedenfalls der stimmungsvollere Einstieg gewesen, baut Spannungen adäquat auf, auch wenn sich die Nummer über debile Texte („Before the flood, people judge/ They did the same thing to Noah/ Everybody wanted Yandhi/Then Jesus Christ did the laundry“) gar einfach macht und in banalen „Hallelujah„-Chören badend gut einschwört, obwohl die Nummer letztendlich ohne Klimax verpufft. Das folgende Follow God ist dafür ein geradezu klassischer Kanye-Track über einem souligen Sample und smoothen Beat, der als klares Highlight gut kaschiert, dass die Nummer früher wohl nur ein überdurchschnittlicher Füller gewesen wäre. Trotzdem kann da heute nur das gefühlvolle, aber rau gesungene God Is mit Labrinth ansatzweise mithalten.
Closed on Sunday („Closed on Sunday/ You’re my Chick-fil-A“ – eine Referenz an die christliche Fast Food-Kette) verlässt sich dagegen auf eine Atmosphäre, die entsteht, wenn eine gezupfte Akustikgitarre, sakrale Chöre, dunkel dröhnende Synthies und ein leidlich motiviert an der Popmelodie intonierender Kanye ein entschleunigtes Interlude als Song klassifizieren.

On God lässt sein Lippenbekenntnis auf retrofuturistisch schwofenden Keyboardschwaden entspannen und rechtfertigt nebenbei die hohen Preise des Modedesigners Kanye („That’s why I charge the prices that I charge/ I can’t be out here dancin‘ with the stars/ No, I cannot let my family starve/ I go hard, that’s on God„), bevor Everything We Need (ehemals: The Storm, nun aber ohne den fluchenden XXXTENTACION) die Effekte am Trap rasselnd hochdreht, ein lustloser als gewohnt agierender Ty Dolla $ign neben Ant Clemens für autogetuneten Soul sorgen soll. Der Sunday Service-Sänger ist dann auch Teil von Water, in dem minimalistische Elektronik und sphärische Chöre versuchen eine Litanei auf die Empore zu heben, die sich zumindest melodisch über dem latenten 70s Funk anbietet, sonst aber zur ermüdenden Reinheits-Metapher ohne Tiefgründigkeit mutiert. Hat Kanye am Mikro hier überhaupt Bock auf irgendwas?
Die durch den Zeitlupenfilter gedrehte Ambient-Collage Hands On zeigt einen sediert auf Bedeutungwut ausgerichteten Kanye einmal mehr in der enervierendes Opferrolle: „What have you been hearin‘ from the Christians?/ They’ll be the first one to judge me/ Make it seem like nobody love me“. Yeezus und seine neu entdeckte Religiösität werden also nicht von der christlichen Community akzeptiert, doch die andere Wange hinhalten ist nicht restlos das Ding des Märtyrers: „Somebody pray for me!“  Nach viel Mäandern darf deswegen Worshipper Fred Hammond einen Part übernommen, den Justin Vernon wohl auch nicht abgelehnt hätte.

Use This Gospel – ehemals Chakras (Law of Attraction) – breitet ein überschaubares Gerüst für das Katharsis-Gebet aus, doch nicht das unmotiviert aus dem Nichts kommende Kenny G-Saxofonsolo ist das Highlight mit der nur angedeutet in Schwung kommenden Nummer. Die wiedervereinigten Thornton-Brüder No Malice und Pusha T hinterlassen als Clipse-Reunion mehr authentischen, demütigen Eindruck, als Kanye es offenbar in dieser Auslage kann. Dass die Komposition dahinter wenig kann: Eine Verschwendung.
Vielleicht ist das ärgerlichste an Jesus is King aber, dass die Platteeben  gar nicht per se vollends schlecht ist, keine absolute Katastrophe – sondern ihr durchaus vorhandenes Potential so schludrig in der Sinnkrise und Affektiertheit vertändelt, brachial durch die Banalitäten plätschert und vornehmlich durch negative Zwänge Akzente setzt, während all die an sich guten Ideen in einem sprunghaften Mosiak unterzugehen drohen. Und trotzdem ist die Platte ein latenter Grower, nicht der überall herbeizitierte Rohrkrepierer. Letztendlich verspricht Jesus is King zwar viel, scheitert als Album mit jedem Durchgang entlang des unfokussiert-bemühten Unterhaltungswert aber eher an seinem ohne Gespür ausgeführten Konzept, der absolut unsympathisch nutznießenden Scheinheiligkeit und der allgegenwärtigen Penetranz, als an der eingangs allgegenwärtig scheinenden Langeweile. Es gibt nämlich durchaus Dinge zu mögen in diesem unkoordinierten Clusterfuck, selbst wenn es nur die immaginativ ausgemalten, liegen gelassenen Möglichkeiten sind, die man sich schönhört.
Wenn Jesus is Lord als pompöse Bläser-Irritation den fragmentarischen Scherbenhaufen der Platte einen finalen Ausfallschritt machen lässt, ist man deswegen auch kaum klüger – geschweige denn bekehrter – als zuvor. Man hat höchstens gelernt, dem für Ende des Jahres angekündigten Jesus is Born mit einer gehörigen Portion Skepsis entgegenzublicken.

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